Viktor Giacobbo

Was macht gute Boulevardkomödien aus? Ein Gespräch mit dem Satiriker Viktor Giacobbo, der in der ­Komödie «Alonso» des Casinotheaters Regie führt.

In der Komödie «Alonso», die am Donnerstag im Casinotheater Premiere feiert, geht es um zwei Paare und Untreue. Und um einen Hund, der Betrug und Unwahrheit wittert. Was reizt Sie an diesem Thema?

Viktor Giacobbo: Es ist eine Boulevardkomödie, zwei der Part- ner gehen diagonal miteinander fremd. Der Haushalt, in dem sich das abspielt, ist bieder. Die Ehefrau ist etwas ratlos, weil der Sohn gerade von zu Hause ausgezogen ist. Diese Frau hat mit dem Mann ihrer besten Freundin ein Verhältnis, und zwar seit Jahren. Nun besitzt ihre vermeintlich beste Freundin eine Tierhandlung und schenkt ihr dann, weil sie ja wieder eine Aufgabe braucht, einen Hund. Das ist ein mexikanischer Nackthund, ein Xoloitzcuintle.

Den gibt es also wirklich?

Den gibt es. Es handelt sich um eine mit Mythen beladene Rasse, die jahrhunderte- oder sogar jahrtausendealt ist und mit den Azteken in Verbindung gebracht wird. Der Nackthund hat eine ledrige Haut und keine Haare. Mit der Zeit merkt das beschenkte Paar, dass der Hund auf die Bewohner unterschiedlich reagiert. Und die beiden, die betrügen, finden heraus, dass der Hund immer dann angibt, wenn sie lügen oder sich berühren. Die Freundschaft und mindestens eine Ehe gehen dabei zu Bruch. Das Ganze endet explosiv und mit einer Überraschung.

Braucht es bei Seitensprüngen Wahrheit?

Ich weiss nicht, ob es das braucht, ich weiss nur, dass Betrug und So-tun-als-ob eine gute Grundlage für Komik sind. Die Handlung ist im Alltag angesiedelt, andererseits kommt dieser exotische Hund vor. Dieser Mix gefällt mir, trotz der im Grunde genommen sehr biederen Anlage. Aber die Rollen sind ein gefundenes Fressen für gute Schauspieler. Von Stefan Vögel stammte bereits «Achtung Schwiiz», das Erfolgsstück vom letzten Jahr. Er ist selbst Kabarettist und zurzeit einer der erfolgreichsten Autoren von Boulevardkomödien.

Und über ihn sind Sie auf das neue Stück gekommen.

Ja, er selbst meinte, sein neues Stück sei sein interessantestes. Daraufhin haben wir es gelesen, nebst anderen Stücken, und gefunden, dass es passt. Für unsere Eigenproduktion brauchen wir jeweils ein Mainstream-Stück, bei dem man das Hirn nicht abschalten muss. Mit einem Wort, eine intelligente Boulevardko­mödie.

Wer wählt die Stücke aus?

Wir haben eine Stückauswahlgruppe mit Mike Müller, Patrick Frey, Domenico Blass und ein paar weiteren, wenn sie Zeit haben. Und dem künstlerischen Leiter Nik Leuenberger natürlich.

Der Seitensprung und die Frage, ob und wie er auffliegt, ist das Kernthema des Boulevardtheaters. Was macht eine gute Boulevardkomödie aus?

Sie ist dann gut, wenn man sie nicht boulevardesk spielt. Das heisst, die Schauspieler treten nicht an die Rampe und werfen die Pointen fast mit einem Zwinkern ins Publikum. Selbst relativ bescheidene Boulevardkomödien lassen sich so inszenieren, dass sie glaubwürdig wirken. Natürlich gibt es in «Alonso» Pointen. Aber streckenweise wird das Stück zum reinen Drama.

Auf Ihrer Bücherliste, die Sie auf Ihrer Website veröffent­lichen, finden sich so intellektuelle Autoren wie Marlene Streeruwitz und Thomas Pynchon. Gehen Sie mit dem Boulevard nicht unter Ihr Niveau?

