Viktor Giacobbo

Spätestens seit «Achtung, Fertig, Charlie!» aus dem Jahr 2003 kann sich auch die Schweiz mit erfolgreichen Mainstream-Filmen brüsten. Das neuste heimische Kinowerk «Undercover» fährt auf der gleichen Schiene weiter.

 

Der «hausgemachte» Kinostreifen erlebt einen Höhenflug; der Schweizer Film muss im Kino nicht länger ohne Publikum laufen. Vorbei scheinen vorerst die Zeiten, in denen sich Filmschaffende in erster Linie selbst beweihräucherten. Jüngstes Beispiel für einen Schweizer Film, der aufs grosse Publikum abzielt, ist «Undercover». Der Film wurde am Sonntagabend im Beisein von Produzentin Ruth Waldburger und den Drehbuchautoren Domenico Blass und Viktor Giacobbo – Letzterer ist zugleich Hauptdarsteller in «Undercover» – im Churer Kino Apollo gezeigt. Der Schweizer Film ist zwar kommerzieller und erfolgreicher geworden, die Kulturförderung orientiert sich allerdings viel lieber an der Vergangenheit, denn, wie Giacobbo gegenüber der «Südostschweiz» sagte: «Man begegnet immer noch mehr Skepsis, wenn man mit einer Komödie Gelder aus der Kulturförderung will, als wenn man mit einem Flüchtlingsdrama daherkommt.» Doch, so erklärt der prominente Autor, Kabarettist, Moderator und Schauspieler weiter, Publikumsfilme zu machen, bedeutet nicht, schlechte Filme zu machen.

«Undercover» ist, so Giacobbo, «eine Mischung aus leichtem Familiendrama, Krimi und Komik, die nicht als Pointen-Komik daherkommt». Oder wie ein Churer Zuschauer meinte: «Das ist ja wie ein James Bond.» Und das ist zumindest nicht sehr weit hergeholt, denn «Undercover» ist vor allem auch eine Agenten-Geschichte. «Undercover» kommt zwar niemals an die Genialität der alten James-Bond-Filme heran, ist aber auch keine billige Kopie davon. Ein direkter Vergleich der beiden Filme wäre allein vom Budget her betrachtet völlig unangemessen. Trotzdem haben der englische Filmklassiker und die neuste Schweizer Filmproduktion eine Parallele: Auch «Spezialagent» Giacobbo beherrscht das Unmögliche – und sei es, dass er das Kondom an den rechten Ort fliegen lässt.

Boris Ruf statt 007

Statt eines galanten 007 tappt in «Undercover» aber der überkorrekte Bünzli-Schweizer Boris Ruf als Ermittler der Bundeskriminalpolizei über die Leinwand. Ruf, der Privat- und Berufsleben bis zu diesem Zeitpunkt stets getrennt hatte, kommt gerade von einer erfolgreichen Mission in Afghanistan zurück. Nach dem Scheidungsprozess von seiner Frau Sibylle (Sylvie Rohrer) lässt er sich aber einen Fall aufschwatzen, der die Trennung seines Famlienlebens von der Arbeit verunmöglicht und ihn nach Italien führt. Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi wird bei «Undercover» ebenso auf die Schippe genommen wie die Chefanklägerin des Uno-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, Carla Del Ponte. Und auch Bundesrat Christoph Blocher bekommt sein Fett ab.

Vom Kino in die Manege

«Undercover» ist, bis auf den flauen Schluss und den etwas laschen zweiten Teil, durchaus spannend und komisch. Letzteres nicht zuletzt wegen Giacobbo, der dem Film mit seiner Komik einen unverwechselbaren Stempel aufdrückt. Doch der ehemalige Protagonist von «Viktors Spätprogramm» ist sehr selbstkritisch: «Ich vergnüge mich nicht, wenn ich den Film anschaue, denn wenn ich mich selber betrachte, sehe ich immer die Dinge, die ich hätte besser machen können.»

«Undercover» ist Vergangenheit, für Giacobbo stehen bereits die Vorbereitungen fürs nächste Projekt mit dem Circus Knie an. Dort wird er zwar nicht den klassischen Clown mimen, doch spielt er an der Seite eines Kamels den Narren.

«Undercover» läuft derzeit in den Schweizer Kinos.

«Das ist ja wie ein James Bond»

8. November 2005, Südostschweiz, von Urs Fetz

Spätestens seit «Achtung, Fertig, Charlie!» aus dem Jahr 2003 kann sich auch die Schweiz mit erfolgreichen Mainstream-Filmen brüsten. Das neuste […]

Viktor Giacobbo über Humor in Somalia, Kommunismus und Harry Hasler im Ehebett.

Facts: Herr Giacobbo, früher hatten Sie einen klaren politischen Standpunkt.

Viktor Giacobbo: Richtig. Mit 18 wurde ich aus der SP geworfen, weil ich ihr zu radikal war. Wenn Sie das meinen.

FACTS: Jahrelang waren Sie der linke TV-Satiriker. In «Undercover» kommen die Emanzen aber genauso dran wie die Machos, korrupte Kapitalisten wie Globalisierungsgegner. Am Ende treten Sie niemandem auf die Füsse.

Giacobbo: Nein, offenbar trete ich allen auf die Füsse. Das haben wir übrigens auch im Spätprogramm immer getan. Zugegeben, im Film brandmarkt niemand die SVP als böse. Aber zum Schluss ernennt unser Justizminister eine Bundesanwältin, die illegale Drogen-geschäfte machte.

FACTS: Die Globalisierungsgegner bekommen ebenso ihr Fett weg. Sie schlagen gegen alle Seiten aus. So ist gar keine politische Haltung mehr spürbar.

Giacobbo: Ach, das tut mir aber Leid! Wir beschreiben immerhin eine Art Mini-Berlusconi. Und die Schweizer Justiz arbeitet mit ihm zusammen. Das ist, finde ich, sehr wohl eine politische Haltung. Zudem geht es nicht um die Globalisierungsgegner, sondern um eine 16-Jährige, die, etwas naiv, die Politik entdeckt. «Undercover» spielt also nicht im politisch luftleeren Raum. Aber es ist auch kein politischer Film.

FACTS: Das ist symptomatisch für den momentanen Zustand des Schweizer Humors. Die Kassenknüller «Achtung, fertig, Charlie!» oder «Mein Name ist Eugen» sind politisch mehr als harmlos. Selbst in «Punkt CH», der Nachfolgesendung von «Viktors Spätprogramm», trampeln Ihre Kollegen lieber auf den privaten Marotten des Bundesrats herum, als ihn inhaltlich anzugreifen.

Giacobbo: Okay, Sie haben offenbar eine These: Komödien müssen politisch sein. Und ich sage: Komik muss gar nichts, ausser Leute zum Lachen bringen. Egal, ob mit Slapstick oder politischen Jokes. Zudem frage ich mich, wie neu diese Tendenz im Schweizer Film ist. Wann gab es sie denn, die Zeit der grossen Schweizer Politkomödien?

FACTS: Komik entsteht meist aus dem Konflikt von Ideal und Wirklichkeit. Sind wir Schweizer zu behütet, um lustig zu sein?

Giacobbo: Wir Schweizer? In welchem Land gibt es denn so viele politische Komödien? In Italien etwa? Oder Deutschland? Selbst Amerika produziert vor allem Romantic Comedies.

FACTS: Das sind alles Wohlstandsländer. Die Dringlichkeit nach subversiver Komik ist auch da eher gering.

Giacobbo: Die Komikproduktion in Somalia ist mir im Moment nicht so geläufig. Ich war aber vor kurzem in Südafrika und bin dort auf einen populären Komiker gestossen, der während der Apartheid enorm viele politische Sketches gemacht hat. Unter so einem System ist das natürlich viel dringender und mutiger. Aber ich kann ja jetzt nicht sagen: Okay, ich wandere nach Nordkorea aus, um dort Satire zu machen.

FACTS: Es ist ja nicht so, dass es in der Schweiz keinen Zündstoff gäbe.

Giacobbo: Natürlich gibt es den. Deshalb schreibe ich ja auch Kolumnen. Aber in meinen Filmen habe ich nun halt mal einen anderen Stil gepflegt. Das Kino hat für mich eine andere Funktion …

FACTS: … nämlich, das zahlende Publikum anzulocken. Sie sind inzwischen also mehr Unternehmer als Kabarettist?

Giacobbo: Für wen ist dieses Interview – für die «Prawda»? Unternehmer impliziert, ich denke nur noch ans Geschäft. Aber dann wäre ich beim Fernsehen geblieben und hätte Harry Hasler und Co. bis zum Gehtnichtmehr vermarktet. Unternehmer und freie Künstler haben zudem eines gemeinsam: Sie gehen Risiken ein, finanziell oder künstlerisch und manchmal beides gleichzeitig. Und apropos Kabarettist…

FACTS: Ja, bitte?

Giacobbo: Satire kann politisch sowieso nichts bewirken. Sie unterhält lediglich diejenigen, die bereits derselben Meinung sind, oder provoziert die andern. Ich habe jedenfalls noch von keiner einzigen Person gehört, die nach einer Satire sagte: «Die haben ja Recht. Jetzt ändere ich meine Meinung!»

FACTS: Sie kann immerhin eine Diskussion auslösen.

Giacobbo: Aber keine neue. Satire kann lediglich Öl in ein Feuer giessen, das bereits brennt.

FACTS: Das klingt frustriert.

Giacobbo: Nein, Öl ins Feuer giessen macht Spass.

FACTS: Sie werden doch wohl nicht behaupten, Sie hätten nie politische Ziele verfolgt.

Giacobbo: Die verfolge ich auch heute noch, aber ein Film ist kein Flugblatt. Zugegeben: Mit zwanzig dachte ich, es ginge noch zehn Jahre, dann hätten wir hier das kommunistische Paradies. Ich war sogar ein avantgardistischer Leninist. Als Lehrling unterschied ich mich von den Studenten, die die Werktätigen zur Revolution führen wollten. Und ich konnte jedes Problem in ein Schublädchen einordnen. Heute erschreckt mich das. Ich war das Mitglied einer Sekte.

FACTS: Heisst das, Sie wurden aus Überzeugung unpolitischer?

Giacobbo: Im Gegenteil. Ich wurde politischer. Heute ordne ich aber nicht mehr alle Probleme einer Wunschvorstellung unter, sondern analysiere und bilde mir eine Meinung.

FACTS: Ist diese Altersmilde nicht der Tod eines jeden Satirikers?

Giacobbo: Überhaupt nicht. Ich bin froh, dass ich nicht mehr zu allem eine betonierte Meinung haben muss. Diese Freiheit nehme ich mir heute. Früher konnte ich das noch nicht.

FACTS: Warum?

Giacobbo: Es hat mit einem gewissen Selbstvertrauen zu tun, politisch unkorrekt sein zu dürfen. Ich kann heute auch als SVP-Gegner sagen, dass ein Streit mit Christoph Blocher Spass macht, weil der Mann in gewisser Weise Witz hat.

FACTS: Ist Christoph Blocher der letzte (Real-)Satiriker dieses Landes?

Giacobbo: Er hat auf jeden Fall eine gute Portion Humor, auch wenn das die meisten seiner Wähler wohl gar nicht sehen. Und so sehr mir seine politische Richtung zuwider ist, eines muss man ihm zugute halten: Er stellt sich der Kritik, weil er auch kontern kann. Das kann man von vielen Linken nicht behaupten.

FACTS: Sie selbst bleiben in «Undercover» diskret politisch, weil Spielfilme nur unterhalten sollen. Fakt ist aber, dass das Bundesamt für Kultur dem Projekt bloss widerwillig Geld gab. War der Film selbst Bern zu brav?

Giacobbo: Damit hat das nichts zu tun. Wenn sie uns gesagt hätten, der Stoff sei irrelevant oder nicht umsetzbar, hätte ich das als Argument akzeptiert. Aber es ist nicht deren Aufgabe zu entscheiden, was komisch ist und was nicht.

FACTS: Warum nicht? Das Publikum entscheidet ja auch selbst, worüber es lacht.

Giacobbo: Ja, aber ein Publikum muss kein Drehbuch lesen, sich also auch die Umsetzung nicht vorstellen können. Und Leute, die selber nie komische Filme machten, können das eben weniger gut als beispielsweise ein Rolf Lyssy.

FACTS: Das ist ja aber genau das Problem: Weder Rolf Lyssy noch Sie sitzen in dieser Kommission. Weil Sie sich in der kleinen Schweiz davor scheuen, den eigenen Kollegen auf die Füsse zu treten.

Giacobbo: Meinen Sie, wenn ich Angst hätte, jemandem auf die Füsse zu treten, würde ich öffentlich meine Geldgeber kritisieren? Filmprojekte sind objektiv schwer zu beurteilen, und jedes kann floppen, auch unseres. Ich finde nur, dass eine Kommission auch beachten sollte, ob jemand sein Talent schon bewiesen hat – wie beispielsweise «Undercover»- Regisseurin Sabine Boss mit «Ernstfall».

FACTS: Apropos Sabine Boss: Warum gibt es eigentlich nach wie vor so wenig Frauen, die Komik machen – hinter und vor allem vor der Kamera?

Giacobbo: Ich weiss es nicht. Was mir Komikerinnen aber schon anvertrauten: Viele Männer haben Angst vor lustigen Frauen. Ich kann das nicht verstehen. Ich finde lustige Frauen sehr attraktiv – weil sie meist auch sehr selbstbewusst sind.

FACTS: Sie waren ja auch länger mit Nadeschkin zusammen. Hält man Sie privat überhaupt aus? Oder sind Sie ein notorischer Witzler?

Giacobbo: Überhaupt nicht, ich mache sicher nicht den Harry Hasler im Ehebett. Da würde ich mich selber nicht mehr aushalten.

«Öl ins Feuer giessen macht Spass»

3. November 2005, Facts

Viktor Giacobbo über Humor in Somalia, Kommunismus und Harry Hasler im Ehebett. Facts: Herr Giacobbo, früher hatten Sie einen klaren […]

Möglichst durchschnittlich: Hauptdarsteller und Ko-Autor Viktor Giacobbo über seine Rolle im Film «Undercover».

Der biedere Normalo, der in Wahrheit ein Superagent ist: War «Undercover» als helvetische Version von «True Lies» gedacht, mit Ihnen in der Rolle von Arnold Schwarzenegger?

Nein, ich wusste zwar von «True Lies», hatte den Film aber nie gesehen. Unser Ausgangspunkt war die Bellasi-Affäre, es ging uns um die Arbeit eines verdeckten Ermittlers aus der Schweiz. Nach Vorgabe von Fausto Cattaneo, der das Buch «Deckname Tato» geschrieben hat, wollten wir zeigen, wie die Bundeskriminalpolizei arbeitet und wie über Geldwäscherei ermittelt wird. Nur dass unser Ermittler natürlich ein paar absurde Fähigkeiten besitzt: den Wurf des Panforte zum Beispiel, dieser italienischen Spezialität. Wir fanden das witzig, aber wie das halt so ist: Die einen finden es witzig, die andern nicht. Natürlich bin ich im Grunde genommen eine Fehlbesetzung. Aber solche verdeckten Ermittler sehen nun mal möglichst durchschnittlich und bünzlig aus. Und der Ermittler in «Undercover» hat genau deshalb Erfolg, weil ihn alle unterschätzen.

Sie betonen gern die fundierte Recherche und Realitätsnähe von «Undercover». Wird der Satiriker Giacobbo, wenn er Kino macht, plötzlich zu einem Realismusverfechter?

Nein, ich stehe ja am Morgen nicht auf und sage mir: Heute bin ich Satiriker. Diese Prämisse hab ich nicht. Ich mache das, wovon ich finde, das sei lustig oder originell. Was das Kino angeht, so haben schon bei «Ernstfall in Havanna» viele Leute gefragt, wieso ich nicht als Harry Hasler oder Fredi Hinz auftrete. Aber diese Figuren haben eine Halbwertszeit von dreissig Minuten, danach gehen sie einem auf den Wecker – am meisten mir selber. Und ich mag nicht einen Monat lang als Harry Hasler drehen, schon aus Gründen des persönlichen Komforts.

Heisst weniger Make-up denn auch zwangsläufig weniger Maskerade?

Es ist weniger Klamauk, ja. Der Ermittler in «Undercover» ist eine Eins-zu-eins-Figur, jemanden wie ihn könnte es geben im wirklichen Leben. Wie schon bei «Ernstfall in Havanna» hat mich auch hier interessiert, dass die Grundlagen der Realität entsprechen, das heisst, dass sich die Geschichten im Extremfall genau so abspielen könnten.

Als Komödie scheint mir «Undercover» aber doch ziemlich bieder. Weniger diplomatisch ausgedrückt: Dieser Film dürfte auch den Herren Blocher und Mörgeli gefallen . . .

Das ist möglich. Aber solche Urteile stammen meist von Leuten, die fixiert sind auf die politisch pointierten Sachen, die ich sonst mache. Und immerhin: Die Quintessenz des Films ist doch die, dass unser Justizminister am Ende eine Frau zur Bundesanwältin ernennt, die illegalerweise Kokain bei einem Geldwäscher in Italien beschafft hat. – Es ist ja so, dass man während der Drehbuchentwicklung immer mit vielen Leuten spricht, und alle reden irgendwie mit. Was ich sagen will: Es hätte auch einen anderen Weg geben können, und ich wäre darüber nicht unglücklich gewesen.

Welchen anderen Weg?

