Viktor Giacobbo

Zwölf Jahre „Viktors Spätprogramm“: Das reicht. Viktor Giacobbo muss sich neu erfinden.

Freund Thomas und ich sassen vor dem Fernseher, am vorletzten Mittwoch, tranken Bier und schauten Giacobbo. So, wie wir das immer tun, wenn „Viktors Spätprogramm“ läuft. Der kurze Mann mit den langen Ohren, ungelenk, wie wir ihn lieben, stakste an den Bühnenrand im Zürcher Kaufleuten, von wo seine Sendung alle paar Wochen live ausgestrahlt wird, bleckte seine Zähne, die wir so lieben, grinste sein Grinsen, das wir so lieben, und sagte zum Publikum: „Sie sehen heute so extrem nach Spassgesellschaft aus.“
Thomas setzte das Bier ab und sagte: „Da ist was faul heute.“ Ich sagte: „Kommt schon noch.“
Nach ein paar Zoten über „Blick“ und Borer, Schumacher und Wolfhalden, Kirche und Kinder ging Giacobbo an die Bar zu Patrick Frey, wie er es in jeder Sendung tut. Frey, mit dunkel umzäunter Brille, in seiner Rolle des Herrn Dr. Stolte-Benrath, Experte für alles, sagte seinen Text, machte aus Nahost einen grossen Zoo, sprach von „artgerechter Haltung der Palästinenser“, vom „Alpha-Tier Arafat“ und dessen israelischen Wärtern und wollte auch sonst so gemein sein, wie er aussieht. Doch statt guter Satire kam nur gute Gesinnung heraus. Zudem stotterte er. Es lief nicht. Auch Giacobbo stotterte. Sein Grinsen gerann ihm zur Fratze. Die Fratze sagte: „Herr Stolte-Benrath, heute sind Sie gar nicht so lustig wie sonst.“
Thomas sagte: „Wo er Recht hat.“ Ich: „Irgendetwas ist faul heute.“
Dann folgte, wie immer an der Stelle, der Auftritt der Mitspieler fürs Interview: Ernst Mühlemann als Ex-FDP-Nationalrat und „SonntagsBlick“-Autor, Roger Köppel als „Weltwoche“-Chefredaktor und Viktor Giacobbo in der schwächsten seiner vielen Rollen, als Viktor Giacobbo. Das versprach mehr Zunder als beim letzten Mal, als die ebenso aalglatte wie humorfreie freisinnige Anstandsdame Maya Lalive D’Epinay und ein vierschrötiger Ostschweizer Bauer namens Elmar Bigger, angeblich ein SVP-Nationalrat, ein Mann jedenfalls, der keinerlei Hilfe bedarf, um sich zu blamieren, auf den Sesseln sassen.
Köppel, Mühlemann, Giacobbo lächelten. Man kennt sich. Viktor ist mit Roger und Ernst per du, Ernst war schon öfter da. Eine geheime Übereinkunft sprach aus den Gesichtern: Gell, wir tun einander nicht weh. Aber ein bisschen so aussehen lassen wollen wirs schon. Und darum sagte Ernst mit gewichtiger Miene: „Deine Sendung ist ja das gefährlichste Minenfeld der Schweizer Medienlandschaft.“ Prompt wollte Viktor kritisch werden, stellte Fragen zur Macht der Medien, zu Borer, Ringier und Deiss. Ernst parierte mit einer kollegialen Pointe: „Viktor, ich habe gehört, du warst stellvertretender Botschafter in Havanna. Jetzt wirst du wahrscheinlich Botschafter in Berlin.“ Viktor sagte: „Das lassen wir jetzt mal.“
„Ach, nein, so geht das nicht“, sagte Thomas. „Warum nicht?“, fragte ich. „Weil alle, die bei Giacobbo sind, versuchen, Giacobbo zu sein.“
Am Ende der Unkorrektheit Da hatte Thomas Recht. Er hat immer Recht. Bei ihm, Giacobbo, dem Satiriker, dem Zyniker, der nichts ernst nimmt, da darf jeder lustig und sympathisch sein, heisse er Giezendanner, Mühlemann oder Ziegler. Denn der Viktor ist ja selber so ein Spassvogel. Und werden seine Fragen mal scharf, so heisst es: Saletti zäme! Viktor, du bist mir einer! Was du da wieder fragst! So löst sich alles auf in wohlig-warmer Duzbrüderschaft und Uneigentlichkeit. Denn Giacobbo fehlt die Souveränität eines Harald Schmidt, der mit Höflichkeit Distanz zu seinen Gästen schafft. Es fehlt ihm aber auch die kalte Kompetenz des ARD-Polit-Talkmasters Michel Friedman, der durch echte Aggression sein Gegenüber herauszufordern versteht.
Ich sagte: „Der soll jetzt mal einen Sketch bringen.“ Thomas: „Genau.“
Und es kam ein Sketch. Einer über die Krise des Schweizer Fussballs. Es traten darin auf: Raimondo Ponte als Fachidiot, ein Spielervermittler namens Jack Boppeler mit dem Berufsethos eines Sklavenhändlers und ein schwarzafrikanischer Despot mit Leopardenfellmütze und Akzentfranzösisch, der den 1. FC Affoltern gekauft hatte, um ihn in die Nationalliga A zu führen. Die Dialoge boten durchaus ein paar hübsche rassistische Scherze. Trotzdem lachte Thomas nicht. Ich auch nicht. Ich sagte zu Thomas: „Du lachst ja gar nicht.“ Er sagte: „Du auch nicht.“ Wir fingen an, noch während der Sketch lief, uns alte Giacobbos zu erzählen. Bessere. „Da gabs doch mal den“, sagte ich, „wo Ueli Maurer einen Eignungstest mit jungen Neonazis durchführt, die der SVP beitreten wollen. Super.“ „Fredi Hinz vor der Antirassismus-Kommission, der war gut“, warf Thomas ein. „Oder dieser Italoschweizer, der dauernd sagt „Kasche magge de gagge“.“ Schöne Erinnerungen.