Nein, denn in meiner Kunst gibt es den Begriff Niveau eigentlich nicht, ich bevorzuge den Begriff des Genre. In Niveauunterschieden wird vor allem in Mitteleuropa gedacht, Deutschland und die Schweiz sind besonders gefährdet, hier sind E-Kunst und U-Kunst streng getrennt. Die Angelsachsen machen das viel eleganter. Ein Filmregisseur wie Martin Scorsese ist sich nicht zu schade, auch mal einen Werbefilm zu ­machen. Selbst die berühmtesten Schauspieler machen ab und zu am Broadway in einer ruppigen Komödie mit. Robert Gernhardt hat es auf den Punkt gebracht, es ist eines meiner Lieblingszitate: «Es gibt so wenig niveauvolle Komik, wie es einen niveauvollen Orgasmus gibt.»

Man muss den Punkt finden, an dem es funktioniert.

Ja. Schliesslich mache ich Unterhaltung. Gut, Satire hat immer ein wenig mit Niveau zu tun, wenn man das Wort verwenden will. Aber wenn ich Komik mache, lese ich zum Beispiel selten komische Bücher.

Nach welchen Kriterien lesen Sie Ihre Bücher aus?

Da gibt es keine Kriterien. Es gibt Autoren wie Ian McEwan, von denen ich jedes Buch lese. Von anderen, deren Namen man oft hört, nimmt es mich dann einmal wunder, wie sie schreiben. So kam ich auf Hilary Mantel, von der lese ich seither auch alles. Die Literatur liegt mir auch deshalb am Herzen, weil ich beim Zürcher Verlag Kein & Aber im Verwaltungsrat bin.

Sie waren früher einmal Korrektor beim «Landboten». Wie kamen Sie zum Theater?

Ich hatte Schriftsetzer gelernt, und vor einer grossen Reise jobbte ich beim «Landboten» und setzte die Todesanzeigen. Später ar­bei­te­te ich hier auch als Korrektor. Ich hatte die Sprache immer gern. Zur Satire und zum Kabarett wollte ich von Anfang an, ich machte bereits Schulaufführungen und imitierte meine Lehrer. Ich wusste aber, dass ich eine Lehre machen musste, um später das machen zu können, was ich wollte. Zuerst dachte ich an eine Schauspielschule, merkte aber bald, dass das klassische Theater nicht mein Ding war. Ich wollte selber Texte schreiben, was ich dann mit verschiedenen Gruppen auch tat, von amateurhaften bis zu professionellen. So etwa bei den Stuzzicadenti. Wir machten Rock-Kabarett, wenn man so will.

Kommt es vor, dass Ihnen ­langweilig ist?

Nein, das kenne ich nicht. Es gibt gute Zeiten, wenn ich nichts zu tun habe, zum Beispiel wenn ich auf Reisen bin. Ich kann sehr gut faul sein und ausspannen. Das hat aber nichts mit Langeweile zu tun.

Keine Frage des Niveaus

29. August 2015, Landbote, von Helmut Dworschak

Was macht gute Boulevardkomödien aus? Ein Gespräch mit dem Satiriker Viktor Giacobbo, der in der ­Komödie «Alonso» des Casinotheaters Regie […]

Heute wird Viktor Giacobbo sechzig. Und noch immer ist vollkommen unklar, wer dieser Mann eigentlich ist.Lieber rede er über Themen, die ihn wenigstens ein bisschen interessieren, sagte er kürzlich in einem Interview auf die Frage, weshalb er selten über sich Auskunft gebe. Befragen wir deshalb Viktor Giacobbos Musik- und Literaturgeschmack. Der lässt sich anhand der «CD-Playlist» und der Bücherliste auf seiner Website ermitteln.

Beginnen wir mit den Büchern. Giacobbo mag es voluminös, er ist folglich ein ausdauernder Leser. Ganz zuoberst steht «2666» des chilenischen Autors Roberto Bolaño. Der über tausend Seiten starke, erst posthum erschienene Roman setzt mit einer Mordserie ein, die sich an der mexikanisch-amerikanischen Grenze ereignet und dann immer weitere Kreise zieht, um schliesslich ein rabenschwarzes Bild des 20. Jahrhunderts zu zeichnen.

Aufs Ganze geht auch Haruki Murakami in seiner Romanserie «1Q84», die inzwischen bei «Buch 3» angelangt ist. Ähnlich wie Bolaño schickt sich der japanische Autor an, den inneren Kern der Gesellschaft zu ergründen, dabei stösst er auf ein dunkles Konglomerat aus geheimen Machtzentren, skrupel- loser Gewalt und fixen Ideen.