Die persönlichen Verhältnisse der Hauptfigur wurden irgendwann immer wichtiger. Das finde ich zwar auch reizvoll, aber es gab früher mal eine Phase, wo ich der Meinung war, dass das eher die Nebensache bleiben müsste und dass alles ein bisschen gewagter oder absurder daherkommen sollte.

Sie empfinden also eine gewisse Unzufriedenheit?

Ich bin nie zufrieden, mit keinem meiner Produkte. Das heisst, offiziell ist natürlich immer das, was man gerade gemacht hat, das Wunderbarste, was man je vollbracht hat – vor allem in Interviews wie diesem hier. Anderseits ist Film halt eine enorme Teamarbeit, und manchmal kippen ganze Handlungsstränge, weil die Bedingungen am Drehort nicht so sind, wie sie sollten. Ich bin eben das Gegenteil gewohnt. Gerade an den Kolumnen oder meinen Liveauftritten schätze ich, dass man als Autor bis zuletzt verantwortlich ist. Beim Film ist das nicht möglich, ausser man macht sich vor dem Team zum Arschloch. «Undercover» ist jetzt eher ein Beziehungsfilm geworden, und ich finde diese Beziehungen nicht uninteressant. Ob wir wirklich jede Chance zur Komik genutzt haben, das weiss ich nie.

«Im Grunde genommen bin ich eine Fehlbesetzung»

2. November 2005, Tages-Anzeiger, von Florian Keller

Möglichst durchschnittlich: Hauptdarsteller und Ko-Autor Viktor Giacobbo über seine Rolle im Film «Undercover». Der biedere Normalo, der in Wahrheit ein […]

In der Komödie «Undercover» von Sabine Boss spielt Viktor Giacobbo einen Geheimagenten. Die Komik leidet am Ernst des Lebens.

 

Der Unterschied zwischen Arnold Schwarzenegger in seiner besten und Viktor Giacobbo in seiner durchschnittlichen komischen Form liegt nicht in der Schauspielkunst, die beim einen und beim anderen mit begrenzten Mitteln auskommen muss. Sondern er gründet in dem, was man den zweien nicht glaubt, wenn sie dasselbe tun, der eine im komischen Action-Spektakel «True Lies» (1994) von James Cameron, der andere jetzt in «Undercover» von Sabine Boss, einer Agentenkomödie, in der die schweizerische Seriosität geradezu bannerhaft die Komik durchweht.

Beide Filme erzählen davon, wie ein Mann und Verbrecherjäger seine abenteuerliche und auch brachialgewaltige Natur hinter einem Schein von Langweilertum verbirgt, was der Ehe und der väterlichen Autorität nicht gut tut, von den privaten Teilen des Selbstbewusstseins nicht zu reden. Während aber der übertrainierte Arnold Schwarzenegger schon rein figürlich nicht bestimmt war zur Verkörperung eines unathletischen Würstchens, hat der unmaskierte Viktor Giacobbo die grösste Mühe, seinen, wie man sagen könnte, physiognomischen Biedersinn gewaltsam zu unterdrücken. Beide tragen ihr Image als Bürde, und keinem gelingt die Verwandlung in den anderen.

Dem Schwarzenegger konnte das seinerzeit egal sein, weil es ihm in «True Lies» erlaubt war, seinen parodistischen Tarncharakter gleich durch einen antiterroristischen Aktionismus ins Eck zu drücken, wo er dann keine Rolle mehr spielte. Der Giacobbo in «Undercover» hingegen hat es schwerer, weil der Film es todernst meint mit der Parodie und sich das Schwarzeneggerische und das Giacobbohafte als eine Harmonie realer Kontraste denkt. Als ginge das im Kino so einfach, dass einer, dessen Dienstwaffe im sonstigen künstlerischen Leben der schnelle Witz ist, einem afghanischen Drogenhändler in seinem Wüstenzelt schnell eine Pistole in den Mund stecken muss, um einen Spielfilm lang auch als Geheimagent durchzugehen (und seis nur als ein schweizerischer Bundespolizist).

Die Idee, ein wenig Schwarzenegger im Schweizer Bünzli zu finden, ist reizvoll.

Die Idee ist natürlich trotzdem reizvoll, das Harmlose kriegstauglich zu machen, das Komische im Wirklichen zu suchen und ein wenig Schwarzenegger im Bünzli zu finden oder umgekehrt. Und es ist wirklich keine schlecht erfundene Geschichte, wie der schweizerische Ermittler Boris Ruf sich zerreisst zwischen seiner Maskerade und seiner Persönlichkeit, wobei gar nicht so sicher ist, was nun die Maske ist und was das wahre Gesicht.

Die Frau (Sylvie Rohrer) läuft ihm davon, weil er ihr zu fad ist, und nimmt sich einen Harley-Fahrer, den so ein Boris Ruf mit der linken Hand auf den Rücken legen würde, wenn er dürfte. Die Geliebte (Nana Krüger), seine Chefin, schätzt den helvetischen Bond in ihm, er muss es mit ihr auf dem Schreibtisch treiben, obwohl ihm ein Bett und der Kick des Normalen lieber wären. Notwendige verdeckte Ermittlungen in Italien (Geldwäscherei, gleich nach der Aktion in Afghanistan) fallen in die geplanten Ferien mit der Tochter (Anna Schinz), das Mädchen muss jetzt mit auf die Geschäftsreise und macht es dem Vater nicht gerade leicht, und auf dem ganzen Agententum lastet überhaupt eine missmutige Sehnsucht nach jener Langeweile, die sonst der Tarnung dient.

Das klingt alles mehr nach wirklichkeitsbeschwertem Drama als nach der Komödie, die «Undercover» schliesslich sein will. Tatsächlich ist die Existenz des Boris Ruf in ihrer grundsätzlichen Wahrscheinlichkeit vielleicht lächerlich, aber eigentlich leider nicht zum Lachen, und das Allerkomischste in diesem Film ist nicht Viktor Giacobbo, sondern die kleine Szene mit Gerhard Polt als deutschem Touristen, den es aus einem anderen Film in diesen verschlagen hat.

«Havanna» war leichtfüssiger

Es gibt Komödien, die von den Kuriositäten der Realität profitieren. Diese hier leidet am Ernst und an der Trägheit des Lebens, die ihre dramatische Grundlage sind. Das Buch zu «Undercover» stammt vom bereits im «Ernstfall in Havanna» bewährten Autoren-Duo Giacobbo und Domenico Blass, ganz unschuldig ist der Hauptdarsteller also nicht an der etwas morosen Seriosität der Hauptfigur. Vielleicht ist das Buch sogar besser und charaktersatter. Aber damals in Havanna ist es leichtfüssiger zu und her gegangen, mit weniger Scheu vor der Tücke des Objekts und dem Affen, der seinen surrealen Zucker will. Und Viktor Giacobbo, der wirkliche und unser Bild von ihm, war näher bei sich als eine feine Mischung von Karikatur und Charakter.

Die Inszenierung verstärkt den Lebensernst durch eine heilige Angst vor der Karikatur. Auch die Regisseurin Sabine Boss schien damals in Havanna noch ein befreiteres Verhältnis zum höheren Blödsinn zu haben. Hier ist die Langsamkeit eines umständlichen Realismus erreicht, worin der Witz nur tröpfchenweise verabreicht wird. Der Rhythmus des Wahrscheinlichen sediert die vorhandene ungezogene Komik, bis sie brav ist. So passiert es dann, dass man in «Undercover» nicht immer weiss, was nun herrscht: die Bünzligkeit oder die komödiantische Idee davon.

Angst des Agenten vor Karikatur

, Tages-Anzeiger, von Christoph Schneider

In der Komödie «Undercover» von Sabine Boss spielt Viktor Giacobbo einen Geheimagenten. Die Komik leidet am Ernst des Lebens.   […]

«Undercover» – eine Deutschschweizer Kriminalkomödie von Sabine Boss mit Viktor Giacobbo

 

Der Vergleich von «Undercover» mit «Ernstfall in Havanna» (2002) ist nicht nur naheliegend – er wird von der jüngsten Produktion der Zürcher Vega-Film geradezu ultimativ eingefordert. Zwar heisst die Hauptdarstellerin nicht mehr Sabina Schneebeli (die wir übrigens gern einmal in einer etwas ordinäreren Rolle gesehen hätten), doch das erscheint angesichts des Barrique-Ausbaus von Viktor Giacobbo zum Superstar sekundär: Giacobbo, der nicht nur als Drehbuchautor, zusammen mit Domenico Blass, sich die Hauptrolle auf den hageren Leib geschneidert hat, sondern, als Koproduzent neben Ruth Waldburger, auch finanziell beteiligt ist. Erneut spielt er einen Bundesbeamten, nach dem trotteligen Botschaftsangestellten nun aber als der Mann für alle Fälle einen verdeckten Ermittler der Bundeskriminalpolizei. Anders als «Ernstfall in Havanna» mit seinem argen Durchhänger in der Mitte, aus dem er sich nur mit Mühe, in einem überraschenden Finale dann aber umso glanzvoller herausarbeitete, ist «Undercover» gleichmässiger gestrickt, fällt dafür zum Ende hin vielleicht etwas ab.

Sprachwitz

Was an «Ernstfall in Havanna» gefiel und ihn über die gängige Deutschschweizer Dialektkomödie hinaushob, war nicht nur der beständige ironische Seitenblick aufs Politische, sondern auch die einfallsreiche Verwendung der Sprache mit Dialekt, Hochsprache, Spanisch und Englisch. Dasselbe findet sich in «Undercover» wieder, der mit Arabisch als Einmaleinlage anhebt und in der Folge neben Dialekt und Hochsprache vor allem Italienisch zu hören gibt. (Die nächste Herausforderung für die Produzentin von Godard und Resnais wäre wohl das Französische, mit dem sich vielleicht sogar der Sprung in die Romandie schaffen liesse . . .) Die vergnügliche anagrammatische Verfremdung von Filmtitel («Con verdure»), Funktionen («Geier» – Regie) und Namen im Vorspann reflektiert schliesslich neben der witzigen Sprachspielerei auch das Prinzip der Verwechslung, wie es den (hier parodierten) Agentenfilm charakterisiert.

Bis zur Schmerzgrenze karikiert erscheint die ihr «ithaliano» radebrechende Deutsche (eine genüsslich nachsynchronisierte Gabi Bär-Richner). Und für ungetrübtes Vergnügen sorgt Hanns Zischler (den wir in durchaus guter, wenngleich etwas uniformer Erinnerung hatten) in seiner möglicherweise besten, zweifellos aber bisher komischsten Rolle als deutscher V-Mann der Schweizer Bundeskriminalpolizei, wenn sein Landsbichler, auf die Anrichte zeigend, die sich unter der Last der Köstlichkeiten nur so biegt, die «traditionelle sardische Küche» als «Armeleuteküche» bezeichnet oder sein auffälliges Spesengebaren mit «vergänglichen Repräsentationsrequisiten aus dem Piemont» begründet. Wie denn der Anteil der Gastronomie an der Verbrechensbekämpfung nicht unerheblich ist.

Rund ein Dutzend spielfreudige italienische Darsteller sorgen für Lokalkolorit in Porto Maggiore (gedreht wurde in Porto Santo Stefano und Orbetello): so der Operetten-Mafioso, der pomadige Bürgermeister (David Pietroni), der dekorative Carabiniere. Sabine Boss holt mit den Schauspielern aus den Figuren heraus, was ihnen das Drehbuch zugesteht. Aber letztlich geht es nicht um Entwicklung, wo bloss Typen angelegt sind, nicht einmal bei der Hauptfigur. Boss lässt Giacobbo schön zwischen linkisch und lässig agieren, bald als frisch geschiedenen Ex-Ehemann, bald als strapazierten Liebhaber und ausgefallenen Lover (der «undercover» eine neue Bedeutungsvariante hinzugewinnt), als überforderten Vater oder kampfsporttechnisch versierten Supercop.

Kabarett statt Satire

Der Film besitzt zwar eine durchgehende Erzählhandlung, die, nach einem Prolog in «Afghanistan», von Bern über Porto Maggiore zurück nach Zürich führt. Im Mittelpunkt die «mannstolle», «karrieregeile» Chefin der Bundeskriminalpolizei (Nana Krüger), deren Aspirationen auf den Posten der Bundesanwältin durch die Entwicklung der Dinge in Italien bedroht werden, wo Kokain und Geldwäscherei nach kreativen Lösungen rufen. Wenn sich dabei der Eindruck eines gewissen Nummerncharakters einstellt, dann wesentlich wegen einer Parallelhandlung, die durch beständige Zwischenschnitte den Gang der Dinge bremst. Darin hat sich die besorgte Mutter (Sylvie Rohrer) laufend beim genervten Ex nach dem Wohlergehen der Tochter (Anna Schinz) zu erkundigen, während im Übrigen vermittelt wird, dass Harley-Davidson-Fahrer Deppen sind.

Trotzdem will der Film den Schritt zur wirklich bissigen Satire nicht tun. In der Figurenzeichnung wie in der Episodenstruktur der Erzählung bleibt er bei der Nummernfolge des Kabaretts. Was uns Fans von «Viktors Spätprogramm» zum Finale noch etwas Blocher (Walter Andreas Müller) und Del Ponte (Birgit Steinegger) beschert. Was aber vielleicht auch aus dem Stoff hätte werden können, das suggerieren die wenigen Momente, in denen Teco Celio im Bild ist. Sein Tessiner Grottowirt Fumasoli, der aus einem betrügerischen Geschäft aussteigen will und nun von bösen Buben Kooperation eingebläut erhält, zeigt mit knappsten mimischen und gestischen Mitteln, was ein wirklicher Schauspieler ist. Das ist dann kein Kabarett mehr.

Christoph Egger

«Undercover» startet am Donnerstag, 3. November, mit 50 Kopien in den Deutschschweizer Kinos.

Con verdure oder Ernstfall in Porto Maggiore

, Neue Zürcher Zeitung, von Christoph Egger

«Undercover» – eine Deutschschweizer Kriminalkomödie von Sabine Boss mit Viktor Giacobbo   Der Vergleich von «Undercover» mit «Ernstfall in Havanna» […]

«Undercover» heisst der neue Film mit Viktor Giacobbo. Er liegt im Trend der neuen Schweizer Erfolgsfilme.

 

Im Vorfeld waren Unkenrufe zu vernehmen: «Undercover», der neue Spielfilm von und mit Viktor Giacobbo, sei besser, aber weniger lustig als der Kinoerstling «Ernstfall in Havanna». «Das habe ich auch schon von zwei Seiten gehört», bestätigt der Comedy-Star. Wir können Entwarnung geben: «Undercover» ist mehrschichtiger und realitätsnaher als der Vorgänger, weniger komisch ist er nicht. Komik ist sowieso eine Frage der Definition: «Man kann noch viel weniger  sein, damit etwas lustig ist», findet die Regisseurin Sabine Boss: «Ich hätte den Film sogar noch ruhiger gemacht.» Aber natürlich weiss sie, dass eine Genre-Form ihre Gesetze für die Umsetzung auf der Leinwand einfordert.

Sabine Boss, Viktor Giacobbo und sein Co-Autor Domenico Blass sind ein  Erfolgsteam. 313 000 Eintritte hat «Ernstfall in Havanna» erreicht, ein Höhenflug für Schweizer Verhältnisse. Warum also das Rezept nicht wiederholen? Es habe schon anders werden sollen, bekräftigt die Produzentin Ruth Waldburger, «etwas einfach zu wiederholen, ist aus Erfahrung nie gut, aber die Handschrift der Autoren ist unübersehbar – ebenso das Gemeinsame der beiden Filme: Komödien, die auch politisch sind, über Politik sprechen, über etwas, das spezifisch schweizerisch ist, obwohl in Italien gedreht».

Stressiges Doppelleben

Fettnäpfchentrampel Balsiger von der Schweizer Botschaft in Havanna aus dem Erstlingsfilm hat hier einem tüchtigen Ermittler der Bundeskriminalpolizei namens Boris Ruf (Giacobbo) Platz gemacht. Die furchterregende Eröffnungssequenz in Afghanistan setzt den Ton, der aber bald Behäbigerem weicht. Ruf führt gleich zweifach ein Doppelleben – privat und beruflich, Komplikationen sind garantiert. «Undercover» ist eine sich auch selber geniessende Agentenkomödie über Berlusconi-Italien, Küche, Fussball, Kokain, Kaffee und «treuhänderische» Geldwäscherei mit Mafiamethoden (und mit Mike Müller als Bösewicht), eine augenzwinkernde Konfrontation schweizerischer, italienischer und ein bisschen bajuwarischer Mentalität – deren Klischierung inklusive. In den Thriller eingebaut ist die Farce einer stressigen Liebesaffäre zwischen dem Agenten und seiner Chefin in der Bundeskriminalpolizei (Nana Krüger); diese will Bundesanwältin werden und strauchelt beinah über die Aktionen ihres auch erotisch Untergebenen.

Ganz schön draufgängerisch die Dame, und Boris/Giacobbo, der sich eigentlich nach nichts mehr sehnt als nach Sex wieder einmal in einem schlichten Bett, guckt fast so verzweifelt wie Woody Allen. Schliesslich dekliniert der Film eine nicht unkomplizierte Vater-Tochter-Beziehung so durch, dass die 16-Jährige (Anna Schinz) am angeblichen italienischen Ferienort just in die falschen Hände gerät, während die Mama (Silvie Rohrer), mit dem Harley-Macker Nick auf dem Befreiungstrip weg vom Langweiler Boris, die neusten Verzückungen ins Handy quäkt. Die Selbstironie, mit der Giacobbo hier mit dem Image des Biedermanns spielt, ist von feiner Komik.