Die Schweiz verdankt Giacobbo viel. Er hat mit seinen Figuren den schlechten Geschmack humorfähig gemacht. Das will etwas heissen in einem Land, das Frank Baumanns „Ventil“ nicht verkraftete. Harry Hasler, Fredi Hinz, der Inder Rajiv, Debbie Möteli – sie waren helvetische Pioniere des Anti-PC, der Pointen wider die politische Korrektheit. Aber die Mission ist längst erfüllt, die Botschaft, das nichts vor dem Zugriff der Satire geschützt werden darf, lange schon verstanden. Über Ausländer, Hitler, Frisösen, Behinderte, Volksparteiler, Secondos, Uriella und andere Minder- und Mehrheiten lacht heute jeder Schrebergärtner. Es gibt keine politische Korrektheit mehr, ergo auch keine Unkorrektheit.
Thomas fragte: „Wie lange macht der das eigentlich schon?“ Ich: „Zwölf Jahre.“ Thomas: „Das ist lang.“
Falsche Vorwürfe Giacobbo, der gerne als „Hofnarr der Schweiz“ apostrophiert wird, ist zu ihrem Maskottchen geworden. Alle haben ihn gern. Die „NZZ am Sonntag“ widmete ihm, pünktlich zur Eröffnung seines neuen Casinotheaters in Winterthur, eine Laudatio auf eineinhalb Seiten.
Und wird er doch einmal kritisiert, so sind die Vorwürfe seltsam: Er sei autoritär, dominant, liest man. Gegenargument: Wen kümmerts? Wen gehts etwas an? Er dulde keine Götter neben sich, fördere keine Talente. Gegenargument: Na und? Der Mann ist kein Entwicklungshelfer. Er pflege den Filz, seine Truppe sei fascht e Familie, er monopolisiere den Schweizer Humor. Gegenargument: Das mag schon sein („Spätprogramm“-Autor Markus Köbeli ist der Lebenspartner von „Spätprogramm“-Darstellerin Birgit Steinegger; Ex- oder Noch-Giacobbo-Lebenspartnerin Nadja Sieger trat mit Ursus & Nadeschkin im „Spätprogramm“-Showblock auf; „Spätprogramm“-Stammgast Patrick Frey, Ex-„Kabarett Götterspass“, ist auch Stammgast in der Fernseh-Soap „Lüthi und Blanc“, wo Katja Früh zuweilen das Drehbuch schreibt, die auch bei „Götterspass“, wo auch Beat Schlatter mittat, der auch in „Lüthi und Blanc“ auftritt, Regie führte; Patrick Frey ist gemeinsam mit Giacobbo und anderen Mitinitiant des Casinotheaters Winterthur; „Spätprogramm“-Darsteller Mike Müller tritt auch im Giacobbo-Film „Ernstfall in Havanna“ auf, für den Domenico Blass, der auch fürs „Spätprogramm“ Dialoge erfindet, das Drehbuch schrieb) – aber solang das Resultat stimmt, warum nicht? Die Schweiz ist klein, ihre ganze Wirtschaft ist auf Filz gebaut, warum also nicht auch die Satire.
Die Wahrheit ist einfacher: Giacobbo tut, was er tut, nicht mehr gut. Und deshalb erklären wir, Freund Thomas und ich, den Mittwoch, 17. April 2002, zum Todestag von „Viktors Spätprogramm“, der mutmasslich erfolgreichsten Schweizer Satiresendung aller Zeiten, eine halbe Million Zuschauer pro Sendung, auch Massen können irren. Zwölf Jahre, Viktor: Das Dutzend ist voll. Lass gut sein jetzt, es war schön mit dir. Aber es ist vorbei. Du warst Harry und Fredi, warst Rajiv und Debbie – nun geh und erfinde dich neu. Das ist doch dein Beruf.
Viktor Giacobbo in der schwächsten seiner vielen Rollen: als Viktor Giacobbo

Guido Egli ist „Magazin“-Redaktor (guido.egli@dasmagazin.ch).

Es ist vorbei, Viktor

27. April 2002, Das Magazin, von Guido Mingels

Zwölf Jahre „Viktors Spätprogramm“: Das reicht. Viktor Giacobbo muss sich neu erfinden. Freund Thomas und ich sassen vor dem Fernseher, […]

Seine Figuren sind vertraut wie nahe Verwandte. Nur ihr Schöpfer bleibt ein Rätsel. Gibt es Viktor Giacobbo?

„Ich habe um mich ein professionelles Schutz-Hägli gebaut.“ Er studiert die Gestik. Übt den Tonfall, hört auf das dunkle A und das R, das vorne gesprochen wird. Sie sammelt Fotos von Schweizer (Polit-)Prominenz. Schneidet sie aus, klebt sie auf Papier, und die Papiere füllen einen Bundesordner.
Es kann dann passieren, nicht recht mehr zu wissen, ob nun Ueli Maurer, der eben in eine Fernsehkamera spricht, vielleicht doch nur der verkleidete Giacobbo ist. Der gelockte Haarkranz! Diese Lippen, die an ihren Enden nach oben gezogen sind! Als müsste der SVP-Präsident dauerlächeln.
Es war übrigens der Echte. Und den Echten stört kaum (mehr), versichert er am Telefon, dass ein anderer ihn karikiert. Zwar inhaltlich falsch, diesem Cliché aufhockend, er, der Maurer, sei nur konservativ und obendrein Blocher-hörig. Aber gut. Da er sowieso nur dreissig Minuten im Monat fernsehe, und dann höchstens die Nachrichten, sei die „Verzerrung der Realität“ schade, aber eigentlich auch egal, zumal auf der Strasse „das Anpöbeln von wildfremden Menschen“ endlich aufgehört habe. Die Leute dächten früher, sagt Maurer, sie könnten, wenn das Fernsehen ihn lächerlich mache, Gleiches tun. Ihm auch den Briefkasten verschmieren. Und seine Kinder verhöhnen.
