Viktor Giacobbo

, 19. Oktober 2007

Die Wahl, die Welt und der Wald

In zwei Tagen ist er endlich vorbei, der teuerste, schärfste, härteste, ja brutalste Wahlkampf aller Zeiten. Vor der internationalen Gemeinschaft präsentiert sich die Schweiz als ein zerrissenes Land, das am Rande des Nervenzusammenbruchs an der Urne entscheidet, ob die Nazis oder die Grünen die Macht in Bern übernehmen werden. Eine Karikatur, in der ein Schweizerkreuz zum Hakenkreuz wird, erscheint in der «New York Times», in einem Land also, wo man bisher meinte, bei uns heisse der König von Schweden Roger Federer. Jetzt kennen sie einen weiteren Schweizer, nämlich Christoph Blocher (an Christoph Meili erinnern sie sich nur noch schwach), verwechseln den Justizminister mit Ahmadinejad, wo er doch nichts anderes als eine helvetische Mutation von Dick Cheney ist.

Dummerweise realisiert das aufgeschreckte Ausland nicht, dass bei uns ein nationaler Wahlkampf so was wie eine gigantische Freilichtaufführung ist, deren ewig gleicher Ausgang alle Schweizer von vorneherein kennen. Denn, ehrlich, gibt es irgendeine wahlberechtigte Person, die nicht mit 98-prozentiger Sicherheit weiss, wie die Regierung, das heisst das zankende Miniparlament, das wir Bundesrat nennen, nach den Wahlen aussehen wird? Nämlich: fünf Bürgerliche und zwei Sozis. Wie die dann genau heissen – who cares?

Trotz gegenseitiger Ausschlussdrohungen von SP und SVP ist die Konkordanz längst chronisch geworden. Fünfzig Jahre Wahlen und gleich bleibende Regierungszusammensetzung – so was schafft ausser uns nur China. Übrigens: Zurzeit weilt eine Delegation der OSZE als Wahlbeobachter in der Schweiz. Sollten Sie einem Delegationsmitglied begegnen, sagen Sie ihm auf keinen Fall, dass Sie den Wahlausgang schon kennen. Sonst argwöhnt er, dass es in unserem politischen System nicht mit demokratischen Dingen zugeht.

Ausländische Medien beobachten unser Land zurzeit scharf. Doch leider entgehen ihnen dabei die echten Sorgen und Nöte der Bevölkerung. Deren drängendste Probleme brachte vor ein paar Tagen ein Artikel im «Tages-Anzeiger» (die Zeitung, in der auch diese Kolumne erscheint) auf den Punkt: Laut Bundesamt für Umwelt ist die mangelnde Ordnung im Wald, also herumliegende Bäume und Äste, die «mit Abstand am häufigsten geäusserte Kritik». Weder Klima noch Ausländer noch Flat Tax noch Minarette noch Komplotte, sondern der unordentliche Wald beschäftigt das Volk – ein Fact, den Claude Longchamp in seinen Prognosen fahrlässig ignoriert! Im erwähnten Artikel sagt ein Forstbeamter, «das Waldbild vieler Leute» sei «von den 60er-Jahren geprägt» und sie gingen «mit einem statischen Bild vor Augen durch den Wald».

Nun, sie gehen ja auch mit demselben statischen Bild durch die Wahlen, und zwar seit mindestens den 60er-Jahren. Zugegeben, ein Volk ist schwer zu regieren, dessen Waldbild sich nicht vom Weltbild unterscheidet. Stossend ist trotzdem, dass keine einzige Partei dieses Anliegen aufgegriffen hat und fordert, den Waldboden von unreinlichem Holz zu befreien und mit abwaschbaren Kacheln auszulegen. Doch wer will so was von denselben Parteien erwarten, die sich in den nächsten vier Jahren wieder streitend durch das Dickicht der Konkordanz kämpfen werden, statt endlich damit Kleinholz zu machen.

2017