Es ist also einiges los in «Undercover», woher denn eigentlich die Unkenrufe in Sachen Lustigkeit? Vielleicht sind sie symptomatisch für eine Erwartungshaltung im gegenwärtigen Schweizer Spielfilm, um dessen Popularität in Öchslegrad an Pointen konkurriert wird. Neuere Kino-Kassenschlager wie «Ernstfall in Havanna», «Achtung, fertig, Charlie!» (560 000 Eintritte), «Mein Name ist Eugen» (253 000) oder auch «Sternenberg» (123 000) stehen dafür. Die Pointe oder zumindest die Pointierung, die formal effektvolle Zuspitzung in Bild und Dialog, ist der gemeinsame Nenner von Filmen, die sich in manchem durchaus unterscheiden, deren Figuren sich aber primär durch die Situation charakterisieren, in die sie geraten – gemäss der Drehbuchmaxime: An ihrem Verhalten sollst du sie erkennen. Je verschachtelter, je bunter die Dramaturgie, desto vielversprechender die Ausbeute an Attraktionen. Mit andern Worten: In der Tendenz eine Fortsetzung der Fernseh-Soap mit Kinomitteln.

Nichts dagegen einzuwenden. Das Engagement des Fernsehens mit den Sonntagabend-Dialektfilmen hat in der Szene Schubkraft entwickelt, ermöglicht Regie- und Schauspieltalenten Kontinuität und Spielräume, überhaupt hat eine von altväterischem Respekt gegenüber dem Film unberührte Generation die Kamera in die Hand genommen. Der Schweizer Film tritt frischer auf, was dem Klima zwischen ihm und dem Publikum nur förderlich sein kann. Ein Trend zu Standards hockt sich aber im Bewusstsein fest, und wenn da inzwischen – auch! – ein Überdenken angesagt wäre, ist dies nicht zuletzt eine Forderung nach den jeweils adäquaten Kanälen der Filmförderung. Nicht um «Sternenberg» oder «Undercover» zu Problemfilmen über Landflucht und Geldwäscherei umzukrempeln; auch weiss Giacobbo, dass politische Satire im TV-Format aktuell besser aufgehoben ist. Es geht um die Kräftigung und Promotion der ganzen schönen Vielfalt an Qualitäten und Handschriften im gegenwärtigen Schweizer Film.

Neue Herausforderungen

Viktor Giacobbo ist da nicht skeptisch. Falls ein Trend zur Standardisierung tatsächlich bestehe, meint er, «dann wahrscheinlich als Reaktion auf die Zeiten, als man das innerhalb der Schweizer Filmszene nicht durfte, als die Bezeichnung  das grösste Schimpfwort war. Ich sehe eher die Tendenz, dass in der Schweiz Filme in den unterschiedlichsten Genres entstehen und diese nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden, dass eine Komödie nicht mehr grundsätzlich weniger wert ist als ein Flüchtlingsdrama. Zum Glück sind jetzt viele neue junge Filmer aufgetaucht, die sich um Muster, Tendenzen und Tabus nicht kümmern, sondern sehr kreativ an ihre Filme herangehen.»

«Undercover» kann ein Erfolg prognostiziert werden. Fortsetzung folgt? Kaum. Sabine Boss freut sich auf ihren Fernsehkrimi, wo sie mehr mit Bildern arbeiten will und «einem Drittel weniger Dialog – ich setze mir da immer so Vorgaben!» Und Viktor Giacobbo, der sympathische Star, hat ein Filmprojekt im Kopf, bei dem er Regie führen möchte. Vorerst aber heisst es eine Saison lang Zirkus Knie. Mit Fredi Hinz!

«Undercover» startet am 3. 11. 05.

Italokaffee und anderes Pulver

23. Oktober 2005, NZZ am Sonntag, von Martin Walder

«Undercover» heisst der neue Film mit Viktor Giacobbo. Er liegt im Trend der neuen Schweizer Erfolgsfilme.   Im Vorfeld waren […]

Er trinkt keinen Alkohol; an Silvester lässt er sich mit einem Glas Rimuss gehen. Und: Sogar in der Autowaschanlage behält er den Sicherheitsgurt an. So einer ist Felix Unger (Viktor Giacobbo). Ein missratener Lammrücken kann das Universum des Haushaltsperfektionisten ganz schön durcheinander bringen. Die Konflikte sind vorprogrammiert, wenn der überkorrekte Felix – von seiner Frau vor die Tür gestellt – bei seinem Freund Oskar Mäder (Mike Müller) einzieht. Der geschiedene Sportjournalist ist ein Lebemann, der es weder mit dem Sauberhalten seines Lofts noch mit den Alimentenzahlungen an die Ex-Frau allzu genau nimmt.

Viktor Giacobbo hat Neil Simons Komödie «The Odd Couple» ins Schweizerdeutsche übersetzt (Ausgabe vom Mittwoch). Das Stück hatte bereits in der Verfilmung mit Walter Matthau und Jack Lemmon in den Hauptrollen ein riesiges Publikum begeistert. Am Donnerstag fand im Casinotheater Winterthur die Uraufführung der schweizerdeutschen Version statt. «Ein seltsames Paar» (Regie: Stefan Huber) spielt nicht in Manhattan, sondern in Zürich und ist voller Bezüge auf die Limmatstadt. «Blas deinen Qualm doch nach Schwamendingen», rät etwa beim Pokern einer dem andern. Alle vier Szenen der äusserst kurzweiligen Produktion spielen in ein und demselben Raum, nur ist dieser zu Beginn der zweiten Szene kaum wiederzuerkennen; der Ordnungsfanatiker Felix war am Werk. Kein überquellender Aschenbecher steht mehr neben dem Sofa, kein schmutziges Geschirr auf dem Tisch. Wenn die Männerrunde sich wie jeden Freitag zum Pokern trifft, so gilt es seit neuestem beim Eintreten die Schuhe auszuziehen. Und selbst die Miró-Reproduktion über dem Sofa ist nicht mehr, was sie einmal war: Das Bild ist «aufgeräumt», nach dem Vorbild von Urs Wehrlis Buch «Kunst aufräumen» – ein lustiges Detail.

Am komischsten sind indes die beiden Hauptdarsteller selbst. Allein schon ihre Körperhaltungen sprechen Bände: hier Müller, bullig und mit vorgeschobenem Kopf wie ein Stier kurz vor dem Angriff, da Giacobbo mit fahrigen Bewegungen und Händen, die keinen Augenblick aufhören zu zappeln. Was die achtköpfige Schauspielertruppe während einer kurzen, aber intensiven Probezeit einstudiert hat, ist gute und gleichzeitig intelligente Unterhaltung. Die Figuren sind nicht plakativ, sondern psychologisch differenziert gezeichnet. Und so kommen – zwischen den Lachtränen – durchaus immer wieder auch ernste Gedanken auf. Und nicht wenige der Anwesenden dürften sich selber ein wenig erkannt haben …

Bis 1. Oktober.

Ein Spass mit ernsten Momenten

3. September 2005, Südostschweiz, von Anne Suter

Er trinkt keinen Alkohol; an Silvester lässt er sich mit einem Glas Rimuss gehen. Und: Sogar in der Autowaschanlage behält […]

Im Casinotheater Winterthur pokert Viktor Giacobbo hoch mit der teuren Eigenproduktion von Neil Simons «Ein seltsames Paar» – und gewinnt.Wer sich von Oskar ein Sandwich wünscht, darf zwischen Grün (das heisst sehr jungem Käse oder sehr altem Fleisch) und Braun wählen. Das Bier ist warm, die Pommes Chips schmecken ranzig, dicker Zigarrenrauch durchzieht den schicken Loft, unter dem Christoph Schubiger das verschnörkelte Gold der kleinen Bühne verschwinden lässt. Der Qualm legt sich sanft über die pokernde Männerrunde und vernebelt die Sicht auf den ungemütlichen Alltag. Auf kapriziöse und anspruchsvolle (Ex-)Ehefrauen, auf Paartherapien, offene Alimentenzahlungen und drohende Ferienreisen.

Doch zeichnet sich nervöse Anspannung in den fünf konzentrierten Pokerfaces ab. Es braucht bloss einen einzigen leicht verspäteten und derangierten Felix, um das labile Gleichgewicht zu kippen und den Männerbund in einen hysterischen Kriseninterventionsstab zu verwandeln. Felix, der von seiner Frau verlassen wurde, wird zur Suizidprävention bei Oskar einquartiert. Was zu saftigen Komplikationen führt.

Es sind vier starke Theaterakte, welche die Truppe um Viktor Giacobbo und Mike Müller aus Neil Simons Komödie «Ein seltsames Paar» («The Odd Couple») schöpft. Die vierzig Jahre, die seit der Uraufführung des Stücks in New York und der kurz darauf folgenden Verfilmung mit Jack Lemmon und Walter Matthau vergangen sind, scheinen am Stoff abzuperlen. Dies ist einerseits Giacobbos Textadaption zu verdanken, die effizient knappe Dialoge und süffige Mundart mischt. Dann aber auch der sorgfältigen Arbeit von Stefan Huber.

Der Regisseur setzt nicht auf Knalleffekte, sondern auf Nuancen. In nur vier intensiven Probewochen hat er mit einem überzeugenden Ensemble geduldig die unzähligen psychologischen Knoten und Verwicklungen des Stücks aufgedröselt und die latenten Ängste der Männer freigelegt: das drohende Versagen, die Konkurrenz, die Eifersucht und die ewige Suche nach Geborgenheit. So flüchtet sich Giacobbo in der Rolle des zerbrechlichen Felix vor seinen Minderwertigkeitsgefühlen wechselnd in vorwurfsvolle Hypochondrie und aufsässige Putzorgien, während Mike Müllers Oskar als geschiedener Single und Sportreporter seine Depressionen vergeblich hinter bärbeissiger Gelassenheit zu verstecken sucht.

Leider verlässt Huber der künstlerische Röntgenblick, wenn es im dritten Akt um die Frauenfiguren geht. Katharina von Bock und Rebekka Burckhardt haben in den Rollen zweier verschwisterter Nachbarinnen einen schweren Stand. Zwar sehen die beiden Bühnen-Täubchen mit hochgestecktem Blondhaar und tief geschnittenen Décolletés blendend aus, doch hakt die Inszenierung sich da an der schrillen Oberfläche fest. Beide Frauen bleiben auf laszives Räkeln und deplatziertes Lachen reduziert. So wird das Spiel in ihrer Gegenwart absehbar, ohne dass die beiden Schauspielerinnen eine Chance bekommen, dagegenzuhalten. An diesem Abend bleiben die Männer besser unter sich.

Weitere Vorstellungen bis 1. 10.

Am grossen Vorbild nicht gescheitert

, Tages-Anzeiger, von Charlotte Staehelin

Im Casinotheater Winterthur pokert Viktor Giacobbo hoch mit der teuren Eigenproduktion von Neil Simons «Ein seltsames Paar» – und gewinnt.Wer […]

Das Casino ist jetzt ein Theater und kein Prominentenkarussell mehr. Mike Müller und Viktor Giacobbo hasslieben sich innig.

 

«Es ist der achte Stock, nicht der siebte.» Licht aus. Die Schlusspointe sitzt in jedem Akt. «Ein seltsames Paar» aus der Feder von Neil Simon ist kein plumpes Zotenfeuerwerk, sondern eine geschickt konstruierte Boulevardkomödie. Und sie funktioniert. Viktor Giacobbo hat es verstanden, den amerikanischen Stoff in die schicke Loft im Zürcher Industriequartier (Bühnenbild: Christoph Schubiger) zu übertragen. Jetzt werden halt Suizid-SMS in die Welt gesetzt, und wenn der Lammrücken brennt, hilft der Pizzakurier aus der Haushaltpatsche.

Eukalyptus verdrängt Zigarrenrauch

Die Story ist – wie es sich gehört – denkbar einfach: Felix Unger (logischerweise von Giacobbo gespielt) fehlt an der traditionellen Pokerrunde. Das kümmert niemanden, bis durchsickert, dass Felix von seiner Frau aus der Wohnung geschmissen wurde. Der putzende Jammerlappen hat sich mit der Drohung verabschiedet, sich umzubringen. Einigermassen lebendig taucht er dann trotzdem im Kreise seiner Zockerkumpels auf. Sportjournalist Oskar Mäder (brillant: Mike Müller), der seit dem Auszug seiner Familie Abfall ablagernd durch seine Loft mäandert, bietet ein Dach über dem Kopf. Und damit beginnt die wundersame Verwandlung des Chaos. Hiess die Frage zuvor: «Was ist das Grüne im Sandwich, sehr junger Käse oder altes Fleisch?», so heisst sie nun: «Frittierte Steinpilze auf Toast oder Roquefortsoufflé?» Am desinfizierten Tisch fällt die Pokerrunde auseinander. Der Polizist Mario (souverän: Peter Fischli), der die Runde sowieso längst hätte auffliegen lassen können, verabschiedet sich ebenso wie der Fettnäpfchenliebhaber Wini (Marcus Fritsche). Auch Speed (Thomas Mathys) und Rolf (Peter Zimmermann) haben die Nase gestrichen voll von der eukalyptusgeschwängerten Luft. Da war ihr die Mischung aus Kompost und abgestandenem Zigarrenrauch noch lieber. Zurück bleibt das ungleiche Paar Oskar und Felix. Um sich zu trösten, spielen sie «Wer war der schlechtere Ehemann?»; und um sich zu unterhalten, liefern sie sich erbitterte Wortgefechte.

Schlagfertig sind sie beide. Langatmig wird der Hahnenkampf nur kurz nach der Pause. Ansonsten führt Stefan Huber wunderbar gradlinig Regie, hält das Tempo hoch und lässt zugleich Zwischentöne und Rhythmuswechsel zu. Giacobbo stattet seinen Felix mit einer gehörigen Portion Durchtriebenheit aus: Der pingelige Hausmann richtet die Waffen sofort gegen sich selbst, wenn er sie strecken müsste. Er ist sich der Macht, über die der Schuldgefühle weckende Selbstzerstörer verfügt, sehr wohl bewusst.

Müller reduziert Oskar nicht auf den Dreitakt geschieden, pleite, schlampig, sondern pendelt zwischen Hilflosigkeit und Herzlichkeit, fährt fluchend auf, um sogleich verloren in die Ferne zu blicken, weil der Sohn anruft, dessen Goldfisch in Vaters Obhut längst vertrocknet ist.

Diese Momente verleihen dem ausgezeichnet adaptierten Stück Tiefgang. Zusehends spiegelt sich im Männerstreit die Sehnsucht nach der zerrütteten, schmerzlich vermissten Ehe wider. Platt wird die Inszenierung nicht einmal, als die aufgetakelten Gudrun und Carola Taube (Katharina von Bock und Rebekka Burckhardt) auf dem Sofa wiehernd die eigenen Witze belachen. Eigentlich schluchzen sie aber viel lieber. Und auf dem Gebiet hat Felix den Doktor.

Der Aufwand hat sich gelohnt

Erstmals hat das Casino ein Kammerspiel produziert, statt ein locker zusammenhängendes Comedypotpourri zu zeigen, das in erster Linie von der Namenliste der Mitwitzelnden lebt. Der Aufwand hat sich gelohnt. Die Handschrift des Regisseurs ist deutlich zu erkennen, Müller zeigt schauspielerisch eine grosse Leistung. Beim Schlussapplaus wird Huber von seinen Hauptdarstellern in die Zange genommen und bekommt zwei dicke Küsse. Er hat sie redlich verdient.

«Ein seltsames Paar» wird bis 1.Oktober gespielt.

Sehnsucht nach dem Ehekrach

, Landbote, von Felix Reich

Das Casino ist jetzt ein Theater und kein Prominentenkarussell mehr. Mike Müller und Viktor Giacobbo hasslieben sich innig.   «Es […]

Die neuste Eigenproduktion des Casinotheaters ist eine gerissene Sache: VR- Präsident Viktor Giacobbo hat die amerikanische Filmkomödie «The odd couple» («Ein seltsames Paar») auf Schweizer Verhältnisse übertragen und Talente um sich geschart, die den Abend zu einem Höhepunkt in der Geschichte dieser Bühne machen.

 

Lachen mit Walter Matthau war schön, lachen mit Mike Müller ist schöner. Weil mit Erkenntnis verbunden. Vergessen ist alles, was wir bisher im Videogeschäft unter «Autor: Neil Simon; Titel: «The odd couple; Cast: Walter Matthau (Oskar), Jack Lemmon (Felix) u. a.» ausliehen, um Männer zu verstehen – in Winterthur steht eine Beziehungskrise auf der Bühne, die unsere relativiert.

Das Erfolgsrezept dieses Abends ist so einfach wie raffiniert. Man nehme eine Komödie, die Filmgeschichte schrieb, gewinne für die Hauptrollen zwei der landesweit beliebtesten Komiker (Mike Müller und Viktor Giacobbo) und besetze die Nebenrollen ebenso gefühlvoll mit Publikumslieblingen mit dem Profil einer Katharina von Bock, eines Peter Fischli oder Marcus Fritsche. Dann gebe man das Ganze in die Hände und den szenischen Ofen eines erfahrenen Regisseurs mit dem Talent, aus unterschiedlichsten Schauspielerpersönlichkeiten das Beste zu filetieren – und fertig ist: «Ein seltsames Paar», inszeniert von Stefan Huber, die Geschichte des Niederganges einer Pokerrunde, eines Männerhaushaltes und der Freundschaft eines gefühlvollen Neurotikers (Giacobbo: Felix, ein Nachrichtenredaktor) mit einem liebenswerten Ekel (Müller: Oskar, ein Sportreporter).