Das wiederum wollte Viktor Giacobbo nicht. So was tut ihm Leid, und er hat auch schon daran gedacht, von dieser Rolle zu lassen. Aber: „Ueli Maurer ist eine öffentliche Person, die sich unzimperlich über andere äussert.“ Von solchen Figuren nährt sich ein Satiriker. Giacobbo sagt das, als er abends in Zürich in einem Restaurant sitzt, wo ihm nicht recht wohl ist, den Kopf wie eingezogen, die Augen in Lauerstellung, weil er es nicht mag, wenn sie, die hinüberschauen, auch noch grosse Ohren machen. Das ist ihm zu nah.
Gehen wir!
Und jetzt ist ein Morgen, draussen am Leutschenbach, die langen fensterlosen Korridore im Fernsehgebäude entlang, zwei Treppen hinunter, ein weiterer Gang führt endlich in den Maskenraum. Dort, auf dem rosa Sessel, sollte er schon sitzen, doch er wird später kommen. Sie ist da. Hat diesen Bundesordner mit den vielen Fotos aufgeschlagen. Hedvika Salzmann ist Maskenbildnerin. Seit es Giacobbo als „Viktor“ in TV-Format gibt, seit zehn Jahren also („Viktors Programm“, dann „Viktors Spätprogramm“), schminkt sie ihm nach Vorlagen andere Gesichter in sein Gesicht. Heute soll er zur Sie werden. Auf einem Styroporkopf liegt das blond gelockte Haar der Christiane Brunner, am Kleiderbügel hängt ein violettes Jäckchen.
Aus Viktor lässt sich einiges machen, schlank und nicht allzu gross ist er, hat Beine, wofür ihn Frauen beneiden, und diese langen Wimpern!, und sein Gesicht hat weiche Konturen, das lässt sich gut schminken, hat keine Ecken und Kanten. Nur die Segelohren muss Hedvika Salzmann manchmal ankleben.
Sie nimmt aus einer Schachtel einen Gipsabdruck seiner Nase. Den braucht sie, wenn Viktor sich in den Inder Rajiv verwandeln soll. Sie giesst dann diesen Abdruck aus, formt mit Kaltschaum eine neue Hülle, die sie ihm über seine Nase stülpt, sie festmacht und hofft, es passiere nicht wieder, dass sich die Klebränder unter seinem Schweiss auflösen und sich der Kunststoff in die Länge zieht. Sie lacht auf. Was hat ihr diese Nase schon schlaflose Nächte bereitet.
Also denkt man, Hedvika Salzmann muss diesen Giacobbo richtig gut kennen. Doch da macht ihr Kopf diese Nein-Bewegung. Sie sagt (was übrigens andere auch sagen, weil sie vielleicht nichts sagen wollen): Der gebe nichts von sich preis. „Ich weiss nicht, wer er ist.“
Und Giacobbo gibt sich später ganz ihren Händen hin. Ihn mal nur beobachten: Er trägt eine schwarze Hose, elegante Damenschuhe; ein eierschalenfarbiger Rollkragenpullover wölbt sich über den ausgestopften Büstenhalter, der immer droht, hochzurutschen. Das Make-up, das sie ihm aufträgt, verändert ihn sofort. Puder, abgedecktes Barthaar, blauer Lidschatten, „das muss bei Frau Brunner sein“, schwarze Wimperntusche; mit einem Stift zieht Hedvika Salzmann die Augenbrauen nach – der Blick auf die Fotos im Ordner, Rouge nun über die Lippen, und wie er gekonnt mit der Zunge schnalzt, und es stossen immer wieder Sätze aus seinem Mund, sozusagen Sprachübungen: I-bi-di-Fraaau-us-Geeenf, das R hinten gerollt, etwas tranig im Tonfall, einzelne Silben in die Länge gezogen. Man ist in seinem Bann.
Hat doch auch Hedvika Salzmann erzählt, wie Viktor schon beim ersten Pinselstrich in die Rolle des andern schlüpft: „Er übernimmt sofort Mimik und Gestik, spricht, wie die sprechen. Ich glaube, er lebt mit seinen Figuren.“
So soll es schon vorgekommen sein, dass er, das heisst, dass Harry Hasler – als er fertig geschminkt, das Brustfell und der Schnauz geklebt – aufgestanden sei, den Kaugummi hineingeschoben und beim Hinausgehen anzüglich bemerkt habe: Du bisch au e schöni Chatz!
Der kommt als Viktor Giacobbo und geht als Harry Hasler.
Die Verwandlung
Viktor Giacobbo sitzt in der Fernsehkantine. Trinkt ein Mineralwasser. Hier fällt er nicht auf. Weil hier viele sitzen, deren Köpfe auf dem Bildschirm erscheinen. Er ist 48, wirkt jünger, kleine blaue Augen hinter Brillenglas, und er hat diese Frage erwartet, natürlich, und weil sie ihm so oft gestellt wird, will er darüber gar nicht lange nachdenken: Die Figuren, die er spielt, haben nichts mit ihm zu tun. Es gibt ja nun die, die sagen, er könnte sie nicht so spielen, wenn sie nicht Teil seines Wesens seien. Und es gibt jene, die vermuten, Giacobbo schlüpfe in diese Rollen, um sich hinter ihnen zu verstecken.
Lasst sie nur alle psychologisieren!
Es ist ein Spiel. Und er spielt es gerne. „Es ist müssig“, sagt er, „darüber nachzudenken, was ich mit meinen Figuren gemeinsam habe. Darüber zu rätseln, überlasse ich andern“ – die formulierten dann schon, wie viel Macho er von Harry Hasler habe, wie viele weibliche Anteile von Debbie Mötteli. Ihn, den Macher, kümmert anderes, vor allem, „wie Komik im Umfeld von Fernsehtechnik funktioniert“.
