Viktor Giacobbo

Wie weiter mit der politischen Satire in der Schweiz nach dem Aus von «Giacobbo/Müller»? Talente gäbe es genug. Nur fehlt dem SRF der Mut, auf sie zu setzen.

Am Abschiedsabend von «Giacobbo/Müller» sass die Kulturintelligenz der Schweiz im Zürcher Kaufleuten und lachte über Scherze, die genau das waren: Scherze. Nicht besonders beissend, nicht besonders böse, eher bieder als bitter. Es war die letzte Wiederholung eines wohligen Rituals. Viktor Giacobbo und Mike Müller machten Satire für alle. Ihre Sendung war eine der letzten im Schweizer TV, die dieses Lagerfeuer­gefühl wie früher «Wetten, dass …?» oder «Benissimo» vermittelten. Eine Sendung, die jeder schaut, und selbst wenn man sie nicht schaut, hat man zumindest eine Meinung dazu.

Das allein war schon eine Leistung. Eine zweite, unterschätzte, war die grosse Bühne, welche die Sendung für Talente darstellte. Giacobbo und Müller betrieben genau die Nachwuchsförderung, die man beim Schweizer Fernsehen seit Jahrzehnten vernachlässigt. Und so ist das Ende von «Giacobbo/Müller» doppelt bitter: Ab sofort findet keine politische Satire mehr statt, weil jene ­Talente, die erst durch die zwei SRF-Haussatiriker einem breiten Publikum bekannt gemacht wurden, nicht jene ­Lücke füllen dürfen, die das Aus von «Giacobbo/Müller» hinterlässt. So viel Talent. Und so wenig Platz.

«Wir müssen aufhören, uns immer zu fragen, was das SRF für uns machen soll», sagt Renato Kaiser, «und es einfach selber tun!» Kaiser ist eines dieser Talente, ein Slampoet wie viele der hochbegabten jungen Satiriker, und schon seit Jahren zumindest eine feste Kleinkunstgrösse. Der 31-jährige Ostschweizer hat – lange, bevor in hiesigen Zeitungen das Fehlen eines echten Schweizer Politkabaretts beklagt und sehnsüchtig in die Romandie und nach Deutschland/Österreich/Amerika geblickt wurde – mit einem 20-minütigen Video bewiesen, dass es eben doch geht. Dass man kein zerfressenes politisches System wie in den USA haben muss, um jene Art von investigativ-böser Satire zu schaffen, für die ein John Oliver in der Schweiz so geliebt wird.

Im Video redet Kaiser über die Sozialhilfe und bringt das sperrige Thema auf eine Art und Weise auf den Punkt, dass man sich während der gesamten 20 Minuten fragt: Warum hat das noch niemand vorher gemacht? Die Einseitigkeit der Medien, die sich widersprechenden Forderungen der Politik, das absurde Verhalten der Gemeinden: Kaiser streift viele einzelne Aspekte und verdichtet sie zu einem klaren Bild. Er ist schnell und doch präzise, er verwebt Statistiken und lässt Betroffene zu Wort kommen. Eigentlich macht er Journalismus – einfach in lustig.

So viral, wie es geht

Das Video entstand im Auftrag der Hochschule für Soziale Arbeit in St. Gallen und war auch ein Test. Funktioniert so etwas in der Schweiz? Ist das Publikum gewillt, länger als die zwei, drei Minuten aufzubringen, die es für eines der normalen Videos von Kaiser braucht? «All die Leute, die vorher immer gesagt haben, das gehe nicht, haben es wohl noch nicht ausprobiert», sagt Kaiser, der von der Resonanz auf das Video selber überrascht war. Über 160’000-mal wurde es auf Facebook aufgerufen, für Schweizer Verhältnisse ist das so viral, wie es nur geht. Kaiser arbeitet nun an einem ausgebauten Konzept und trifft sich in diesen Tagen mit verschiedenen Interessenten. In der Schweiz gebe es viele Themen, die sich auf diese Weise einem breiteren Publikum präsentieren liessen.

Comedian Michael Elsener war regelmässig Gast bei «Giacobbo/Müller» und versucht, der politischen Satire in der Schweiz auf eine ähnliche Weise wie Renato Kaiser eine neue Sinnhaftigkeit zu verleihen. Seit einem Jahr veröffentlicht der 31-Jährige auf seinem Youtube-Kanal «Comedy Essays», in denen er das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, Lobbyismus oder das populistische Phänomen zu ergründen sucht. «Alles Themen, die ein breiteres und jüngeres Publikum verdienten», sagt Elsener. In einer Zeit, in der die Nachrichten pausenlos auf einen einprasselten, brauche es Autoren, Feuilletonisten oder eben Comedians, die einen Schritt zurück machten und versuchten, das grosse Bild zu zeichnen. «Ohne politische Satire ist unsere aktuelle Zeit nur schwer auszuhalten.»