Und fertig ist? Nein, hier beginnt es erst. Entscheidend sind zwei Punkte. Der erste mag im Grunde zweitrangig sein, doch beteiligt am Erfolg ist auch sie, die Adaption amerikanischer Grossstadtverhältnisse in den sechziger Jahren auf städtische Zürcher Verhältnisse von heute. Viktor Giacobbo hat, vielleicht nicht immer unaufdringlich, die New Yorker Chiffren eines Junggesellenlebens nach Zürich West transponiert (in ein weisses Loft von Christoph Schubiger) und spielt mit Bezügen zu Zeit und Ort. Die Dialektübertragung setzt auf Figuren heutigen Zuschnittes – die, let’s say: einen Lifestyle verkörpern -, und das ist nicht nur eine Extravaganz. Auf der Bühne stehen die Archetypen zweier Lebensmuster, wie man sie von Gault- Millau lernt oder aber in therapeutischen Selbsthilfegruppen trifft: der verrauchte, verschwitzte, versoffene Oskar contra den bis zur Zahnlosigkeit gezähmten neuen Mann in der Figur des Putz- und Jammerlappens Felix.

Sie beide spielen dem zweiten Punkt des Erfolgs in die Hand und verantworten, dass die Komödie in ihren besten Momenten nicht in Klamauk, sondern in eine Tragödie kippt. Mike Müller und Viktor Giacobbo haben sich entschieden, jenseits von Jack Lemmon und Walter Matthau ihren eigenen, ambivalenten Charakter zu finden. Giacobbo gibt seinem vermeintlichen Opferlamm Felix das Bewusstsein über seine Macht und eine Boshaftigkeit mit, die ihn lebensecht macht. Und Müller, ja Mike Müller entdeckt uns im vermeintlichen Misanthropen Oskar eine Vielschichtigkeit, wie man sie in dieser Generation Schweizer Bühnendarsteller selten sieht. Lachen mit Matthau war grossartig, lachen mit Müller ist besser. Weil wir vom Dilemma des modernen Mannes selten so viel verstehen wie hier auf einer Bühne.

Winterthur, Casinotheater, 1. September bis 1. Oktober.

Felix (in) Winterthur – Ein Theater schenkt der Stadt ein seltsames Paar

2. September 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Die neuste Eigenproduktion des Casinotheaters ist eine gerissene Sache: VR- Präsident Viktor Giacobbo hat die amerikanische Filmkomödie «The odd couple» […]

Giacobbo / Müller: «Ein seltsames Paar»

Manhattan-Transfer: Viktor Giacobbo verlegt Neil Simons Boulevardkomödie «The Odd Couple» aus New York 1965 ins Zürcher Westend von 2005.

 

Man kennt es: offene Zahnpastatube, zerfledderte Zeitung unterm Sofa, offene Schranktüren. Man könnte wahnsinnig, könnte gar zum Mörder werden. Oskar (Mike Müller), Sportjournalist, glücklich geschieden, schlampig, aber sonst ein netter Kerl, ist schon bald so weit. Seit einiger Zeit gewährt er nämlich seinem Kumpel, dem Nachrichtenredaktor Felix (Viktor Giacobbo) Gastrecht in seinem grossen Loft. Felix hats bitter nötig, ist am Boden zerstört, will seinem Leben ein Ende machen. Denn: Seine Frau ist ihm davongelaufen. Jetzt zeigt sich wahre Männerfreundschaft!

Nur, Felix machts einem nicht einfach: Er ist pingelig, neurotisch, hypochondrisch. Wischt Staub, kocht und verwandelt Oskars chaotische Junggesellenbude in einen soignierten Haushalt, was hüben wie drüben Stich- und Gifteleien provoziert. Selbst die wöchentliche Pokerrunde mit vier weiteren Kollegen (Marcus Fritsche, Peter Fischli, Thomas Mathys, Peter Zimmermann) im weissen, neuerdings klinisch sauberen Wohnzimmer (Bühne: Christoph Schubiger), wo man die Schuhe gefälligst auszuziehen hat, kommt arg ins Schlingern. Vielleicht fehlt Felix einfach eine Frau; mit den Nachbarinnen, den Schwestern Gudrun (Katharina von Bock) und Carola (Rebekka Burckhardt), ist ein feuchtfröhlicher Abend anberaumt, doch Felix . . . – Sie werden es nicht glauben!

G’s geständnis

Plot bekannt? Neil Simon hat ihn 1965 auf die Bühne gebracht, drei Jahre später Gene Sacks mit Jack Lemmon und Walter Matthau auf die Leinwand. Jetzt hat Viktor Giacobbo den Knüller ins Schweizerdeutsche übertragen, wobei er feststellte, «dass die Direktheit und die Schnoddrigkeit der Mundart mitunter fast näher am englischen Original sind als die hochdeutsche Fassung». Klar, dass Aktualisierungen vorgenommen werden mussten – Handys zum Beispiel gabs in den 60ern noch nicht. Nein, den Film habe man bewusst nicht zum Vorbild genommen. Ja, er habe selbst etwas Pingeliges, gibt Giacobbo alias Felix zu, und Oskar-Mike zwinkert lautstark. Er seinerseits muss bisweilen die typisch «soledurnisch» geprägte Lautfärbung etwas zurücknehmen, damit der spritzige Dialog und das Tempo durchkommen. Dass Timing und Pointen sitzen, dafür sorgt Regisseur Stefan Huber, der es nach der grossen «Heidi»-Kiste geniesst, kammermusikalisch und mit feinerem Pinsel zu zeichnen.

Winterthur, Casinotheater: Do 1.9. (Premiere) bis Sa 3.9. und Di/Mi 6./7.9., jeweils 20 Uhr. Weitere Vorst. Di-Sa, bis 1.10.

Staubwedel-Blues in Züri West

1. September 2005, Züritipp, von Bruno Rauch

Giacobbo / Müller: «Ein seltsames Paar» Manhattan-Transfer: Viktor Giacobbo verlegt Neil Simons Boulevardkomödie «The Odd Couple» aus New York 1965 […]

Fredi Hinz ist zurück, «unstoned» (fast) – ein Hörbuch

 

Zwei Jahre mussten wir auf ihn warten, und es hat sich gelohnt. Ob er sein Time-out als Proband einer Studie über die Cannabis-Behandlung bei Migräne genutzt oder in Nepal den Hausbau mit Thermo-Hanf evaluiert hat, bleibt wohl ewig ein Gerücht. Fredi Hinz jedenfalls, nach Polo Hofer der Schweiz liebster Kiffer, meldet sich zurück, frisch zugedröhnt, mit einem Hörbuch von bewusstseinserweiternder Wirkung. Man darf hier also durchaus von einem Integrationserfolg eines kreativen Randständigen berichten; die CD ist ein Geschenk für alle, die sich nicht nur zur Weihnachtszeit als Christenmenschen fühlen wollen.

«Fredi Hinz unstoned» nennt sich der Diskussionsbeitrag aus einer Welt, die wir Nüchternen nur zu gerne marginalisieren: die Existenz jener, die an der Hand ihres Gassenarbeiters auf den Strassen des Lebens unterwegs sind. Dass sie, die Sozialarbeiter, im Grund eine Schweizer Erfindung sind und Tellensöhne allesamt («Aus dieser hohlen Gasse . . .»), lernen wir bei Hinz. Und wenn bereits im ersten Kapitel ein solches Exemplar zu Wort kommt – in den Worten von Viktor Giacobbo -, begreifen wir zudem, dass «Sozialarbeitergesülz» (Fredi Hinz) die rezeptfreie Alternative zu Valium ist. Das ist, nach lediglich fünf Minuten Genuss, unser erster Erkenntnis-Flash. – Der zweite folgt dem ersten auf dem Fuss, der naturgemäss ein schlecht durchbluteter ist: Fredi Hinz enttäuscht uns auch nach seinem temporären Rückzug ins Private nicht und tritt Hinz-gemäss «stoned» vor sein Publikum. Sein Manager Giacobbo freilich will das Leitmotiv der CD – «stoned» beziehungsweise das Gegenteil – mit einem ethischen Imperativ verbunden wissen, nämlich Hinz nicht zu «steinigen», ihn nicht auf seinen Haschkonsum reduzieren zu wollen. Das wäre in der Tat ein Missverständnis, genehmigt er sich doch bekannterweise vom Meerschweinchenheu bis zum Fliegenpilz die vielfältigsten Stimmungsaufheller.

Hinz hat sich für seine Wortmeldungen auf kompakter Disc viel, vielleicht zu viel vorgenommen. Er politisiert zu aktuellen Themen, unterhält sich mit Jean Ziegler (Walter Andreas Müller) und Peter Bichsel (Mike Müller) oder hält eine bildungsbürgerliche Totenwache – während deren er das bekannte Öko-Gedicht «Gefunden» von Goethe selig fleddert. Dass Hinz das Blümchen des Weimarer Geheimrats indes vertrocknen lässt, hat gewiss mit dem pathologischen Selbsthass der Randständigen zu tun. Doch glücklich ist, wer sich selbst dafür hält: Hinz weiss sich zu helfen, er wird den welken Lyrismus in seine Pfeife stopfen und rauchen . . .

Es ist hier nicht der Protagonist, der uns nachdenklich stimmen muss. Bedenklich ist die Verfassung von Peter Bichsel mit der Stimme von Mike Müller, der vor seiner eigenen Sprachlosigkeit kapituliert. Mag er uns zwar mit unerwarteten musikhistorischen Einsichten überraschen («Mick Jagger ist der Willi Ritschard des Rock’n‘ Roll . . .»), Bichsels Nihilismus besitzt mittlerweile eine Nietzschesche Dimension. Wenn Fredi Hinz ihm für den Fortsetzungsband nicht ein, zwei Magic Mushrooms über den Tisch schieben wird, ist für den Freund des Rebensaftes mit dem Schlimmsten zu rechnen.

Viktor Giacobbo: Fredi Hinz unstoned. Verlag Kein & Aber, Zürich 2005. Fr. 22.-.

Blowing in the wind – Choralkantate für Cannabis

5. Juli 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Fredi Hinz ist zurück, «unstoned» (fast) – ein Hörbuch   Zwei Jahre mussten wir auf ihn warten, und es hat […]

Das Casinotheater Winterthur feiert und finanziert sich selberWinterthur · Die Idee hatte der neue künstlerische Leiter des Hauses, Direktor Paul Burkhalter, und die beiden Verwaltungsratspräsidenten, Viktor Giacobbo für die Casino Theater AG Winterthur und Patrick Frey für die Casino Immobilien AG Winterthur, stimmten sofort zu: Mit einer festlichen Benefizveranstaltung sollte das Haus für Kleinkunst, Kabarett und Comedy neue Mittel äufnen, um künftige mögliche Defizite schon mal weitsichtig abzufangen. Das Gerücht, das Theater, in dem auch schon die renommierte Branchentrophäe Salzburger Stier verliehen wurde, sei inzwischen selber stier, wurde in aller Form dementiert.

Also feierten gestern Nacht 350 Gäste die Gala 05, samt Kleinkunst, grossem Buffet, Tanz und Tombola, und das zum stolzen Platzpreis von 450 Franken. Das Casinotheater finanziert sich weitgehend selber: Die Aktionäre legen Geld ein, bezahlen trotzdem stattliche Eintrittspreise und treten möglicherweise gar noch selber auf – oder doch mindestens, wie an diesem Samstagabend, in Erscheinung. «Wir folgen eben einem eigenen Wirtschaftsprinzip», sagt Giacobbo, «und das ist die verdeckte Selbstausbeutung.» Und Frey ergänzt: «Und alle geniessen es und profitieren davon.»

Tatsächlich: Diesem Perpetuum mobile der Kleinkunst, das in Winterthur erfunden worden ist, strömen die hochkarätigen Gäste nur so zu. Schauspieler Mathias Gnädinger ist mit Ehefrau Ursula da. Kabarettist Franz Hohler, der Doyen der Branche, kommt von Oerlikon her gewandert oder mindestens vom Hauptbahnhof Winterthur. Ständerat Ernst «Aschi» Leuenberger ist gar von Solothurn hergefahren – «aus Bewunderung für Giacobbo». Später gibt der Eisenbahngewerkschafter dem zweiten Winterthurer Lokalstar Beni Thurnheer ein paar Tipps, die sich Beni erbittet, weil sein Sohn Lokführer werden möchte.

Möglicherweise würde sich auch SBB-VR-Präsident Thierry Lalive d’Epinay gerne an dieser Diskussion beteiligen, der, mit seiner schönen Frau Maya, wenig später über den roten Teppich schreitet – so verbindet der Humor so gar Klassen. «Ein genialer Profi» sei Giacobbo für ihn, sagt er, und auch Beni schwärmt vom ungewöhnlichen Businessmodell des Casinotheaters: «Es ist aus einer Initiative von Künstlern entstanden, die zusammenstehen und das aus eigener Kraft betreiben, ohne Subventionen. Es macht Spass, dabeizusein, es ist eine Art kultureller Schmelztiegel.» Und wie immer, wenn die Initiative der Kleinen gewürdigt wird, ist Kurt Felix nicht weit: «Das Casinotheater ist ein Gegenmodell zur subventionierten Hochkultur – und mir deshalb eine ganz besondere Freude.»

Nationalrätin Christine Egerszegi hat es als Mitglied des berühmten Lehrer-Cabarets Mellingen hergezogen. Sie schreibt selber Texte; «im Rat in Bern gibt es dafür Stoff genug», sagt sie, woran niemand in der Runde zweifelt. Sängerin Vera Kaa und Schauspielerin Bettina Dieterle albern herum. Regisseurin Katja Früh ist mit Schauspieler Ludwig Boettger gekommen, den wir aus «Lüthi und Blanc» kennen.

Überraschungsgast Piet Klocke trifft ein, Regierungsrat Markus Notter ist da und Ex-Fernsehmann Peter Wettler. Filmproduzentin Ruth Waldburger ist in Begleitung von Regisseurin Sabine Boss, die demnächst mit den Dreharbeiten beginnen wird für «Under Cover», eine Agentenkomödie mit einem gewissen Viktor Giacobbo in der Hauptrolle. Gross- aktionär – «ja, ja, eine sechsstellige Summe» – Roger Schawinski ist aus Berlin angereist, und Nationalrat und Jean-Frey-CEO Filippo Leutenegger immerhin aus der rechten Ecke der FDP.

Die ganze Welt ist sozusagen nach Winterthur gekommen. Nur einen wundert das nicht. Der Winterthurer Stadtpräsident Ernst Wohlwend weiss: «Winterthur ist eine trendige Stadt geworden, und unser populärstes Kulturgut ist das Casinotheater.»

So wars:
Stimmung: Ausgelassen
Highlight: All die alten Bekannten
Gesprächsthema: Wer ist denn bloss dieser Überraschungsgast?
Fazit: Volle Kasse

Perpetuum mobile des Humors

20. März 2005, SonntagsZeitung, von Roger Anderegg

Das Casinotheater Winterthur feiert und finanziert sich selberWinterthur · Die Idee hatte der neue künstlerische Leiter des Hauses, Direktor Paul […]

Drei Jahre nach Eröffnung, ein Jahr nach Antritt des neuen künstlerischen Leiters Paul Burkhalter hat sich das privat finanzierte Casinotheater Winterthur zum Kompetenzzentrum für die Kunst der Unterhaltung entwickelt. VR-Präsident Viktor Giacobbo konstatiert gar eine neue Aufbruchstimmung. Mit einer glamourösen Benefizgala wird am Wochenende für Goodwill geworben – und Geld gesucht.

 

Winterthur ist gemeinhin so glamourös wie Schinznach Bad bei Wassermangel. Diesen Samstag aber mag Zürich erbleichen: Alles, was Rang und Namen hat in der Schweizer Kabarettszene, gibt sich im Winterthurer Casinotheater ein Stelldichein – und wer es wagt, für die Gäste wurstige Umschreibungen zu wählen, lässt ausser acht, dass jedes Land die Prominenz hat, die es verdient. Paola & Kurt Felix, Franz Hohler, Joachim Rittmeyer, Lorenz Keiser, Beni Turnheer, Vera Kaa, Patrick Frey zum Beispiel – und als heimlicher MC, Master of Ceremony, Viktor Giacobbo – sind die Künstler, die an der ersten Benefizgala des Casinotheaters für das Casinotheater einem illustren Publikum aus Finanz und Wirtschaft die Nacht unvergessen machen wollen.

Warum eine Benefizgala in eigener Sache? Hat man sich an der Stadthausstrasse vor drei Jahren mit der Gründung eines Hauses von Künstlern für Künstler finanziell übernommen? Zumal absehbar war, dass man – für Theater gemeinhin ein selbstmörderischer Gedanke – ohne Subventionen auskommen müsste? Die Zahlen der Auslastung 2004 für die insgesamt 277 öffentlichen Veranstaltungen (2003: 272) strafen solche Spekulation Lügen: Sie betrug 2004 durchschnittlich 73,2 Prozent (68 276 Besucher) und hat, verglichen mit 2003, sogar eine leichte Zunahme erfahren (65,8 Prozent, 65 537 Besucher). 2004 belief sich das Gesamtbudget auf 6,7 Millionen Franken; dieses Umsatzziel wurde erreicht, weshalb 2005 das Budget auf 6,8 Millionen Franken erhöht werden konnte. Als Sponsor ist 2004 neu die Zürcher Kantonalbank eingestiegen.