Alle vier Wochen fünfzig Sendeminuten füllen. Aus vielen Teilen ein Ganzes formen. Film und Live zusammenbringen. Ideen haben, die auch tauglich sind, wenn man sie in Bilder umsetzt. Präzises Schaffen. Und zwischendurch sich fragen (das macht Giacobbo): Wozu das alles? Mit sich hadern, an sich zweifeln, an der kreativen Arbeit leiden.
Allein die Verwandlung. Als Debbie Mötteli trägt er einen Body, damit der Busen immer schön an Ort bleibt, doch wenn sie mal muss, ist das ganz mühsam, weil er mit diesen aufgeklebten, rot lackierten Fingernägeln kaum die Knöpfe aufbringt. Ein Detail bloss. Äusserlich, erzählt Viktor Giacobbo, sei er zwar Frau Mötteli oder Fredi Hinz oder Doktor Klöti. Aber „innerlich“ ist er der Arbeiter, der an den Text denken muss, an die Bewegung, diesen Schritt nach links und den zurück, und auf welcher Kamera bin ich? Auf die Uhr gucken, weil die Zeit fast alles ist am Fernsehen. Hinzu kommt, dass die Jacke von Harry Hasler plötzlich schwer wird, und der Schnauz, fällt er nicht gleich ab? So ist das. Das wohl Schwierigste sei, „bei allem Stress immer in der Figur zu bleiben“.
Ein Spiel mit Grenzen
Das Gesicht ist geschminkt, der Haaransatz mit einem Verband abgedeckt. Darüber kommt die blond gelockte Perücke. Aber hallo! Er lächelt, aber noch ist Christiane Brunner nicht ganz perfekt: Er rollt aus einem Papier ein Gebiss, „ihre Zähne!“, die seine Zahntechnikerin auf Grund einer Fotografie extra angefertigt hat. Et voilà! Sie geht aus der Maske, und sein Schritt ist anders, und im Auto, das zum Drehort fährt, sitzt er nicht wie sonst breitbeinig. Man erkennt ihn. Wirft aber wieder einen Blick auf sie. Bilder schieben sich übereinander. Seine Stimme, ihr Tonfall. Die Haltung.
Man ist irritiert.
Je länger der Drehtag dauern wird, desto fremder wird einem Giacobbo. Wobei (und immer wieder): Wer ist überhaupt Giacobbo?
Er lacht.
Seinen Figuren hat er Leben eingehaucht. Es ist, als wüsste man, wie bei Doktor Klöti die Bücherwand aussieht, und dass Erwin Bischofberger bestimmt ganz genau Buch führt über jeden Liter Milch, den er kauft. Man kennt Herrn Haslers Sexprobleme. Man erinnert sich an Debbie Mötteli, wie sie bei der TV-Moderatorin und Sängerin Sandra Studer (die G. und ein Kamerateam an einem frühen Morgen überrumpelt hat) bis ins Schlafzimmer hineingestöckelt ist und ganz unverschämt im Intimsten herumgewühlt hat. Auch als Gesprächs-„Viktor“ kann er zu einem Gast ganz schön frech sein. Bis tief ins Herz des andern hinein dringen.
Aber er?
Er setzt Grenzen. Das Private ist privat. Da wird er knapp beim Reden. Weicht aus, lenkt ab und mauert. Er zeigt das „Allerinnerste“ nur wenigen Menschen. „Ich habe um mich ein professionelles Schutz-Hägli gebaut.“ Er findet es „widerwärtig“, wenn Leute ihr Privatestes (die Liebe und die Trennung) in der Öffentlichkeit ausbreiten. Und deshalb, „weil es Privatsache ist“, hat er nicht gewollt, dass sein Unfall vom November zur Schlagzeile geriet, als er in der Nacht mit dem Auto gegen ein totes Wildschwein gefahren war und der Wagen sich mehrfach überschlagen hatte. Er hat darüber mit Journalisten nicht gesprochen: „Das passiert andern auch, und über die wird nicht berichtet.“
Doch dann sitzt er im „Talk täglich“ bei Roger Schawinski. (Oder ist Schawinski etwa Giacobbo? Weil den spielt er jetzt ja auch, worüber Schawinski sichtlich gerührt ist, als er sich/ihn im Trailer sieht, „findi guet, ich hab gar nicht gewusst, dass ich eine so grosse Zahnlücke habe, und wie du die Bewegungen nachmachst“, was wiederum Giacobbo freut.) Also: Giacobbo ist Gast bei Schawinski. Und der will partout nicht locker lassen, sticht immer wieder in dieses Unfall-Thema hinein, weil verdammt wichtig sei, dass er darüber rede, und Viktor Giacobbo lässt ein paar Brocken fallen. Aber: S isch jetzt gnueg, Roschee.
Die Dauerbeobachtung.
Berühmtsein hat etwas Ambivalentes. Es gibt, selbst für ihn, durchaus schöne Momente. Dann, wenn es um seine Arbeit geht, wenn sie geschätzt wird und er das spürt. Aber es gibt die andere Seite auch, in denen er nicht beobachtet werden möchte. Wenn er zum Beispiel missgelaunt im Coop einkaufe.