Kaiser und Elsener sind nicht die einzigen jungen Schweizer, die nach dem Aus von «Giacobbo/Müller» politische Satire machen. Da sind ausserdem: der nach wie vor zu wenig bekannte Gabriel Vetter, ein Ausnahmetalent auf vielen Kanälen mit aktuellem Stand-up-Programm; Lara Stoll, die experimentierfreudiges, sehr politisches und sehr böses Halbfernsehen macht; Laurin Buser, der schlaue Texte schreibt und neu auch Theater macht. Nils Althaus ist mit seinem vierten Soloprogramm unterwegs. Satire sei wie die Zeugen Jehovas, sagt er darin: Sie müsse ein wenig nerven. Und Hazel Brugger ist schon fast zu gross für die Schweiz und dabei, in Deutschland zur Marke zu werden.

Sie alle stehen für eine neue Art von Schweizer Satire. Die hat nichts mehr mit dem muffigen, sozialdemokratischen Politkabarett der 70er-Jahre zu tun. Sie ist böser, schwärzer, mehr ­Nische als Mainstream – und darum vielleicht auch gar nicht fürs Schweizer Fernsehen übersetzbar. Auf jeden Fall nicht im Hauptabendprogramm. In Deutschland versuchen ARD und ZDF seit vergangenem Herbst, das dortige Potenzial von Slam-Poeten, Youtubern und Videobloggern mit einer eigenen Plattform im Internet abzuholen. «Funk» heisst das Projekt und zielt auf jene junge Publikumsschicht, die sich schon lange vom linearen Fernsehen verabschiedet hat.

Ein Klima der Angst

Wahrscheinlich ist sogar ein solches Projekt fürs Schweizer Fernsehen zu heikel. Man darf die Auswirkungen, welche die nur hauchdünn gewonnene Abstimmung über das neue Radio- und TV-Gesetz im Sommer 2015 hatte, nicht unterschätzen. Ebenso wenig die nun anrollende Service-public-Debatte und die «No Billag»-Initiative. In ganz anderem Ausmass als früher ist das Schweizer Fernsehen auf Ausgewogenheit bedacht. In einem solchen Klima hat es alles schwer, was potenziell für Irritationen sorgen könnte.

Aber die Frage darf man sich schon stellen: Ist es nicht eine falsche Vorstellung, mit seinen Sendungen immer das breitestmögliche Publikum abholen zu müssen? Sollte ein Sender, gerade wenn er angeblich dem Service public verpflichtet ist, nicht auch etwas wagen? Auch mal unbequem sein? Selbst wenn das bedeutet, für einmal nicht allen zu gefallen.

Die Überwindung der Biederkeit

31. Dezember 2016, Tages-Anzeiger, von Philipp Loser

Wie weiter mit der politischen Satire in der Schweiz nach dem Aus von «Giacobbo/Müller»? Talente gäbe es genug. Nur fehlt […]

Zum Abschied von «Giacobbo/Müller»: Eine politische Würdigung von neun Jahren «Late Service Public».

Wir Schweizer sind Opfer unseres Systems. Staunend und gruselnd sitzen wir da und schauen nach Amerika. Nach Deutschland. Frankreich oder Grossbritannien. Wie viel grösser und bedeutender uns das alles doch vorkommt. Wie viel wichtiger.

Nicht nur die Politik per se – sondern auch wie darüber geredet wird. Satiriker Jon Stewart prägte unser Bild der Bush- und Obama-Jahre. John Oliver bringt uns Abgründe des amerikanischen Systems näher (und was für Abgründe das sind). In Grossbritannien seziert Charlie Brooker die aristokratische Politiker-Klasse in einer Schärfe, die wir uns nicht gewohnt sind. «Stermann & Grissemann» sind unsere liebsten Österreicher. Es gibt die «Heute-Show» in Deutschland, die «Anstalt» und natürlich Jan Böhmermann.

Und wir?

Wir haben noch bis Sonntag Viktor Giacobbo und Mike Müller. Unter Kultur- und anderen Journalisten hat sich in den vergangenen Jahren ein starker Konsens gebildet, was wir von der Sendung zu halten haben. Die Einspieler sind meist okay und manchmal sogar lustig. Die Witze platt («Wer ist hier dick?»), die Interviews mit den Politikern brav und im schlimmsten Fall fraternisierend. Konsens ist auch, dass man die ausländischen Sendungen so viel besser findet; die Olivers und Stewarts und Böhmermanns. «Warum macht in diesem Land niemand ernsthaftes politisches Kabarett?»