Natürlich sind Zahlen das eine und oft zu geschönt, um wahr zu sein. Doch die Stimmung am Haus ist tatsächlich so frühlingshaft, dass man billig von einem zweiten Aufbruch durch eine neue Casino-Generation sprechen kann. VR-Präsident Viktor Giacobbo jedenfalls konstatiert für sein Theater eine «interne Kreativität auf einem Höhepunkt», die in allen Bereichen Neues möglich mache. Durch «eine inhaltliche Beteiligung der Küche» etwa können neu thematische Lesungen angeboten werden. Als nächste steht etwa ein Muttertagsmenu an, bei dem alle Mütter glücklich gekocht werden sollen, während der satirische Psychoanalytiker Peter Schneider dem Mutterglück zusätzliche Hilfestellung leisten wird. Die Leitung der Küche, des Restaurants und des Event-Betriebs liegt nach Abgang Thomas Keels bei der internen Nachwuchskraft Tamara Cortese.

Das Profil des Theaters – von vielen Künstlern baulich und atmosphärisch als das schönste in der Schweiz gerühmt – hat sich in der Amtszeit von Paul Burkhalter noch einmal geschärft: Es darf sich im Jahr vier seines Bestehens als führendes Komödienhaus des Landes bezeichnen. Sein Leistungsauftrag wird breit, das heisst unprogrammatisch definiert, so dass unter ein und demselben Dach die schärfste real existierende Politsatire (Mathias Deutschmann) ebenso ihr Publikum findet wie der Flachwitz des beliebten Chaos-Theaters Oropax. Der Wermutstropfen: Der Profilierung des Casinotheaters ist möglicherweise das kulturpolitisch unentschuldbare Ende des Zürcher Bernhard-Theaters zupass gekommen. So wird man in Winterthur allein im Monat April vom einzigen Schweizer Gastspiel Alfred Bioleks profitieren, der den «Ring des Nibelungen» vor Gericht stellt; von einer Lesung des «Titanic»-Kolumnisten Max Gold oder der Schweizer Premiere einer Märchenstunde von und mit der schamlosen Hella von Sinnen. Aus Zürcher Optik muss gesagt sein: Man findet das Vergnügen nur selten dort, wo man es sucht.

Glamour-Faktor positiv: Das Casinotheater hat sich zum Komödienhaus entwickelt

19. März 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Drei Jahre nach Eröffnung, ein Jahr nach Antritt des neuen künstlerischen Leiters Paul Burkhalter hat sich das privat finanzierte Casinotheater […]

Hand aufs Herz: Sind Sie nicht auch schon im Konzert gesessen und haben gehofft, es möge etwas Schreckliches passieren, damit Sie nicht umkommen vor Langeweile? Letzten Dienstag ist das seit Jahren angestaute Abonnentenflehen erhört worden: Das finale F-Dur von Otto Nicolais Windsor-Ouvertüre hängt noch in der Luft, da geht die Tür auf und Debbie Mötteli, die geilste Schnalle von Volketswil oder Bümpliz, stöckelt in den Casinosaal. Samt bauchfrei pubertierendem Gottenkind Gabi Muff, das unbedingt Musicstar werden will.

Die beiden aufgetakelten Hühner, gespielt von Viktor Giacobbo und Fabienne Hadorn, führen durch den Konzertabend mit dem Musikkollegium Winterthur. Dabei mutieren die Pausenunterhalterinnen für viele zur Hauptattraktion. Wohl auch für den Konzertveranstalter, der schlichtweg vergessen hat, auf dem Programm den Dirigenten aufzuführen. Dabei ist es allein die musikalische Qualität, die den Abend vor dem Abgleiten in reinen Klamauk bewahrt.

Amüsant wird der Abend im zweiten Teil, wenn die beiden Stränge Comedy und E-Musik nicht mehr nebeneinanderher laufen, sondern zusammenfinden; wenn die «Chicks in Concert» wortwörtlich ins Konzert finden und bei Leopold Mozart mitspielen. Oder wenn Gabi doch noch zu ihrem Musicstarauftritt kommt und in einer Mischung aus Kindernutte und untergehender Galionsfigur den Titanicsong hechelt, zur überkandidelten Begleitung durch das Sinfonieorchester.

Endlich, es ist etwas Unerhörtes geschehen in einem klassischen Konzert. Allerdings in einem Konzert, in dem sich niemand danach gesehnt hat. PS: Der Dirigent heisst Marc Kissoczy.

Unerhörtes im Casino

17. Februar 2005, Berner Zeitung, von Frank Gerber

Hand aufs Herz: Sind Sie nicht auch schon im Konzert gesessen und haben gehofft, es möge etwas Schreckliches passieren, damit […]

KULTUR-CASINO BERN

Sie suchten eigentlich das Casting für «Music-Star». Doch dann platzten Debbie Mötteli (Viktor Giacobbo) und ihr Gottenkind in ein klassisches Konzert im Berner Casino: «Chicks in Concert».Einen solchen «Clash of Civilizations» hat das altehrwürdige Kultur-Casino kaum je gesehen: Eine nuttig gekleidete Wasserstoffblondine – in den USA spräche man von «white trash» – betritt den Konzertsaal im knallroten Plastikmantel, in Leggins und mit Stilettos. Bar jeder Bildung und allzeit bereit, in ein Fettnäpfchen zu treten, hat sie auch nicht die Gnade, ihr vulgär geschminktes Mundwerk zu halten.

Debbie Mötteli, die vom Kabarettisten Viktor Giacobbo gespielte (Fernseh-)Kultfigur, hat Glück. An diesem Mittwoch sitzt im Auditorium nicht die mehrheitlich ergraute bildungsbürgerliche Abon-nementsgemeinde im dunklen Tenü. Das Durchschnittsalter ist auffällig tiefer als sonst. Viele Besucher haben unten an der Garderobe keine dunklen Mäntel abgegeben, sondern bunte Freizeitjacken. Dies, nachdem sie sich haben instruieren lassen, dass in diesem Bildungstempel jede Sitzreihe einer Garderobenfrau zugeteilt ist.

Heute ist alles anders. Das vertraute Bild eines dunkel gewandeten Orchesters, das im Halbkreis um den Dirigenten sitzt, darf nicht täuschen. Man gibt «die lustigen Weiber von Windsor», «das Märchen von der schönen Melusine» von Mendelssohn, Bizets «Carmen», Prokofiev und Strauss – Werke mit vielen Frauenbezügen. «Chicks in Concert», schwant es einem.

Weil ein Unglück selten allein kommt, hat Debbie Mötteli ihr Gottenkind Gabi Muff (Fabienne Hadorn) mitgebracht. «Du, s’hät ganz viil Lüt dinääää», entfährt es Debbie Mötteli, als sie in den Saal eindringt. Das ist der Beginn eines grossen Missverständnisses: Gotti und Gottengoof sind auf dem Weg zum «Music Star»-Casting, jetzt, wo dort gemäss Debbie Mötteli «au die Dickä döfed mitmochääää».

Dick ist Gabi Muff nicht, etwas drall vielleicht. Das kurze Shirt erlaubt den freien Blick auf ihren gepiercten Bauchnabel mit dem glänzenden Schmuck, den Gabis Freund, Secondo Flavio, angeblich so liebevoll . . . so genau, liebe Gabi, wollten wirs nicht wissen. Es gibt für Debbie und Gabi viel zu staunen: Die Absenz jeglicher Verstärkeranlagen, die «grossen Gitarren» (Kontrabass und Celli), den Mann «mit dem Steckli», in Insider-Fachkreisen auch Dirigent genannt.

In der Pause werden wir hinter uns des Paars Birgit Steinegger und Markus Köbeli ansichtig. Aha, daher weht der Wind! Köbeli hat ja dem äusserst wandlungsfähigen kabarettistischen Dreigestirn Birgit Steinegger, Viktor Giacobbo und Walter Andreas Müller unzählige Rollen auf den Leib geschrieben. Doch Köbeli winkt ab: Nein, diese Sketches seien nicht von ihm.

Unser Platznachbar, ein seriöser Herr, betrachtet das fast volle Casino mit Wonne. Es ist Karl Bossert, der Direktor des Musikkollegiums Winterthur. Der Tonkörper ist mit dem Crossover-Programm schon in der Eulachstadt und im «bumsvollen KKL» in Luzern aufgetreten, wie Bossert dem «Bund» in der Pause in einer dem Anlass angepassten Diktion erklärt. Gestern war Zürich dran. Der Erfolg kommt dem Orchester zupass: Ebenso wie andere Winterthurer Institutionen – Kunsthaus und Technorama – muss es sich in Bälde einer Volksabstimmung stellen, bei der es um Kredite geht, «die über Sein oder Nichtsein entscheiden».

Das Publikum klatscht begeistert – und pfeift wie bei einem Rockkonzert. Debbie und Gabi kommen doch noch zu ihrem «Music Star»-Auftritt: Ein Gesangsduo mit dem «Titanic»-Song samt Orchesterbegleitung. Gabi, echt mega krass, du hast es geschafft! Yeahhh!

«S’sind ganz viil Lüt dinäää»

, Der Bund, von Markus Dütschler

KULTUR-CASINO BERN Sie suchten eigentlich das Casting für «Music-Star». Doch dann platzten Debbie Mötteli (Viktor Giacobbo) und ihr Gottenkind in […]

Chefredaktoren räumen peinliche Falschmeldung ein.

Sowohl der SonntagsBlick als auch die Schweizer Illustrierte präsentierten ihren Lesern in der letzten Ausgabe das neue VIP-Liebespaar der Stunde: Viktor Giacobbo und die Schauspielerin Sabina Schneebeli. An der „Swiss Award“-Gala hätten die beiden ihre Liebe offiziell gemacht, hiess es in beiden Ringier-Produkten an prominenter Stelle.

Am vergangenen Montag zitierte der Tages-Anzeiger Viktor Giacobbo mit der Aussage, dass die Beziehung zu Schneebeli „frei erfunden“ sei. Laut Recherchen von „persoenlich.com“ war die Ursache für die peinliche Falschmeldung offensichtlich ein Spässchen von Viktor Giacobbo an der „Swiss-Award“-Gala, mit welchem er sämtliche Ringier-Journalisten in die Irre führte.

Marc Walder, Chefredaktor der Schweizer Illustrierten, weiss inzwischen, dass Sabine Schneebeli nicht Giacobbos neue Freundin ist: „Was Giacobbo an der Gala im Scherz gemeint hat, wurde von meinen Journalisten als Tatsache interpretiert“, sagte er gegenüber „persoenlich.com“. Er stelle sich jedoch hinter seine Mitarbeiter, die über das angebliche Liebespaar berichteten: „Meine Journalisten haben in gutem Treu und Glauben berichtet“, so Walder. Die Tatsache, dass sowohl die Schweizer Illustrierte als auch der SonntagsBlick unabhängig voneinander zum Schluss gelangten, Giacobbo und Schneebeli seien das neue Traumpaar der Schweizer Promi-Szene, spreche für sich.

Nach Walders Angaben sind die Schweizer Illustrierte und der SonntagsBlick mit je einem eigenen Fotografen- und Journalisten-Team vor Ort gewesen. Er bedauert, dass die achtseitige Berichterstattung über „Die Nacht der Herzen“ im Heft mit einem fehlerhaften Aufmacher beginnt. Walder will die Sache gegenüber seinen Leserinnen und Leser in der nächsten Ausgabe der Schweizer Illustrierten auflösen und sich bei ihnen, aber auch bei Viktor Giaccobo und Sabine Schneebeli entschuldigen.

Ebenfalls räumt Christoph Grenacher, Chefredaktor des SonntagsBlicks ein, dass die Meldung falsch gewesen sei. Er will sich in der kommenden Ausgabe des SonntagsBlicks bei seinen Lesern entschuldigen.

SI / SonntagsBlick: Giacobbos Scherz als Tatsache interpretiert

13. Januar 2005, persönlich.com, von dv

Chefredaktoren räumen peinliche Falschmeldung ein. Sowohl der SonntagsBlick als auch die Schweizer Illustrierte präsentierten ihren Lesern in der letzten Ausgabe […]

JET-CETERA

Bereits auch schon wieder «geschieden» sind Komiker Viktor Giacobbo und Schauspielerin Sabina Schneebeli.
Noch gestern Abend bestätigte Giacobbo auf Anfrage, dass sie sich in den 24 Stunden nach der vom «SonntagsBlick» vorgenommenen «Zwangstrauung» bereits wieder auseinander gelebt hätten. Sabina Schneebeli und er werden aber weiterhin «gute Freunde» bleiben.

Giacobbo: «Und die Kinder bleiben bei Sabina.» Dass sie ein Paar seien («SonntagsBlick»: «Sie machten ihre Liebe offiziell»), sei «frei erfunden». «SonntagsBlick»-Chefredaktor Christoph Grenacher war für eine Stellungnahme zur gross aufgemachten Falschmeldung nicht erreichbar. (gin)

Getrennt und «geschieden»

10. Januar 2005, Tages-Anzeiger

JET-CETERA Bereits auch schon wieder «geschieden» sind Komiker Viktor Giacobbo und Schauspielerin Sabina Schneebeli. Noch gestern Abend bestätigte Giacobbo auf […]

Das Grosse Interview

Viktor Giacobbo, Satiriker

WINTERTHUR ZH. Entsetzen und Trauer beherrschen die Welt nach der Flutkatastrophe in Asien. Darf man trotzdem lachen? Satiriker Viktor Giacobbo (52) über Humor in schweren Zeiten. Und über sein neues Filmprojekt, die Blocher-Schweiz und seine Traumfrau.

Die Welt ist fassungslos. Darf man in solchen Zeiten Satire machen?

VIKTOR GIACOBBO: Man muss sogar. Satire heisst nicht, ein solches Drama als Witz zu betrachten. Satire ist immer mit Realität und der persönlichen Haltung dazu verbunden.

Dass man über die Katastrophe witzelt, ist aber ausgeschlossen.

Kein Satiriker käme auf die Idee, über die Katastrophe zu witzeln. Aber man könnte durchaus thematisieren, wie Promis das Elend in Asien ausnützen, um sich selbst in den Vordergrund zu drängen.

Macht es Ihnen denn selber Spass, in einer solchen Lage die Leute zum Lachen zu bringen?

Nein. Das Flutdrama überschattet alles. Ich war froh, dass ich diese Woche keine Kolumne schreiben musste. Bilder von toten Kindern lähmen mich.

Lachen kann auch jetzt eine befreiende Wirkung haben …

Natürlich, viele Leute bewältigen Schwierigkeiten, Elend, Leid durch Lachen. Kürzlich hat mir jemand erzählt, sie sei an einer Beerdigung gewesen, wo laut gelacht wurde. Das habe sehr geholfen.

Sind Sie ein Optimist?

Ich bin ein mittelfristiger Optimist – aber ein lang- fristiger Pessimist.

Das müssen Sie uns erklären.

Ich glaube an Lösungen für unmittelbare Probleme. Deshalb bin ich ein politischer Mensch und deshalb mische ich mich auch immer ein. Doch es verschlägt mir den Optimismus, wenn ich darüber nachdenke, wohin sich die Welt langfristig bewegt.

Was denken Sie ein Jahr nach dem «Umsturz» im Bundesrat über die Schweiz? Hat sich unser Land verändert?

Hysterie beiseite. Die Schweiz ist nicht im letzten Jahr, sondern in den letzten zehn Jahren eine andere geworden. Die Auseinandersetzung ist schärfer geworden, was ich nicht für schlecht halte. Deshalb ist die «zwangsharmonisierende» Konkordanz-Demokratie ein Auslaufmodell. Es ist doch absurd, dass heute der lauteste Oppositionelle des Landes mit seinen eingeschüchterten Gegnern in der Regierung sitzt.

Aber richtig aufzuregen scheint Sie das nicht.

Der aufgeregte Thomas Hirschhorn bezeichnet Blochers Wahl als Demokratie-Versagen. Man stelle sich einmal vor, Christoph Mörgeli hätte die Wahl von Micheline Calmy-Rey so bezeichnet: Der Aufschrei wäre riesig gewesen. Nein, Blocher ist nicht der Untergang der Demokratie – zumal er viel weniger bewirken kann, als viele meinen. Lasst uns zuschauen, wie er von der Konkordanz und dem Apparat aufgefressen wird.

Welches aktuelle politische Ereignis würden Sie in «Viktors Spätprogramm» persiflieren?

Den Wechsel des Bundespräsidenten. Man könnte zeigen, wie Samuel Schmid von Chris von Rohr trainiert wird, eine möglichst coole Neujahrs-Ansprache zu halten.

Seit Ihrem Weggang fehlt dem Schweizer Fernsehen ein kabarettistisches Aushängeschild. Woran liegts?

Vielleicht müsste man ein Team finden mit einer Frontfigur, wie uns damals. Ich war relativ unbekannt, aber man ging trotzdem das Risiko ein. Man gab uns alle Freiheiten und hielt zu uns, obwohl uns die Presse am Anfang völlig zerstampft hat.