„It’s the deal,“ sagt Patrick Frey. Es gehört dazu, manchmal mit gesenktem Blick durch den Bahnhof zu gehen, von allem nichts wissen zu wollen und dann doch dieses andere Gefühl zu haben, „dass es auch nicht recht ist, wenn dich keiner anschaut“. Frey ist in „Viktors Spätprogramm“ der Experte Stolte-Benrath; er spielt bei „Lüthi und Blanc“, er schreibt, ist Verleger, hat eine eigene TV-Sendung. Er sagt: „Wer mediale Arbeit macht, muss sich fast verstecken. Wenn du ständig auf dem Bildschirm bist, meinen die Leute, dich zu kennen. Es ist schwierig, diesem Bild, das sie sich von dir machen, zu entsprechen.“
„Grüss mir den Harry!“, haben sie Nadja Sieger schon zugerufen. Sie ist Giacobbos Lebenspartnerin, steht auch auf der Bühne als Nadeschkin (von Ursus & Nadeschkin). Sie versteht, dass „Viktor zwischen Arbeit und Privatem trennt“. Er blühe immer dann auf, wenn sie über der Schweizer Grenze seien, irgendwo in den Ferien, und ihn dort keiner kenne. Er könne sich dann zwischen Menschen setzen, ohne dass die etwas von ihm wollten. „Durch das Fernsehen zieht er Massen an. Aber Viktor will und kann nicht Allgemeingut sein.“
Und so stellt er den Kragen in den Nacken; es ist kalt in Schaffhausen. Die Hände sind in der Tasche versorgt. Er geht auf der Strasse, er schaut kaum links noch rechts.
Lueg, de Viktor!
An diesem Abend hat er in einer Buchhandlung, die auch Papeterie und Videoladen ist, seine Wandkalender signiert. Er sitzt hinter dem Tisch. Eine Radioreporterin will, dass er einen Spruch sagt. Macht er nicht. Ein Fernsehjournalist fragt, ober filmen dürfe. Darf er. Und Frauen stehen an. Und Männer. Und Kinder reichen ihm Zettel, auf die er seinen Namen schreiben soll.
Jetzt möchte er noch etwas trinken, bevor er nach Hause fährt. Eigentlich geht er nicht gerne ins Café. Und wenn doch, platziert er sich so, dass er nicht unbedingt mit andern Augenkontakt haben muss. Nicht damit noch einer aufsteht und: äxgüsi! Die Serviertochter lacht, als er eine heisse Schokolade und eine Portion Vermicelles bestellt – warum sie lache, fragt er. „Sie sind doch Herr Giacobbo.“
Ja und?
Der lustige Metzgersbub
Er sagt von sich, er sei ein „zufriedener Mensch“. Und: „Ich bin in einer privilegierten Situation. Klar, man hat immer Druck, will gut sein – aber ich verdiene nicht schlecht, und das erst noch mit einer Tätigkeit, die ich am liebsten mache. Ich musste nie Klinken putzen, immer hat man mich gefragt, willst du das, willst du jenes, weil man etwas von mir gesehen oder gelesen hat. Ich bin mir bewusst, dass viele andere nicht mit einem solchen Gefühl arbeiten können, dass sie Probleme mit dem Chef haben und einen Lohn bekommen, der es schwierig macht, eine Familie durchzubringen.“
In sehr einfachen Verhältnissen ist er aufgewachsen, in Oberwinterthur, zusammen mit einem Bruder, der neun Jahre älter ist. Der Vater, Sohn eingewanderter Italiener, war Metzger, die Mutter verdiente zuerst als Damenschneiderin, dann als Verkäuferin dazu. Der Bruder Bruno, ein Antiquitätenhändler, erinnert sich, dass „Vik“ schon früh eine Schreibmaschine besass „und in seinem Zimmer hockte und Gedichte schrieb, die ich, das weiss ich noch, nicht gut fand“. Er, Bruno, sei eben der Handwerker gewesen, der mit dem Hammer, und „Vik war immer der Schreiber“.
Der damals schon die andern genau beobachtet hat. Der sich gemerkt hat, wie und was die reden, wie sie sich bewegen. Und dann sei vorgekommen, erinnert sich der Bruder, dass Vik, wenn alle zusammengesessen seien, plötzlich jemanden „verdammt gut nachgemacht“ habe.
Kann schon sein, sagt Giacobbo.
Er sieht sich so: Als Bub fasziniert von „Büchern, Büro und Papier“, von Mickymaus und Karl May. Er hatte also die Schreibmaschine und verfasste „Reiseprosa“, begann an „Jugendromanen zu schreiben, die nicht fertig wurden“, reimte „komische Verse, die ich nicht mehr lesen möchte“. Er machte andere nach, spielte sie. Und er kaufte sich, als er 13 war, in der Ex Libris einen Lenco-Plattenspieler. Darauf konnte er nun seine Schallplatten abspielen. César Keiser, Alfred Rasser, die Münchner Lach- und Schiessgesellschaft, die Stachelschweine. „Mir hat Kabarett mehr bedeutet als Musik. Ich konnte lachen über die Pointen. Ich habe zwar nicht alles verstanden. Aber mir hat damals schon imponiert, dass da Dieter Hildebrandt hinsteht und sich über die Regierung und die politischen Zustände lustig macht.“
Der Drehort ist in einem Hotel, das Zimmer zu einem Büro hergerichtet. Schon fünf Stunden wird hier gefilmt. Zwei Minuten müssen am Schluss im Kasten sein. Die Stimmung ist heiter. Man witzelt (auch) in den Pausen.
Fernsehmachen ist mühsame Kleinarbeit. Wiederholen und wiederholen. Ein anderes Licht. Eine glänzende Stirn. Ein Versprecher. Das falsche Handtäschchen. Und alles noch einmal, von dieser Seite gefilmt, für eine Totale und Gegenschnitte, für die Naheinstellung.
Es ist ein eingeschworenes Team.