Diese Erzählung wird den beiden Satirikern nicht gerecht. Und bevor die beiden am Sonntag dem Publikum zum letzten Mal – auch hier: gutschweizerisch – «e guete Obe» wünschen, ist es Zeit für eine Ehrenrettung. Denn so klein, wie die (politische) Leistung der beiden manchmal gemacht wird, ist sie nicht.

Dabei darf man gerne grundsätzlich werden: «Late Service Public» (und die Vorgängersendungen von Viktor Giacobbo) haben der Schweizer Politik eine Bühne und ein Publikum gegeben, die sie vorher nicht hatte. «Uns haben oft mittelalterliche Eltern erzählt, dass sie mit ihren halbwüchsigen Kindern unsere Show gucken. Und umgekehrt bestätigten uns Jugendliche, dass unsere Show ihr Interesse für Politik weckte. Das war für uns eigentlich immer das grösste Kompliment», sagt Mike Müller selber. Und er hat recht! Da können Politikjournalisten noch so schlaue Leitartikel schreiben, aufsehenerregende Recherchen veröffentlichen und hochtourige Diskussionssendungen organisieren: Sie werden niemals die gleichen Leute erreichen, niemals so niederschwellig sein, wie das «Giacobbo/Müller» während der acht Jahre ihrer Sendung waren. Da gibt es dann halt zuerst zwei Witze über den Bauch von Mike Müller und später drei halbe Pointen über das Alter und die Ohren von Viktor Giacobbo. Aber dazwischen verhandeln die beiden die Lächerlichkeit einer Minarett-Abstimmung, entlarven das Nachgeplappere von Christoph Blocher und Roger Köppel (und vice versa) und stellen dem Präsidenten der SP jene Frage, die normalen Journalisten eben nicht in den Sinn kommt.

Die Schweiz als Konsens

Nach der Wahl von Donald Trump war in der Schweiz oft die Rede davon, wie die direkte Demokratie als System einen zu tiefen Graben zwischen denen da oben und denen da unten verhindere. Warum diese Analyse stimmt, sah man in den vergangenen Jahren jeweils am Sonntagabend: «Giacobbo/Müller» waren Ausdruck dieses nicht vorhandenen Grabens. Banales und Hochpolitisches, Kindisches und halb Ernstes: Es geht eben beides. Es ist normal. Die Schweiz als Konsens, als Land des Ausgleichs und der Konkordanz, als ein Land, wo man alle Fragen von allen verhandeln lässt, wo die Mächtigen nicht ganz so mächtig und die Hilflosen nicht ganz so hilflos sind: Das war «Giacobbo/Müller». Es sind Sendungen wie ihre, in denen all diese theoretischen Schweiz-Begriffe plötzlich eine Bedeutung erhalten und – wenn auch indirekt – einem breiten Publikum fassbar gemacht werden.

Und abgesehen davon, waren die beiden oft auch einfach nur lustig. Ueli Maurer wird man nie mehr nur als Ueli Maurer denken können, sondern immer auch als dümmlich grinsende Parodie seiner selbst. Die Hilflosigkeit von Bundesrat Johann Schneider-Ammann bei allem, was mit direkter Rede zu tun hat; die glucksende Diktion von Roger Köppel; das «wüsset Si» von Christoph Mörgeli; das wiehernde Gelächter von Toni Brunner oder das verschnupfte Bündnerdeutsch der Baselbieterin (!) Susanne Leutenegger Oberholzer: Viktor Giacobbo und Mike Müller haben die Aussenwahrnehmung vieler Politikerinnen und Politiker nachhaltig geprägt. Sie haben auch, und das ging manchmal etwas unter, das Bewusstsein der Menschen für Schlagzeilen geschärft. Dass ein Thema nicht immer so ernst ist, wie es in den Medien oft verhandelt wird. Dass es manchmal viel schneller und lustiger erzählt werden kann.

Dass wir in diesem Land nicht immer die ganz grossen Fragen behandeln, dass unser politisches Personal eher zum Durchschnitt als zur Brillanz tendiert: Es ist nicht die Schuld von «Giacobbo/Müller». Sie taten, was sie konnten. Und wenn man jetzt überlegt, dass ihr Sendeplatz in Zukunft von Kurt Aeschbacher belegt wird, darf man zu Recht sagen: Sie werden fehlen.

 

Eine Sendung wie die Schweiz

9. Dezember 2016, Tages-Anzeiger, von Philipp Loser

Zum Abschied von «Giacobbo/Müller»: Eine politische Würdigung von neun Jahren «Late Service Public». Wir Schweizer sind Opfer unseres Systems. Staunend […]

2017