Alle namhaften Kabarettisten der Schweiz sind politische Köpfe. Muss ein guter Kabarettist politisch sein?

Schon, aber man kann von jungen Komikern nicht verlangen, dass sie auf die gleiche Art politisch sind wie die 68er oder 80er. Jede Generation politisiert anders.

Nennen Sie uns die fünf besten Komiker der Schweiz?

Eine Rangliste wäre blödsinnig, aber abgesehen von den Etablierten gibt es beispielsweise die Duos «Lutz & Heierli», «Ohne Rolf» oder «Lapsus».

Wie? Nur Männer?

Leider gibt es wenig Frauen auf diesem Gebiet. Nicht weil sie weniger Humor haben, aber sie gehen weniger offensiv damit um. Als Mann ist man eher eine Frontsau.

Seit letzter Woche ist Harald Schmidt zurück im Fernsehen. Ist auch für Sie ein TV-Comeback denkbar?

Ich habe mich nicht vom Fernsehen verabschiedet, sondern mit einer Sendung aufgehört. Aber in nächster Zeit stehen andere Projekte im Vordergrund.

Verraten Sie uns auch welche?

Im Februar gehe ich als Debbie Mötteli mit Fabienne Hadorn und dem Symphonieorchester des Musikkollegiums Winterthur auf Tournee. Das wird ein Crossover zwischen Klassik und Comedy. Im April und Mai drehen wir unter der Regie von Sabine Boss in Italien einen neuen Kinofilm. Und im Herbst stehe ich mit Mike Müller in «Ein seltsames Paar» auf der Bühne im Casinotheater Winterthur.

Ist der Film eine Fortsetzung von «Ernstfall in Havanna»?

Nein. Der Film heisst «Undercover» und handelt von einem verdeckten Ermittler, der in Italien einen Geldwäschereifall lösen muss. Mit dabei ist seine bei den Globalisierungsgegnern aktive 16-jährige Tochter, die nicht ahnt, dass ihr Vater Geheimpolizist ist. Sie hält ihn für einen Langweiler und weiss auch nicht, dass er ein abenteuerliches Verhältnis mit seiner Chefin und der künftigen Bundesanwältin hat.

Die meisten Frauen wünschen sich einen Partner, der sie zum Lachen bringt. Sind Sie privat ein humorvoller Mensch?

Raten Sie mal, weshalb ich jede Frau mit der richtigen Pointe kriegen kann. Im Ernst: Ich habe es manchmal auch privat gern lustig, reisse aber nicht den ganzen Tag Witze. Ich habe einmal ein Zitat von Otto Waalkes geschiedener Frau gelesen. Da sagte sie, sie hätte ihr Kind schützen müssen, weil der Vater es mit seinem pausenlosen Lustigsein überfordert hat. Entsetzlich!

Seit Monaten spielen Sie mit Patrick Frey und Mike Müller das Stück «Sickmen». Darin sprechen Sie offen über Intimitäten. Privat sind Sie eher zugeknöpft …

Ich bin gut damit gefahren, mich privat abzugrenzen. Meine ehemalige Beziehung zu Nadja Sieger wurde nur bekannt, weil wir beide in der Öffentlichkeit stehen. Das war auch okay so.

Welche Ansprüche stellen Sie an eine Frau?

Was ich total unsexy finde, ist Dummheit. Und wenn eine Frau einem Muster entspricht, wie es andere 10 000 tun, ist sie für mich auch nicht spannend. Innerhalb dieses Spektrums bin ich aber fast anspruchslos.

Im Februar werden Sie 53. Eine Familie ist nicht in Sicht. Haben Sie nie das Gefühl, etwas verpasst zu haben?

Beim Casting zum Film kamen viele 16-jährige Girls. Bei ganz wenigen hab ich schon gedacht, es wäre toll, so eine Tochter zu haben. Aber zum Heulen war mir deshalb nicht. Da bin ich Fatalist. Mein Leben hat sich eben anders entwickelt.

Ist das Thema definitiv abgehakt?

Nichts ist definitiv, ausser der Tod. Aber es ist peinlich, mit 70 noch Vater zu werden.

Worauf freuen Sie sich im neuen Jahr?

Auf mein Leben. Ich fühle mich extrem gelöst und offen. Ich habe das schöne Privileg, tun zu können, was mir am meisten Spass macht – beruflich wie privat.

Darf man wissen, mit wem Sie Silvester gefeiert haben?

Ich habe im Casinotheater zweimal «Sickmen» gespielt, lange mit Renée Zellweger telefoniert und mit Freunden gefeiert.

Und wen haben Sie um Mitternacht geküsst?

Jede und jeden. Wie es sich an Silvester gehört …


Persönlich

Geboren: 6. Februar 1952

Erlernter Beruf: Lehre als Schriftsetzer, danach Korrektor, Lektor und Mediendokumentalist. Heute Autor, Kabarettist, Moderator und Schauspieler.

Karriere: 1990-2002 «Viktors Spätprogramm» (SF 1). Seit 2000 Verwaltungsratspräsident des Casinotheaters Winterthur. 2002 Hauptdarsteller, Co-Produzent und Co-Autor des Kinofilms «Ernstfall in Havanna».

Lieblingsgericht: Mistkratzerli von glücklichen Vögeln

Grösster Genuss: Nach einer gelungenen Vorstellung mit den Bühnenkollegen eine extreme Süssspeise wegputzen

Liebste Ferien-Destination: zurzeit Reykjavik

Unerfüllter Wunsch: Dass Renée Zellweger endlich bei mir einzieht.

Website: www.viktorgiacobbo.ch

«Viele Leute bewältigen Leid durch Lachen»

2. Januar 2005, Sonntags-Blick, von Paola Biason, von Patrik Müller

Das Grosse Interview Viktor Giacobbo, Satiriker WINTERTHUR ZH. Entsetzen und Trauer beherrschen die Welt nach der Flutkatastrophe in Asien. Darf […]

Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey begeisterten unplugged im Saalbau.

Mit seinem Programm «Sickmen» traf das Trio Giacobbo, Müller, Frey den Lachnerv des Publikums im ausverkauften Saalbau von Reinach mit feinchirurgischer Präzision.Viktor Giacobbo, Mike Müller, Patrick Frey – diese Namen sind Programm. In «Sickmen», einem Konversationsstück mit dem ewigen Thema Gesundheit im Fokus, inszenieren sich die drei Komiker in subtil simpler und bester Form. So, wie man sie aus Film und TV kennt. Dabei auch gezielt, aber angenehm zurückhaltend mit Kultfiguren aus Giacobbos ehemaliger Satiresendung «Viktors Spätprogramm» kokettierend – Debbie Mötteli, Ueli Maurer oder Herr Stolte-Behnrat tauchten zumindest verbal auf. Das kommt an: «Witzig», «sehr unterhaltsam», «hervorragend gespielt» oder «ein aktuelles Thema humorvoll umgesetzt», lauten spontane Statements aus einem sehr durchmischten Publikum.

Auf den Punkt brachte es Nathalie Demuth: «Ich lach mich kaputt» meinte die im Gesundheitswesen engagierte Luzernerin. Eine Aussage, die durchaus repräsentativen Charakter hat. «Ja, das Publikum hier in Reinach war wirklich sehr gut», attestierte Viktor Giacobbo nach der Vorstellung. Vergleichswerte gibts durchaus, rund 60-mal hätten sie dieses Programm bisher gespielt und dabei unterschiedliche Stimmungen erlebt. Schlechte aber nie, fügte der «Frontman» des Trios an.

Thema zum Mitreden

Die enorme Popularität der drei Kabarettisten trägt sicher zum Erfolg von «Sickmen» bei, aber nicht nur: «Der TV-Bonus spielt vielleicht zu Beginn einer Bühnen-Tournee eine Rolle; wenn der Programm-Inhalt nicht stimmt, würde er sich aber rasch verflüchtigen», ist Giacobbo überzeugt. Das Erfolgsgeheimnis vermutet er eher in der Themenwahl. Sie hätten gezielt nach etwas gesucht, über das man mitreden könne, «so wie beim Wetter». Und zum Thema Gesundheit seien doch nun wirklich alle Mitglieder unserer Gesellschaft mit Halbwissen gesegnet.

Bei der Rollenverteilung – Mike der Gourmet, Patrick der Glutamatfreak und Viktor der Novartis-infizierte Hypochonder – hätten sie im Übrigen nicht auf Authentizität geachtet. Bis auf Müllers tatsächliche Vorliebe für Feines aus der Küche gebe es «keine weiteren Übereinstimmigkeiten» zwischen Schauspielern und Echtzeitindividuen.

Mindestens bis Ende Jahr noch soll «Sickmen» aufgeführt werden. Dann schaue man weiter. Giacobbos Konzentration gilt vorerst einem neuen Filmprojekt. Ein TV-Comeback schliesst der Mann mit der Lizenz zur Satire vorläufig aus. Das ist einerseits schade, andererseits auch nicht: Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey kommen live nämlich auf keinen Fall schlechter rüber als auf der Leinwand oder am Bildschirm. Im Gegenteil: unplugged fahren sie fast noch besser ein. Das Problem ist nur, wie man rechtzeitig zu Tickets für ihre Vorstellungen kommt. Vielleicht hilft ein Giacobboscher Tipp: «Machen Sie in Ihrem Artikel doch einfach einen Verweis auf meine Homepage, www.viktorgiacobbo.ch.» So geht das.

Sickmen – zum Gesundlachen

3. Dezember 2004, Mittelland-Zeitung, von Jörg Lüscher

Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey begeisterten unplugged im Saalbau. Mit seinem Programm «Sickmen» traf das Trio Giacobbo, Müller, […]

Theater Casino Zug: Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller mussten die Dosis erhöhen: «Sickmen» kränkelten grandios und mit Zusatzvorstellung.

 

Die Abendvorstellung war ausverkauft, bevor das Zuger Pulikum «Sickmen» sagen konnte. Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller schalteten eine zusätzliche Visite ein und gaben am Sonntagnachmittag eine Zusatzvorstellung, die nochmals ein beachtlich grosses Publikum ins Casino lockte.

Ein Check-up mehr schadet nie

Eigentlich hätte es ein brandaktuelles, politisches Stück werden sollen. Die kleinen und grossen Gebrechen des männlichen Alltags verhinderten aber ein solches. Angefangen hat es mit einem von Giacobbos sieben Check-ups pro Jahr. «Wenn du die Beschwerden erst hast, ist es nämlich zu spät», erklärt der Mann mit den vielen Ärzten und der Privatversicherung. So entführt das Komikertrio sein Publikum auf eine medizinische Odyssee von Kurhotel bis Balgrist-Spital. Es gilt, keine Scheu vor unangenehmen Themen zu haben und der Wahrheit mit ausgestrecktem Finger auf den Grund zu gehen.

Glutamat, Homöopathie, Östrogen

Zu sondieren gibt es einiges: Von der Zahl der nächtlichen Toilettengänge, über Form, Farbe und Profil von Muttermalen, bis hin zum Lampenfieberpegel vor der Aufführung. Der eine fürchtet Glutamat, der andere kommt nur mit Homöopathie durch den Tag, und der Letzte hat eine Reiseapotheke griffbereit, in der auch die Östrogenspritze nicht fehlen darf. Man weiss schliesslich nie, welchem Notfall der sensible männliche Körper ausgesetzt werden könnte.

Langzeit-EKG und Fieberzäpfchen

Selten war es so schön, jemandem beim vermeintlichen Kranksein zuzuschauen. Müller, Frey und Giacobbo sind nicht nur hervorragende Komiker und haben ihr Timing bestens im Griff. Sie ergänzen sich ausserdem herrlich. Das Stechen in der Brust, das Ziehen in der Magengegend und verdächtige Hitzewallungen aus heiterhellem Himmel: Das Trio hat für jeden Anfall von Hypochondrie ein Mittelchen bereit, um Spontanremissionen heraufzubeschwören. Wenn alles nichts mehr hilft, das Langzeit-EKG nichts Auffälliges ans Licht bringt und die nächste Behandlung den Kostenpunkt von 20 000 Franken übersteigt, steht bestenfalls noch eine generelle Kosten-Nutzen-Analyse des eigenen Daseins an. Schliesslich ist man unter Freunden und weiss, wovon man spricht.

Lacher auf Lacher

Aus dem politischen Stück ist schliesslich doch nichts mehr geworden. Aber die Selbsttherapie vor vollem Saal hat dem Publikum zwei Stunden beschert, während derer Lacher auf Lacher folgte. Und beim nächsten verdächtigen Kribbeln in den Händen hilft ja vielleicht eines der Mittelchen der «Sickmen».

Krankenbesuch macht bombastisch Spass

2. November 2004, Neue Luzerner Zeitung, von Caroline Brändli

Theater Casino Zug: Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller mussten die Dosis erhöhen: «Sickmen» kränkelten grandios und mit Zusatzvorstellung. […]

Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller präsentierten sich am Samstag in Hochform. Ihr Rollenspiel «Sickmen» ist die Geschichte dreier Hypochonder über ein Stück, das noch nicht geschrieben ist.Rund 700 Besucher und Besucherinnen aller Altersklassen tummelten sich am Samstagabend im Joner «Kreuz»-Saal, bevor die Vorstellung begann. Mit prüfenden Blicken hielten sie Ausschau nach ihrer Platznummer und setzten sich schliesslich hin, als sie fündig geworden waren.

Das Stück im Stück

Endlich verdunkelten sich die Lichter, und drei vertraute Gesichter erschienen auf der Bühne. Unter grossem Beifall traten die Kabarettisten Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller vor das Publikum, um diesem ihre Geschichte zu erzählen. Die Rahmenhandlung des originellen Rollenspiels «Sickmen» dreht sich um ein politisches Stück, das noch nicht geschrieben ist, dessen Vorverkauf aber schon lange begonnen hat. Zögernd beichtete das Trio, weshalb es das Stück – eine Auftragsarbeit des Casinotheaters Winterthur – noch nicht vollenden konnte. Es sollte laut den Dreien politischen Inhalts sein und den Namen «Der saubere Krieg» haben. Bald arteten die Erklärungen der Schauspieler in ein amüsantes Streitgespräch aus, das die Hintergründe der bisher ausgebliebenen Stückvollendung rasch durchscheinen liess.

Mehr und mehr entpuppten sich die Figuren nämlich als eingebildete Kranke, die ausserstande waren, normal zu funktionieren. Giacobbo gab sich als eifriger Verfechter der medizinischen Behandlung, der sich jährlich sieben Check-ups unterzieht. Sein Motto: «Wenn man die Ursache herausschneidet, ist das Problem gelöst.» Frey dagegen spielte den eingebildeten Glutamat-Allergiker. Selbst in die Pause wollte er das Publikum nicht entlassen, ohne es vor glutamathaltigen Snacks zu warnen. Und Müller vertraute auf Mutters Hausmittelchen, die er in der Nacht gegen seine eingebildeten Leiden braute.

So machten sie sich gegenseitig über ihre Hypochondrien lustig und gaben sich zugleich besserwisserische Gesundheitstipps. Ihr politisches Stück «Der saubere Krieg» war indes immer noch weit entfernt von der Vollendung.

Teure Hirngespinste

Am Schluss war das Trio immerhin gesünder als zuvor. Das lag wohl aber weniger an den Behandlungen, denen es sich unterzogen hatte, als an den daraus entstandenen Kosten. Auch der häufige gesundheitsbedingte Wechsel des Probelokals sei sehr teuer gewesen, gaben die drei Komiker zu. Deshalb seien sie nun genötigt, ihre Hypochondrie zu überwinden und die Geschichte ihres unvollendeten Stückes so lange live vorzutragen, bis alle Unkosten getilgt seien. Entschlossen griff Frey also zur Aromatdose und kostete von der glutamathaltigen Gewürzmischung. Trotz vermeintlicher Allergie blieb er unversehrt, während sich Giacobbos ob der unerwarteten Tat ein Ohnmachtsanfall bemächtigte.

Die «Sickmen»-Tournee 2004, die Ende September begonnen hat, führt Giacobbo und seine Mitstreiter bis zum Jahresende durch die ganze Deutschschweiz. Auch eine CD zum Konversationsstück «Sickmen» ist erhältlich.

Jedem Komiker sein eigener Gesundheitsfimmel

1. November 2004, Südostschweiz, von Bruno Landolt

Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller präsentierten sich am Samstag in Hochform. Ihr Rollenspiel «Sickmen» ist die Geschichte dreier […]

Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller begeisterten vor ausverkauftem Haus im Gemeindezentrum Schwanden das Glarner Publikum. Das sarkastische und bissige Stück Sickmen drehte sich um die hypochondrische Männerwelt.Körperliche und seelische Beschwerden, Check-Ups, Selbstdiagnose, Gesundheitsfimmel: Das illustre Komikertrio setzte sich intensiv mit der eigenen Befindlichkeit auseinander und gab damit einen tiefen, aber augenzwinkernden und selbstironischen Einblick in die zarte Psyche des Mannes. Da wurden die intimsten und hypochondrischen Seiten des starken Geschlechts schonungslos offen gelegt. Da ging es ohne Tabus und detailliert um die Technik der Prostatauntersuchung, das wiederholte Pinkeln in der Nacht, rätselhafte Pickel am Bauch, eine ungewollte Dauererrektion oder unsägliche Glutamatphobie. Sorgen, welche die Männer offenbar vor allem im Geheimen herumtreiben.