Giacobbo, Birgit Steinegger, Walter Andreas Müller. Der Tontechniker, die Produktionsleiterin, die Kostümbildnerin. Der Autor. Markus Köbeli, der schon so vieles geschrieben hat, für Spass-Sendungen am Radio und fürs Theater; ein eher stiller Mann, ein Berner, der zusammen mit Viktor Giacobbo das „Spätprogramm“ gestaltet. Seit zehn Jahren arbeiten sie zusammen – jeder mit seiner eigenen Humorauffassung: sich also nicht immer einig, aber fähig, sagt Köbeli, „uns stets wieder zu finden“. Ein schwieriges Unterfangen, fast unmöglich, würden doch am Thema Humor „Ehen auseinander brechen“. Sie kennen sich gut, wissen um Schwächen und Stärken. Sie sitzen im Büro zusammen (dazu gesellen sich auch Peter Irniger, Peter Schneider und Domenico Blass), sie denken, suchen die Themen, „was uns beschäftigt, uns aufregt“ – und nach einem Brainstorming trennen sich die Wege, Köbeli und Giacobbo schreiben dann an verschiedenen Szenen, und sie rufen sich an, fragen, diskutieren, sie faxen sich ihre Papiere.
Viktor Giacobbo ist ein genauer Beobachter. Ein politischer Kopf, der sich als Satiriker ins Geschehen einmischt. Gerhard Polt, der Komiker aus Bayern, sagt: „Giacobbos Kunst ist seine Vielseitigkeit. Er kann in Rollen wechseln. Nichts ist voraussehbar, das macht sein Spiel spannend. Er ist komisch, er ist politisch, er ist ein Autor.“
Der sich nicht in eine Links- oder Rechtsschublade einordnen lassen will. Früher ein Linker, heute bezeichnet er sich als „libertären Radikalen“, der die bürgerlichen Freiheiten „im radikalsten Sinn“ einfordert. Politisch habe sich sein Spektrum geweitet. „Ich komme mit Menschen in Kontakt, die ich, wäre ich nicht Viktor Giacobbo, wahrscheinlich nicht kennen lernen würde. Plötzlich können einem Personen sympathisch sein, die nicht so denken wie ich.“
Wer als sein Gast besonders originell sein will, kann scheitern. Thomas Borer hat das vorgemacht. Wer locker bleibt, erhält viele Briefe: So geschehen, als Ruth Dreifuss im Oktober 1999 Giacobbo gegenübersass. Sie war damals Bundespräsidentin und hat mitgemacht, weil der Auftritt eine Chance sei, „einem eher jungen Publikum zu begegnen, das die vorwiegend ernste Sache Politik von einer menschlich-humoristischen Seite betrachten will“.
Ruth Dreifuss war witzig und schlagfertig. Rückblickend meint sie: „Für mich war es wie ein Auftritt in der Dorf- oder Quartierbeiz. Ich konnte via TV zeigen, dass Politik Freude macht. Dank Giacobbos sensibler Gesprächsführung konnte ich so wirken, wie ich eben bin.“
Satire sei für das demokratische Bewusstsein wichtig, sagt sie. „Giacobbo braucht die Politik, die Politik braucht viele Giacobbos, und beide brauchen ein kritisches, selbstbewusstes und gut gelauntes Publikum.“
Er verrät seinen Gästen nie, was er sie fragen wird. Er hat auch nichts ausformuliert, ein paar Gedanken im Kopf, aber eigentlich lässt er sich intuitiv leiten. Er macht den Gast nur auf die Stufe aufmerksam, die zu den zwei Stühlen führt: Passen Sie auf, dass Sie nicht dort schon stolpern!
Die Fangemeinde ist gross. Der Oberst im Militär mag ihn genauso wie diese Kinder, die beim Bruder von Viktor vorbeikommen, der in einem Dorf zwei Antiquitätengeschäfte besitzt. Die fragten jeweils nach Autogrammkarten, erzählt Bruno Giacobbo, und der nimmt die Karten aus der Schublade und will sie verteilen, aber die Mädchen und Knaben rümpften die Nasen und seien enttäuscht, weil sie sich unter Viktor etwas anderes vorstellten, Debbie Mötteli nämlich oder zumindest Harry Hasler. Auf den Karten aber ist nur der Giacobbo. ‚
Unter den Briefen, die er bekommt, sind auch solche von Jugendlichen. Sie möchten mit Viktor Giacobbo in der Klasse diskutieren. Er geht hin, sofern es seine Agenda zulässt, weil die Gespräche oft spannend seien. Er sagt: „Die Figuren, die ich spiele, haben nicht zuletzt den zufälligen Effekt, junge Menschen an politische Themen heranzuführen.“
Und die fragen: Darf man überhaupt andere Menschen nachmachen? Muss man sie, wenn man sie imitiert, zuerst anfragen? Und: Wo sind der Satire Grenzen gesetzt?
Es gibt Grenzen. Nur kann man sie nicht „allgemein gültig“ abstecken. „Es kommt darauf an, in welchem Umfeld die Satire, die Komik oder der Witz eingebettet sind.“ Was er nicht will: Leute in eine kompromittierende Situation bringen. Aber er möchte nach wie vor Tabus verletzen können. Eine heikle Angelegenheit, hat er doch in all den Jahren immer wieder die Erfahrung machen müssen, „dass selbst fortschrittlich Denkende bei vermeintlichen Tabuverletzungen den Vorhang der Moral ziehen. Die fordern dann, ich dürfe Hitler nicht spielen.“ Oder er soll die religiösen Themen in Ruhe lassen. Er würde als Nonne die Gefühle der Katholiken nicht achten. Giacobbo findet es aber aufregend, auch dort zu provozieren. Und zwar so, ohne damit, wie auch schon, die TV-Konzession zu verletzen.
Auch der Inder Rajiv hat die Provokation von SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli überstanden. Er schrieb in einer Kolumne, dass die Figur rassistisch sei. Sein (Medien-)Angriff galt allerdings nicht Giacobbo, er zielte auf die Eidgenössische Rassismuskommission, die Mörgeli schon immer suspekt war, weil sie nur im rechten Spektrum nach Sündern suchte. Und nun sollte sie doch mal hier, und prompt liess die Kommission verlauten, sie würde abklären, ob man Rajiv ein paar positive Eigenschaften zuordnen könnte. Es kam lediglich, sagt Giacobbo, zu einem kurzen Telefongespräch mit einem Kommissionsmitglied. Damit war dann alles erledigt.