Daraus schliessen wir messerscharf: Wie weiland Faust möchte Giacobbo wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die faustische Frage trieb auch Friedrich Dürrenmatt um, der im Verbrechen eine zentrale Antriebskraft vermutete; die umfangreiche Dürrenmatt-Biografie von Peter Rüedi («Dürrenmatt oder Die Ahnung vom Ganzen») steht ebenfalls auf der Liste.

Dicke Post ist das, die man nicht so einfach aus der Hand legt mit dem beruhigenden Gedanken: «Es kommt schon gut.» Eher wird man zum Denken angeregt. Ganz besonders ist das bei Philip Roth der Fall. Von ihm hat Giacobbo «Nemesis» auf der Liste, ein Werk von archaischer Kraft, das Sigmund Freuds Einsicht bestätigt, dass das Glück von der Natur nicht vorgesehen sei. Unterhaltsamer, wobei man seinen Tiefgang nicht unterschätzen sollte, ist der Wiener Schriftsteller Wolf Haas («Auferstehung der Toten»).

Ein Intellektueller

Um die Übersicht zu erleichtern, blenden wir nun das Zwischenergebnis ein. Es mag all jene überraschen, die in Viktor Giacobbo vor allem einen harmlosen Spassmacher sehen: In ihm steckt ein intellektueller Mensch, der sich fürs grosse Ganze interessiert.

Auch in der Musik schätzt Giacobbo Dinge mit geschärftem Profil. Seine Liste umfasst ausschliesslich Rock, mit Ausfahrten in Richtung Folk (zum Beispiel Emmylou Harris) und Country («The Lost Notebooks of Hank Williams»). Fast ganz oben steht zweimal Jack White, zum einen mit den (inzwischen aufgelösten) White Stripes, zum andern mit der genialischen Band The Dead Weather; von den Ersteren das überragende «De Stijl», ein Album voll roher und ergreifender Musik.

Für eine würzig-männliche Note sorgt der unvermeidliche Aufbruch ohne Rückkehr, der in keinem guten Western fehlen darf und etwa von den Avett Brothers im feinen Folk-Album «I and Love and You» vorgetragen wird: «Load? the car and write the note / Grab your bag and grab your coat / Tell the ones that need to know / We are headed north …» beginnt der Titelsong. Auf der Liste ferner die dunkel-euphorischen Kanadier Arcade Fire («The Suburbs»), die Country-Rocker Wilco («The Whole Love») und die vielseitigen Cake aus Kalifornien («Showroom of Compassion»).

Giacobbo schätzt in der Musik edlere Fabrikate der höheren Preisklasse, die sich schon etwas bewährt haben, er ist aber durchaus bereit, Jüngeren eine Chance zu geben – solange sie aus Übersee stammen wie Manchester Orchestra aus Atlanta («Simple Math») und Okkervil River aus Austin, Texas («Im Am Very Far») – oder zumindest eine Verbindung dahin nachweisen können wie das schwedische Folk-Duo First Aid Kit («The Lion’s Roar»), das sage und schreibe auf Platz eins rangiert: zwei blutjunge Sängerinnen um die zwanzig, die mit einem Coversong der Fleet Foxes bekannt wurden.

Ein Zug ins Weite

Hinweise auf heimatgeschützte Produkte aus Switzerland, wie sie Fernsehprominente gerne geben, sucht man vergebens, auch finden sich keine Liedermacher, Panflöten und Streichquartette, ja nicht einmal Britpop. Erdverbunden muss es sein statt kopflastig, rockig im weitesten Sinn, einen Zug ins Weite soll es haben – der ferne Horizont leistet hier dasselbe wie bei den dicken Büchern der Tiefgang: Das Ende darf so schnell nicht abzusehen sein.

Zum Interesse an der Welt als Ganzes, soweit sie in Form von Geschichten präsentiert wird, treten somit die in der amerikanischen Musik gegenwärtigen Mythen; zur Freude am Auffinden verborgener Zusammenhänge tritt der Wunsch, aufzubrechen und alte Illu­sionen hinter sich zu lassen.

Was ist das also für ein Mensch? Wir vermuten, ein neugieriger, unternehmerischer Geist – er wird heute, das erwähnten wir bereits, sechzig Jahre alt. Herzliche Gratulation.

Herr Giacobbo, wer sind Sie eigentlich?

6. Februar 2012, Landbote, von Helmut Dworschak

Heute wird Viktor Giacobbo sechzig. Und noch immer ist vollkommen unklar, wer dieser Mann eigentlich ist.Lieber rede er über Themen, […]

2017