Ausgeteilt, was das Zeug hielt

Doch wie Giacobbo[100], Frey und Müller mit ihren Bobolis und ihren (vermeintlichen) Krankheiten umgingen, war schlicht zum Gesundlachen. Aber auch die Frauenwelt, die Ärzteschaft, die Theraphie-Gurus, die Pharmaindustrie und der Spitalbetrieb kamen nicht ohne kräftige, unter die Haut und Gürtellinie gehende Hiebe davon. Die drei teilten – auch wenn es um Leben und Tod ging – hemmungslos und genüsslich aus, was das Zeug hielt.

Die Glarner liessen sich die Gelegenheit nicht entgehen, die drei Fernsehstars Giacobbo[100], Frey und Müller bei ihrem Auftritt in Schwanden live und hautnah erleben zu können. Ganze Autokolonnen waren am Freitagabend unterwegs ins Hinterland. Wer sich noch ein Ticket ergattern konnte, hatte gar nichts zu bereuen, der Abend war grossartig. Das Publikum war begeistert, der Applaus riesig. Man war sich einig: Selten so gelacht!

Sickmen – zum Gesundlachen

, Südostschweiz, von Fridolin Elmer

Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller begeisterten vor ausverkauftem Haus im Gemeindezentrum Schwanden das Glarner Publikum. Das sarkastische und […]

Viktor Giacobbo (52) ist als Satiriker, Schauspieler und Autor erfolgreich. Im Via-Interview zeigt der Winterthurer auch überraschende Seiten, spricht übers Joggen und Älterwerden, über Gastronomie, Business, Burn-Out und Selbstüberschätzung.

Herr Giacobbo, rauchen Sie nach diesem Interview eine Zigarre?

Viktor Giacobbo: Nein, nach diesem Interview gehe ich joggen. Zigarre rauchen und Joggen verträgt sich nicht gut – jedenfalls nicht gleichzeitig.

Joggen Sie regelmässig?

Ja, im Normalfall zweimal, wenns gut geht sogar dreimal pro Woche. Ich brauche das – nicht nur als körperliche, sondern auch als geistige Ertüchtigung. Joggen lüftet mir den Kopf durch, und ich komme dabei tatsächlich auf Ideen. Ich mag es, durch den Wald zu laufen.

Das Schönste an einem TV- oder Theaterauftritt sei der Gedanke, danach in der Beiz eine Zigarre rauchen zu können, sagten Sie einmal.

Und ein Bier zu trinken! Natürlich habe ich da ein bisschen kokettiert: In einer Sendung oder auf der Bühne ist man voll konzentriert und kann erst nachher an die Fortsetzung denken. Aber ich schätze diese Art Entspannung. Man sitzt mit den Leuten zusammen, mit denen man gemeinsam etwas gemacht hat. Dabei redet man nicht unbedingt über die Arbeit – ich finde es eher mühsam, wenn Leute sich nicht davon lösen können. Das Schönste war es jeweils, mit den Gästen von «Viktors Spätprogramm» zusammenzusitzen und weiter zu streiten. Dass das möglich war, widerspiegelte auch den Geist der Sendung.

Sind Sie ein Genussmensch?

Genuss spielt für mich eine grosse Rolle, aber ich suche ihn nicht in jeder Lebenslage. Und ich bin sicher kein geschmäcklerischer Geniesser. An Cigar Nights und Weindegustationen nehme ich nicht teil, und wenn jemand beim Weintrinken zu sehr fachsimpelt, nervt mich das eher. Ich habe es lieber, wenn man eine Flasche aufmacht, sagt wie der Wein ist und ihn dann trinkt. Wer immer nur über die Arbeit redet oder beim guten Essen nur übers Essen spricht, langweilt mich.

Welche Rolle spielt Gastronomie in Ihrem Leben?

Ich habe immer gern gegessen und bevorzuge seit jeher die einfache Küche. Etwas vom Grössten für mich ist es, in eine unbekannte Trattoria reinzuplatzen und zu fragen, was es dort gerade gibt. Das behagt mir viel mehr als ein hochdotierter Gault-Millau-Betrieb. Was es heisst, einen Gastrobetrieb zu führen, habe ich als Verwaltungsratspräsident der Casino AG in Winterthur begriffen.

Kochen Sie selber für Ihre Gäste?

Ja, am liebsten Eintopfgerichte. Und zwar auch aus praktischen Gründen: Ich stehe nicht gerne in der Küche, wenn meine Gäste schon eingetroffen sind und will sie nicht erst beim Abschied sehen. Deshalb mache ich am liebsten eine Bouillabaisse, ein Fondue oder einen Eintopf.

Über Ihr Privatleben weiss man in der Öffentlichkeit wenig. Sie scheinen sich bewusst sehr bedeckt zu halten.

Ich fasse das als Kompliment auf. Es ist tatsächlich so. In meinem Beruf gibt man sehr viel von sich preis. Mein Privatleben ist – wie der Name schon sagt – privat. Hin und wieder kann man es aber nicht vermeiden, dass etwas bekannt wird.

War es Ihnen unangenehm, dass Ihre Trennung von Ihrer Lebenspartnerin Nadeschkin publik wurde?

Nein. Wir wussten beide, dass wir das einmal bekanntgeben mussten. Das haben wir gemeinsam gemacht, in aller Freundschaft übrigens.

Ihre beruflichen Fähigkeiten sind in der Öffentlichkeit weit bekannter. Sie waren als Typograph, Korrektor, Mediendokumentalist tätig, arbeiten jetzt als Autor, Kabarettist, Moderator, Schauspieler und VR-Präsident und hatten in der Figur von «Harry Hasler» selbst als Rapper Erfolg. Sie scheinen ein gewiefter Geschäftsmann zu sein.

Ich bin kein Geschäftsmann. In das Mandat als VR-Präsident des Casinotheaters Winterthur bin ich reingerutscht. Ich mache das, weil ich mit Theater, Unterhaltung und Satire etwas am Hut habe und ich zufälligerweise auf dieses Gebäude gestossen bin, weil ich aus Winterthur stamme. Deshalb stand ich von Anfang an mit meinem Namen für dieses Projekt ein. Alleine hätte ich das aber nie geschafft. Wir haben für jeden Bereich Spezialisten, die viel mehr von der Materie verstehen. Ich verstehe mich eher als Klammer, und zum Teil bin ich auch ein bisschen Aushängeschild. Absurderweise werde ich neuerdings an Unternehmerveranstaltungen eingeladen und bin dort so etwas wie der bunte Hund. Ich sage dann jeweils, dass wir die einzige AG sind, die öffentlich zugibt, dass an ihrer Spitze ein Komiker steht. Das ist bei den anderen Unternehmen zwar nicht anders, sie geben es aber nicht zu.

Schreibt das Casinotheater Winterthur schwarze Zahlen?

Letztes Jahr haben wir Verlust gemacht – wie viele Gastrobetriebe. In Bezug auf die Belegung des Restaurants und die Zuschauerzahlen haben wir aber zugelegt. Ich denke, dass wir auch im künstlerischen Bereich erfolgreich sind. Trotzdem sind wir keine Insel innerhalb einer konjunkturellen Entwicklung. Dieses Jahr sind die Zahlen jedoch ausgezeichnet – wir liegen in den ersten Monaten über unseren Vorgaben.

Da spricht ein echter Businessman…

Sie haben mich nach den Geschäftszahlen gefragt. Die andere Seite ist das kulturelle Projekt an sich, und das ist einmalig. Kürzlich hat selbst Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit bei seinem Besuch gesagt, er kenne nichts Vergleichbares. Bei uns fühlen sich alle Künstler wohl, auch jene aus dem Ausland. Wir sind das einzige Haus, das die Künstler selber besitzen und in dem Künstler wirklich bevorzugt behandelt werden. Wir haben schöne, grosse Garderoben mit Waschmaschinen und Tumblern – für Künstler auf Tournee eine angenehme Sache. Wir sind stolz darauf, dass uns die Realisierung dieses Projekts ohne Subventionen der öffentlichen Hand gelungen ist.

Als VR-Präsident nehmen Sie beispielsweise an Sitzungen mit den Sponsoren des Casinotheaters teil.

Ja, aber wir haben im Verwaltungsrat Spezialisten für alle Bereiche, zum Beispiel Betriebswirtschafter und einen Wirtschaftsanwalt. Ich bin derjenige, der das Projekt erklärt und auch ein bisschen der Türöffner. Ich überschätze mich diesbezüglich nicht. Ich habe so viele schlechte Eigenschaften – eine der guten ist, dass ich genau weiss, wo meine Fähigkeiten liegen und vor allem wo nicht.

Ist die Selbstüberschätzung ein generelles Problem in Ihrer Branche?

Wenn man bekannt ist und einem alle Leute auf die Schultern klopfen, läuft man in der Tat Gefahr, dass man sich selber plötzlich rundum gut findet. Ein grosses Stück Selbstironie hilft da, sein eigenes Schaffen realistisch zu beurteilen und einzusehen, dass man eigentlich gar nicht so wahnsinnig gut ist. Gewiss – einige Dinge sind mir gelungen, aber es gibt mehr Dinge, die mir nicht gelungen sind.

Zur letzten Kategorie gehört zweifellos der schwache Film «Germanikus», in dem Sie eine Rolle spielten.

Der Film ist ein Musterbeispiel dafür, dass es der Komik und der Dramaturgie schlecht bekommt, wenn sich zu viele Leute einmischen. Er ist Gerhard Polt leider völlig entglitten. Das ist tragisch, denn sein ursprüngliches Drehbuch war hervorragend. Ich spielte darin mit, weil ich mit Gerhard befreundet bin. Auf den Film selber hatte ich keinen Einfluss. Ich zähle ihn auch nicht zu meinen Misserfolgen. Einzelne Sendungen oder Auftritte empfand ich als weitaus schlimmer.

Der Film «Ernstfall in Havanna», bei dem Sie als Co-Autor und Co-Produzent mitwirkten und die Hauptrolle verkörperten, gilt dagegen als einer der erfolgreichsten in der Schweizer Filmgeschichte. Wann kommt die Fortsetzung?

Es machte sehr viel Spass, diesen Film zu realisieren, und ich habe Lust auf einen neuen. Das Projekt für unseren zweiten Film «Undercover» in ähnlicher Besetzung steht bereits. Ob wir ihn jedoch realisieren können, hängt auch vom Ausschuss des Bundesamtes für Kultur ab, der Filmförderungsgelder spricht. Fürs erste hat dieser unser neues Projekt abgelehnt, weshalb sich das Ganze auf 2005 verschoben hat.

Sie wissen sich durchaus zu vermarkten: Es gibt Bücher, Kalender, Filme und sogar eine CD, auf der Sie als Harry Hasler rappen.

Das ist mein Beruf, und ich lebe davon. Hier im Casino verdiene ich zum Beispiel nicht sehr viel, obwohl ich viel Zeit dafür aufwende. Ich hätte im Übrigen sehr viel mehr Business machen können: Obwohl ich lukrative Angebote hatte, habe ich noch nie kommerzielle Werbung gemacht und beispielsweise auch nie T-Shirts drucken lassen. Alles, was ich gemacht habe, ist direkt mit meiner Arbeit verbunden. Videos und CDs zum Beispiel sind immer Reproduktionen meiner Hauptarbeit.

Ist Ihnen Geld nicht so wichtig?

Ich weiss natürlich schon, was ich wert bin. Wenn ich irgendwo zusage, dann kostet das auch – es sei denn, es sind Benefizanlässe. Ich sage aber nur dort zu, wo ich das Gefühl habe, etwas beitragen zu können und wo ich es wirklich will. Ich habe genügend Geld zum Leben und kann mir das leisten, was ich will. Dies auch, weil ich keinen teuren Lebensstil pflege. Ich brauche Geld nicht anzuhäufen, um mich zu bestätigen. Die Figur «Harry Hasler» beispielsweise hätte man für die Werbung gnadenlos ausschlachten können. Ähnlich verhält es sich mit den Anfragen aus Deutschland: Warum sollte ich in Deutschland umherfliegen, wenn ich schon hier nicht alles machen kann, was ich will – der einzige Grund wären die hohen Gagen. Aber Satire macht man am besten dort, wo man lebt.

Was ist für Sie gute Satire? Sie haben einmal gesagt, es sei leicht, frech zu sein, schon etwas schwieriger, komisch zu sein, das Ziel von Satire müsse es aber sein, gleichzeitig komisch und frech zu sein.

Diese Definition ist für mich nach wie vor gültig. Selbstverständlich muss man nicht alles in der gleichen Nummer anstreben. «Viktors Spätprogramm » haben so viele Leute geschaut, weil wir zahlreiche Elemente gemischt haben und ziemlich locker und unbelastet damit umgingen. Es war etwas vom Schönsten, dass wir auf diese Weise auch Leute angesprochen haben, die mit Satire sonst nicht viel am Hut haben.

Welche Aufgabe hat die Satire?

Die Aufgabe der Satire ist es, zu unterhalten. Das tönt desillusioniert. Ich sage es bewusst so. Denn wenn einer sagt, die Aufgabe der Satire sei es, die Menschheit aufzuklären und die Welt zu verbessern, habe ich schnell den Verdacht, dass er die Message über seine Fähigkeiten stellt – und das ist leider manchmal schon der Fall. Satire ist ein Unterhaltungsmittel, das die Realität nicht verdrängt, sondern einbezieht.

Sollte Satire nicht mindestens eine andere Sicht der Dinge aufzeigen?

Das ist sehr optimistisch. In der Regel sehen sich Leute mit gegenteiliger Meinung kaum ein satirisches Programm an und lassen sich überzeugen. Satire trägt immer sehr persönliche Züge des Vortragenden – er muss eine Meinung vertreten. Und zwar nicht missionarisch, denn das Missionarische stört die Kunst und die Komik. Wer missioniert, ist nicht mehr fähig zur Selbstreflexion und Selbstironie. Vielleicht ist mir das so zuwider, weil ich zu Beginn der 70er- Jahre einer Art Polit-Sekte des linken Spektrums angehörte. Das war eine gute Erfahrung. Ich merkte, wie schnell relativ vernünftige Leute in ein solches Fahrwasser geraten können. Ich stellte damals mit Schrecken fest, dass ich die ganze Welt erklären konnte – ich hatte für alles eine Antwort, für alles eine Schublade. Wenn einer das kann, müsste er sich meiner Meinung nach dringend einer Therapie unterziehen. Ich gehöre politisch sicher nach wie vor zum bunten linksliberalen sozialdemokratischen Konglomerat – genau diese Parteien und Vertreter sind es aber, die mich am meisten herausfordern, sie zu kritisieren.

Sind Sie ein Workaholic?

Nein, das bin ich sicher nicht. Ich bin einer, der manchmal in die Arbeit getrieben wird. Ein Workaholic kann nichts anderes als arbeiten – ich aber bin gerne ein fauler Mensch. Ich kann sehr gut gar nichts machen, Tage verplempern mit Lesen, Leute treffen, Telefonieren und Fernsehen. Auch auf Reisen kann ich es sehr gut ganz gemächlich nehmen.

Reisen Sie oft?

Ich reise sehr gerne. Früher unternahm ich alle zwei Jahre eine mehrmonatige Reise. Das war zuletzt leider nicht mehr möglich. Reisen erweitert den Horizont. Das ist zwar eine Banalität, wie viele andere Banalitäten trifft sie aber zu.

Im Ausland, sagten Sie einmal, seien Sie primär ein Normalbürger, weil man Sie dort nicht erkennt.

Genau. Ich beobachte gerne Leute, sitze beispielsweise in einem Strassencafé und schaue ihnen stundenlang zu. Das gelingt mir im Ausland besser als in der Deutschschweiz.

Könnten Sie das süsse Nichtstun auch geniessen, wenn Sie keine Projekte am laufen hätten?

Ich glaube, das könnte ich, ja. Ich könnte mir auch vorstellen, ein Jahr oder zwei ganz woanders zu verbringen.

Ein lange gehegter Wunsch?

Das ist es, ja. Ich verspürte ihn in letzter Zeit verstärkt. Es wäre interessant, einmal ganz wegzugehen und eine Art Zäsur zu machen – vielleicht würde es mir gut tun, vielleicht auch nicht.

Das tönt ein bisschen nach Burn-Out.

Nein, bei einem Burn-Out hat man keine Lust mehr auf andere Projekte, freut sich auf nichts mehr. Aber warum nicht mal sagen, dass es noch ganz andere Dinge zu erleben gibt: Gegenden, die ich noch nicht gesehen habe, Leute, die ich schon lange nicht mehr besucht habe. In meinem Beruf muss man auch in zunehmendem Alter ein Kindskopf bleiben. Und manchmal, wenn ich auf Gleichaltrige treffe, habe ich das ungute Gefühl, das sei die Generation meiner Eltern.


MIT KRANKEN MÄNNERN AUF TOURNEE

Grosse Bekanntheit erlangte Viktor Giacobbo mit seinen Satire-Sendungen «Viktors Programm» und «Viktors Spätprogramm» im Schweizer Fernsehen DRS, in die er prominente Talk-Gäste einlud. In diesen zwölf Jahren entwarf er auch die Kultfigur «Harry Hasler», die er selber verkörperte. Giacobbo arbeitet als Autor, Kabarettist, Moderator und Schauspieler und schreibt regelmässig Zeitungskolumnen (zuerst «Facts», jetzt «TagesAnzeiger»). Seit 2000 ist er Verwaltungsratspräsident des Casinotheaters Winterthur, das vollumfänglich von Künstlern getragen wird. Im Schweizer Spielfilm «Ernstfall in Havanna» (2001) verkörperte er die Rolle des überforderten Stellvertreters des Schweizer Botschafters in Havanna und war zudem Co-Produzent und Co-Autor. Bis Ende Januar 2005 ist Giacobbo mit dem Stück «Sickmen» auf Schweizer Tournee. Patrick Frey, Mike Müller und er erzählen darin von ihren Ängsten und eingebildeten Gebrechen. «Jeder von uns hat sehr persönliche Dinge eingebracht, und wir haben einmal abgemacht, dass wir nicht sagen, was wahr ist und was nicht», erklärt Giacobbo. Das sei es denn auch, was die Zuschauer am Ende sehr gerne diskutierten.