Satirehauptstadt Winterthur
Als Viktor ein Kind war, wollte er Hotel-Concierge werden. Allein, weil der Name so schön klingt. Und man eine spezielle Kleidung trägt. Das wäre etwas Besonderes gewesen. Er hat dann eine Lehre als Schriftsetzer gemacht. Nicht nur die Form interessierte ihn, auch der Inhalt. Er war einer, der immer schon viel wissen wollte, und darum hat er viel gelesen, die Klassiker, die Neuen, die Schweizer Autoren. Er war 16, als sich ihm 1968 „eine neue Welt auftat“. Mitten drin, nicht als Student, als Arbeiter, wie er betont, als Lehrlings-Gewerkschafter. Er trat dem Kritischen Forum von Winterthur bei, hat dort „theoretische Bücher gelernt zu lesen und abstrakt zu denken“. Als das Forum immer „dogmatischer, China-orientiert und stalinistisch“ wurde, ging er.
Es muss 1982 gewesen sein, als Peter Haag Viktor Giacobbo zum ersten Mal gesehen hat. In der Textdokumentation des Schweizer Fernsehens. „Wie eine kleine Madonna“ sei er dort gehockt, „bei ihm liefen alle Fäden zusammen, und er hatte die guten Sprüche drauf.“ Erst viel später sind sie Freunde geworden. Haag, der Verleger von Kein & Aber, Giacobbo, der bei ihm (unter anderem) sein Kolumnenbuch „Spargel der Vergeltung“ veröffentlicht. Für Peter Haag ist Giacobbo „ein Phänomen“, der es „in einem der schwierigsten Geschäfte geschafft hat: mit Satire und Komik am Fernsehen gute Einschaltquoten zu haben, ohne der Strasse nachzugeben“.
Wenn nicht ein Phänomen, ist er ein Arbeitstier. Als wär nicht alles schon genug, sitzt er mit Domenico Blass an seinem Film-Drehbuch. Erzählt er von diesem Projekt, strahlt er, und ist es fertig geschrieben und finanziert, sollen schon bald die Dreharbeiten beginnen. In Kuba. Dort spielt Giacobbo einen Diplomaten an der Schweizer Botschaft. Dieser Diplomat (und er verrät nur das) begehe einen Blödsinn, der eine zweite Kuba-Krise auslöse.
Vom Schriftsetzer zum Kinoheld. Ein langer Weg liegt dazwischen. Korrektor, Lektor, Dokumentalist, Kolumnist, Autor, er spielte bei Stuzzicadenti, bei Zampanoos Variété und bei Harul’s Top Service – er war begabt.
Und dann, eines Abends im Jahr 1986, sassen Ueli Heiniger und Hans Bärenbold beim Bier in einer Zürcher Altstadtbeiz. Sie sprachen über ihre nächste Sendung, die „Medienkritik“, und Heiniger meinte, man müsste jemanden finden, der mit dem Thema Sonntagspresse spielen könnte, vielleicht ein Kabarettist, ein Komiker mit spitzer Zunge – und genau in diesem Moment, erzählt Ueli Heiniger, „läuft Viktor am Fenster vorbei“.
Er rannte ihm nach, „ich war damals schon begeistert von ihm“, er hat ihn aufgehalten und spontan gefragt: Würdest du?
Natürlich!
Wenn sich Viktor Giacobbo heute an seinen ersten Fernsehauftritt erinnert, muss er schmunzeln, weil er da so eckig, so hölzern gewesen sei – „und diese Fehler, fast schon peinlich!“ Doch konnte er sich, spätabends im Schweizer Programm, entwickeln, ein Glücksfall eigentlich. Giacobbo wurde schnell einmal zum Geheimtipp.
1990 bekam er bei SF DRS seine eigene Sendung. „Viktors Programm“, damals am Donnerstag um 20 Uhr.
Jetzt, jeweils am Mittwoch um 22.20 Uhr, hocken 600 000 Menschen vor ihrem Fernseher. Das ist viel, bedenkt man die Zeit. Die Sendung hat Erfolg, und wer Erfolg hat, auch wenn nicht immer alles geglückt ist, muss mit Kritik leben. So gibt es immer wieder Stimmen, die Giacobbo seine „eigene Hofhaltung“ vorwerfen: Gemeint ist damit, er lasse niemanden neben sich hoch kommen, um nicht plötzlich nur noch die Nummer zwei zu sein. Also fördere er keine Talente und bewege sich im immer gleichen Filz.
Für ihn sind diese Vorwürfe „absurd und völlig aus der Luft gegriffen!“ Ihn freue, wenn er begabte junge Leute sehe, wie Esther Kälin oder Mike Müller (die im „Spätprogramm“ auftreten), „nur gibt es sie leider nicht wie Sand am Meer“. Filz und Mafia! Es hat nun einmal nur eine Satiresendung am Fernsehen! Was er denn dafür könne. Es schüttelt ihn – Mafia übrigens sei, „wenn einer in seinem eigenen finanziellen Interesse andere zu verhindern versucht“. Er kommt auf Winterthur zu sprechen. Das ist sein Ort (er wohnt in der Nähe), mit dem fühlt er sich verbunden, hier ist er verwurzelt, hat seine Freunde, die ihn als „initiativ“ erleben, als einer, der sich „nicht aufbläst“, der sich für das kulturelle Leben einsetzt und sich dafür „abkrampft“.
In Winterthur kam es im vergangenen Jahr zu einer Abstimmung: Die Stadt wollte der Comedy-Gruppe (Giacobbo, Patrick Frey und andere Kulturschaffende) das Casino verkaufen und ihr dazu noch ein zinsloses Darlehen von zwei Millionen Franken gewähren – damit dort ein Theaterhaus für die Schweizer Kleinkunst entstehen kann. Ein SVP-Politiker ergriff das Referendum: Das Volk soll entscheiden. Es liess sich vom Projekt begeistern und sagte Ja.
Auch hier musste Giacobbo sich anhören, dass er mit diesem Theater bloss seine Macht in der Szene vergrössern wolle. „So ein Quatsch!“, sagt er. Muss er doch, wie alle andern Aktionäre auch, „so gar nicht mafiamässig“, zuerst einmal zahlen – „und eine für mich nicht sehr kleine Summe“. Das zum Ersten, und zum Zweiten: „Wir werden jungen Künstlern Gelegenheit bieten, sich zum ersten Mal einem grösseren Publikum vorzustellen.“ Also: „Ich für mich brauche das Casino nicht!“
Wenn alles vorbei ist
Stolte-Benrath sagt nun diesen Satz schon ein paar Mal. Und auch jetzt schüttelt Viktor G. wieder den Kopf. Nein, nein. Sag das doch so. Stolte-Benrath (Patrick Frey) will es aber anders sagen. Weil es nicht stimmen würde, wenn er sagen täte… Sag es so. Hm, ist ja nicht mein Text! Die beiden Akteure wirken unter dem hellen Scheinwerferlicht etwas nervös (was sie sonst eher nicht seien). Es ist abends um halb sieben Uhr an diesem Sende-Mittwoch im „Kaufleuten“. Um 16 Uhr war technisches Einrichten. Ab 17 Uhr erste Stellproben. Viktor sagt: „Jetzt nämed emal de Ton wäg!“ Sie müssten proben, und sie seien es schliesslich, die dann live auf der Bühne zu stehen hätten.
Um viertel nach sieben ist Zeit fürs Abendessen. Giacobbos Platz im Restaurant bleibt leer. Patrick Frey denkt über die Szene nach, die er zu spielen hat. Später wird er auf die Frage, ob Viktor eigentlich dominant sei, antworten: „Hinsichtlich der Eitelkeit kommen wir uns nicht in den Weg. Man soll nur nicht am Platz stehen, wo er steht. Viktor verträgt es nicht so sehr, wenn einer einen Schritt vor ihm ist. Was er verträgt: wenn einer auf gleicher Höhe steht – aber nur, wenn er ihn akzeptiert.“
Erzählt man das Viktor Giacobbo, wird der energisch. Weil er die Kritik so versteht, als wäre er „missgünstig. Das kann ich nicht akzeptieren!“ Und dass er dominiere? Er denkt nach. Wahrscheinlich stimme das. „Wenn ich völlig in einem Thema bin, merke ich das nicht. Ich weiss, ich kann Leute überfahren, ich kann sie verletzen. Wenn sie mir das sagen, ist mir das grauenhaft peinlich. Meistens ist es dann zu spät.“
Er steht in seiner Garderobe vor dem Spiegel. In Grau gekleidet, Jackett und Hose, das Hemd ist hellblau, eine Krawatte. Den Teller hat er nicht leer gegessen. Er hat sich zurückgezogen, er braucht diese Minuten der Ruhe.
Und Patrick Frey übt nun noch einmal den Text. Er sitzt vor Giacobbos Garderobe auf einem Stuhl. Nur die Lippen bewegen sich. Auf einem kleinen Bildschirm ist das Gesicht von Stephan Klapproth. Der Ton ist leise gestellt. Die Aufnahmeleiterin sagt, dass „10 vor 10“ wieder Verspätung habe und dass danach neun Minuten Werbung folgten. Man sei erst um halb elf auf Sendung.
Viktor Giacobbo kommt nun aus der Garderobe. Es ist 22.10 Uhr. Er schreitet den engen Raum hinter der Bühne ab, schiebt den Vorhang ein wenig zur Seite. Knallvoller Raum. Die Menschen haben sich, als vor einer Stunde schon Einlass war, in den Saal hineingestossen und sich die wenigen Stühle weggeschnappt. Man sagt, dass Damen und Herren sich immer so benehmen, wenn sie es geschafft haben, eine Karte für „Viktor“ zu bekommen.
Der lässt den Vorhang wieder los, links ginge es in das improvisierte Zimmer der Maskenbildnerin, aber da war er schon, auch wenn jetzt Hedvika Salzmann mit Pinsel, Make-up-Töpfchen und kritischem Blick um ihn herumschleicht. Er hat keine feuchten Hände. Nur „etwas angespannt“ sei er, sagt er, doch das „fördert die Konzentration“.
Der Text ist im Kopf. Er hat nur vier kleine Karten. Darauf stehen lediglich die Anfangs- und Schlusssätze der Filmeinspielungen. Ein Tontechniker prüft, ob das Mikrofon auch gut festgeklemmt ist am Revers. Der Sender steckt am Hosenbund. Die Aufnahmeleiterin fragt, ob er schon wolle, auf die Bühne hinaus, zum so genannten Warm-up. Der Blick zur Uhr. 22.15. Meinst du?
Also!
Das Publikum klatscht heftig, als er auf die Bühne tritt. Er bespricht, was es live zu erwarten hat, und Hedvika Salzmann seufzt auf, weil sie auf dem Bildschirm sehen muss, dass Giacobbos Kopfhaut durch das lichte Haar etwas zu sehr glänzt. Der sagt gerade, dass er nun wieder hinausgehe, und wenn er dann wiederkomme, „hät d Sändig aagfange und ir tüend eso, wie wänn ich s erscht Mal chämti“.
Wenn alles vorbei ist, freut er sich auf ein Bier. Und darauf, sich zu Hause dann, spät in der Nacht, die Figuren vom Leib zu duschen.

Barbara Bürer ist redaktionelle Mitarbeiterin (barbara.buerer@dasmagazin.ch).

Das Rollenwunder

6. Januar 2001, Das Magazin, von Barbara Bürer

Seine Figuren sind vertraut wie nahe Verwandte. Nur ihr Schöpfer bleibt ein Rätsel. Gibt es Viktor Giacobbo? „Ich habe um […]

2017