Viktor Giacobbo – Ein Komiker an der Spitze einer AG

3. September 2004, Via (SBB-Zeitschrift), von Thorsten Kaletsch

Viktor Giacobbo (52) ist als Satiriker, Schauspieler und Autor erfolgreich. Im Via-Interview zeigt der Winterthurer auch überraschende Seiten, spricht übers […]

«SICKMEN» – Mit einer vierzigminütigen Improvisation haben Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey ihre CD getauft.«So gesund, wie man sich fühlt, muss man noch lange nicht sein», eröffnet Peter Schneider die selbst ernannte Expertenrunde, die am Mittwochabend im Casino-Theater über echte und eingebildete Krankheiten debattierte. Psychoanalytiker Schneider leitete das vierzigminütige Wartezimmergespräch. Mit der ziemlich improvisierten Runde wurde die CD mit einer Live-Aufnahme des Stücks «Sick Men» getauft.

Die Runde hatte publikumsmässig gegen das schöne Wetter anzukämpfen, bot den etwa dreissig Anwesenden aber eine amüsante Plauderstunde zu unangenehmen Problemen. Ohne Drehbuch handelte sie etwa von Patrick Freys Augenoperation, nach der er auf dem linken Auge eine Sicht hat wie ein unterkühlter Videoclip. Mike Müller gesteht eine Essstörung, die er aber nur zur Hälfte praktiziert, weil er sich nach dem Essen nicht übergeben will. Viktor Giacobbo erzählt von seiner Schulterentzündung, die ihm seinen ersten Ultraschall einbrachte, und Moderator Schneider glaubt, seine chronische Entzündung des Enddarmes mit Zigarren und der Absenz von jeglicher sportlicher Betätigung behandeln zu können. Das Publikum wird auch nicht von den Details seiner Stuhlbeschaffenheit verschont. Die Frage nach dem «Urologen-Finger» artet schliesslich in einen Streit aus. Nur Mike Müller hält sich zurück: «Ich gehöre zu den Menschen, die solche Sachen noch aus Spass machen.» Die ersten beiden Käufer der CD erhalten das Kinderbuch «Mein erster Arztkoffer» und den Roman «Narkose-Mord».

Plaudern im Wartezimmer

20. August 2004, Landbote, von Monika Freund

«SICKMEN» – Mit einer vierzigminütigen Improvisation haben Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey ihre CD getauft.«So gesund, wie man […]

Fast wie im wirklichen Leben: «Abdankung» im Casinotheater Winterthur kommt gegen Schluss in Schuss.Gewöhnlich siegen die Lebensgeister beim Leichenmahl. Im Casinotheater braucht es 100 Minuten und eine Pause, damit die Totenfeier animiert wird. Der Winterthurer Lebensgeist heisst Viktor Giacobbo. Still mischt er sich unter die Trauergäste und ist gleich die wahre Hoffnung, von der Patrick Freys Pfarrer predigt.

Mit roter Mähne, blendend weissen Hauern im Maul und straffen Hosenträgern über dem Bierbauch kreiert Giacobbo die Figur des Herrn Boppeler, Boss der Agentur Freshmeat. Mädchen aller Gattung vermietet dieser Stiefbruder des unvergessenen Harry Hasler, SVP-Frauen in Reizschürzen, auch züchtige Cheerleader für die Winterthurer Abdankung. Doch jetzt ist genug gelogen, jetzt muss die Wahrheit über den toten Kumpel raus, jetzt legt Herr Boppeler richtig los.

Wein, Weib und Rassepferde

Bis dahin bewegt die Abdankung nicht übermässig. Das Ambiente ist vertraut: ein aufgebahrter Sarg, vier Kränze, eine Kanzel. Über dem Sarg hängt ewig lächelnd das Konterfei des Schauspielers Mike Müller alias Blacky Haberthür selig. Dieser Haberthür ist aus nichts versprechenden Anfängen zum Paten der helvetischen Unterhaltungsmafia aufgestiegen, hat Kleinkünstler kreuz und quer durch die Ostschweiz gejagt und im Übrigen Wein, Weib und Rassepferde geliebt. Jetzt gilt es, Abschied zu nehmen, im Casinotheater, wie es der grosse Sohn Wülflingens gewünscht hat.

Redner reiht sich an Redner, Nummer an Nummer. Ueli Becks greiser Primarlehrer verwechselt seine ehemaligen Schüler, Walter Andreas Müller als Geschäftsfreund Muggli rezitiert in Globi-Maske unkorrekte Verslein («Globi im Irak») und verspricht dann: «Nie mehr». Senioren-Akrobatik gibt es zu bestaunen, Witwe Lola Haberthür (Bettina Dieterle) trägt Schlager des Verblichenen vor, nicht ohne wiederholt auf ihre neue CD zu verweisen, der Stallknecht (Peter Fischli) mischt Tränen- und Samenerguss, und Pfarrer Frey müht sich um pointensichere Eselsbrücken zwischen Nasenbluten und christlichem Glauben.

Ziemlich zäh wirkt der Abend (Autoren: Charles Lewinsky und Patrick Frey, Regie: Alexander Stoia). Immerhin sorgt Joachim Rittmeyer als besoffener Sohn vor der Pause für einen komisch leisen, fast schon poetischen Höhepunkt. Und die (unterforderte) Fabienne Hadorn schwärmt als letzte Geliebte von einem esoterischen Dreier und lässt ihr Talent aufblitzen. Die Hoffnung, Mike Müller werde sich aus dem Sarg erheben, bleibt leider unerfüllt.

So wird es erst richtig munter mit Herrn Boppelers Schlussfurioso. Bei Blitzauftritten gab der hemdsärmlige Kulturmanager zuvor schon rachitische Töne von sich. Jetzt steigert sich die Atemnot ins Gotterbärmliche. Giacobbo keucht und röchelt, der Atem rasselt, der Speichel gurgelt, weinrot laufen die Backen an . . . Bis sich endlich eine Steckdose für den Herzschrittmacher aus Schwermetall findet und Vera Kaa das Finale anstimmen kann. Herr Boppeler ist gerettet und mit ihm die «Abdankung».

Viktor Giacobbos rettende Atemnot

4. Juni 2004, Tages-Anzeiger, von Peter Müller

Fast wie im wirklichen Leben: «Abdankung» im Casinotheater Winterthur kommt gegen Schluss in Schuss.Gewöhnlich siegen die Lebensgeister beim Leichenmahl. Im […]

Klassik trifft Klamauk – und das Publikum im Casinotheater Winterthur hat seine helle Freude daran.

Winterthur -Die Mischung ist brisant: Man lade das traditionsreiche 129 Jahre alte Musikkollegium Winterthur zum Konzert ins Casinotheater und serviere dazu die herben Sprüche der Giacobbo-Figur Debbie Mötteli. Im roten Lackmänteli kommt diese aus Volketswil angestöckelt, ihr pubertierendes Gottenkind Gabi Muff (Fabienne Hadorn) im Schlepptau. Natürlich wollen die beiden keine Klassik hören, sondern vielmehr ein Casting betören. Wie das klingt? Zusammen ergibt das ganz neue Töne, die dem sichtlich angetanen Premierenpublikum wohl bekommen.

Auch wenn die beiden Provinzblondinen die Musik von Strauss, Nicolai, Bizet, Rossini und Mozart mit Kuschelrock, den Dirigenten Marc Kissoczy mit Chris von Rohr verwechseln, das Publikum tut es nicht. So liessen sich am Mittwochabend Music und Stars wunderbar trennen und dennoch geniessen. Das Orchester gab bei Purcells 2. Sinfonie aus «Fairy Queen» trotz saalbedingter, flacher Akustik sein bestes.

Richtig Gas gibt auch Fabienne Hadorn als Teenager Gabi. Sie zeigt, wie heute angebändelt wird, wie Mötteli entstaubt und was ein Crossover der E-Musik und der U-Branche sonst noch bieten kann. Zum Beispiel eine fabelhafte Parodie des Titanic-Songs, die allen im Saal die Tränen in die Augen treibt. Und selbst wenn Leopold Mozart nie ein so guter Komponist wie der Sohn war, die Tierstimmen in seiner Kindersinfonie klangen nie so echt wie gestern Abend. So echt blond wie Debbie Möttelis Haarfarbe eben.

Nachdem schon vor einem guten Jahr der Auftritt von Concièrge Fredi Hinz mit dem Musikkollegium ein Erfolg war, könnte es nun erst recht wahr werden: Winterthur hat eine neue Spezialität zu bieten. Ein wirklich neues, gutes «Gefäss», bei dem alle auf ihre Kosten kommen: Das Orchester, weil es auch mal lachen darf, das Casinotheater, weil es wirklich mal ausverkauft ist, und das Publikum, weil es sich mit musikalischem Hauptgang und lecker-leichtem Dessert künstlerisch Bauch und Ohren voll schlagen kann.

Chicks in Concert

27. Februar 2004, Thurgauer Zeitung, von Sabine Steiger

Klassik trifft Klamauk – und das Publikum im Casinotheater Winterthur hat seine helle Freude daran. Winterthur -Die Mischung ist brisant: […]

Crossover im Casinotheater: Die Comedy-«Chicks» Viktor Giacobbo und Fabienne Hadorn mischen ein Konzert des Musikkollegiums Winterthur auf.

 

Es beginnt ganz ordnungsgemäss. Das Orchester Musikkollegium Winterthur unter Marc Kissoczy spielt Otto Nicolais «Die lustigen Weiber von Windsor». Ein Werk der eher leichteren Muse, aber immerhin. Die schwarz gewandeten Damen und Herren und ihr befrackter Dirigent entsprechen den Geflogenheiten des klassischen Konzertbetriebs. Und dann dies: Durch den Saal tönt ein «Halli hallo», mit jener nervigen Stimme, die man schon irgendwo gehört hat. Richtig, sie gehört jener umgespritzten Blondine, die sich Debbie Mötteli nennt und sich als Schuss aller Schüsse fühlt. In Volketswil, wo sie herstammt, mag sie das sein, unter weltläufig-objektiveren Gesichtspunkten muss man sie hingegen als Verkörperung der Schreckschraube schlechthin betrachten.

Comedy unterwandert die Klassik

Wo man hinschaut, knallt es. Ihre krummen Beine stecken in bunten Leggins, dazu trägt sie ein rotes Lackmäntelchen und ebensolche Schnürstiefel. So stöckelt sie auf die Bühne, im Schlepptau ihr Kaugummi kauendes, bauchfreies Gottenkind Gabi Muff. Ende der schönen Ordnung – die Comedy unterwandert die Klassik. «Women-Women: Chicks in Concert» heisst das Programm, mit dem Viktor Giacobbo (alias Debbie Mötteli) die vor einem Jahr initiierte Crossover-Reihe fortsetzt. Mit Fabienne Hadorn als Gabi Muff steht ihm diesmal eine ebenbürtige Komikerin zur Seite.

Was dabei herauskommt, ist selbstverständlich kein Abend der feinen Töne. Das Teenie-Girl ist ebenso überzeichnet wie die grelle Gotte. Die ausgewählten Musikstücke sind populär, also angemessen. Beschwingtheit geht über Differenzierung. Die «Chicks in Concert» provozieren einen Kulturschock, der unsere fixen Vorstellungen davon, was beispielsweise «ernste Musik» ist, unterläuft. Daraus ergibt sich die Komik.

Extrem blondes Haar im Gegenwind

Mötteli/Muff versuchen die für sie fremde Welt der Klassik einzuordnen, indem sie das Konzert als Castingshow begreifen. Georges Bizets «Carmen Suite» passt da prächtig. Obgleich ihre Stimme, wenn auch nicht ihr Bauch, etwas dünner ist als diejenige des frisch gebackenen MusicStars Carmen Fenk – am Schluss darf Gabi selber zum Mikrofon greifen. Ihr «Titanic»-Song nach «Céline Dijon» – so der Senf, den Debbie dazu abgibt – ist der dramatische Höhepunkt des viel beklatschten Abends. Wie die beiden Chicks kurzerhand das Dirigentenpult entern und im steifen Gegenwind, der durch ihr rotes beziehungsweise extrem blondes Haar fährt, gegen einen imaginären Ozean ansingen, bringt sogar die begleitenden Berufsmusiker zum Lachen. Mehr noch: Wir haben gesehen, dass Gabi mit einem Bassisten («du häsch e megagrossi Gitarre!») die Handynummern tauschte. Gute Voraussetzungen für eine vertiefte Interaktion. Denn eine weitere Folge der Reihe ist bereits geplant.

Die lustigen Weiber von Winterthur im Casting

, Tages-Anzeiger, von Philipp Gut

Crossover im Casinotheater: Die Comedy-«Chicks» Viktor Giacobbo und Fabienne Hadorn mischen ein Konzert des Musikkollegiums Winterthur auf.   Es beginnt […]

«Women – Women: Chicks in Concert» im Casinotheater Winterthur

Nach der mit Schmelz und Schmiss vorgetragenen Ouverture naht Ungemach. Die pummelige Gabi Muff (Fabienne Hadorn) und ihre nicht mehr ganz taufrische Gotte Debbie Mötteli (Viktor Giacobbo) verirren sich ins Casinotheater Winterthur, wo das Orchester Musikkollegium Winterthur ein Konzert gibt. Das Duo infernal stösst beim hübschen Dirigenten (Marc Kissoczky) zunächst auf wenig Begeisterung. Dafür erhält das Publikum Einblick in die Gefühlslage eines weiblichen Teenies im postfeministischen Zeitalter. Mit jugendlicher Unbekümmertheit erklärt Gabi ihrer Gotte die heutige Welt, während Debbie in gewohnter Manier für den Bereich jenseits der Gürtellinie zuständig ist.

Dennoch gelingt es dem Dirigenten, das angekündigte Musikprogramm durchzuziehen. Fein abgestuft erklingt die Suite aus «The Fairy Queen» von Henry Purcell, mit kräftigem spanischem Kolorit die Carmen-Suite von Georges Bizet, die ja bekanntlich zu Ehren des «Music Star» Carmen Fenk komponiert wurde. Und genau dahin wollen die beiden Frauen: Gabi soll die nächste Staffel der Casting-Show gewinnen.

Nachdem die Gotte in Leopold Mozarts Kindersinfonie mutig vorangegangen ist, erweist sich auch der Teenie an der Ratsche als ausreichend begabt, um zum grossen Finale antreten zu dürfen. Noch ein schmissiger Strauss-Walzer, und dann greift Gabi zum Mikrofon und gibt mit tatkräftiger Unterstützung des Orchesters, das auch diese Streicherseligkeit glänzend zu bewältigen weiss, den «Titanic»-Song zum Besten. Die Vermählung von U- und E-Musik glückt. Ob bald eine Kuschelrock-CD dieses neuen Dream-Teams zu erwarten ist?

Ü-Musik

, Neue Zürcher Zeitung, von j.h.

«Women – Women: Chicks in Concert» im Casinotheater Winterthur Nach der mit Schmelz und Schmiss vorgetragenen Ouverture naht Ungemach. Die […]

THEATERSTUDIO · Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey traten als «Sickmen» auf

Einen wahren Run aufs Theater-studio Olten lösten Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey am Wochenende aus: Gleich dreimal zeigten sie ihr Programm «Sickmen», in dem sich alles um die Befindlichkeit bzw. Empfindlichkeit des so genannt neuen Mannes dreht.Dass jeder von ihnen ein kluges Köpfchen ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Dass sie drei eigenwillige Spezies der Gattung Mann verkörpern, offensichtlich auch. Was draus wird, wenn sich drei so prägnante Figuren der Schweizer Kabarett-Szene gemeinsam auf die Bühne stellen, darauf war das Publikum gespannt.

Keine Politsatire, wie man sie von den dreien, die immer wieder als brillante Analytiker des Zeitgeschehens in Erscheinung treten, vielleicht erwartet und erhofft hätte. Keine ausgeklügelten Sprachspielereien. Vielmehr dürften die drei mittlerweile gestandenen Herren tatsächlich mit sich gerungen haben, bis ihr Konversationsstück, eine Eigenproduktion des Casinotheaters Winterthur unter der Regie von «Männertrainer» Tom Ryser, endlich bühnenreif war. Entstanden ist ein amüsantes, witziges Bühnenstück, das dem Publikum einen höchst vergnüglichen Abend bereitet. Nicht mehr und nicht weniger.

Ringen um ein Auftragsstück

«Sickmen» zeigt Giacobbo, Müller und Frey als «Kabarettisten-Karikaturen», die den Auftrag haben, ein aktuelles, politisches Auftragsstück zu schreiben. «Der saubere Krieg» hätte es heissen sollen, wenn was draus geworden wäre. Und wenn die drei sich nicht ständig gegenseitig auf die Füsse getreten wären: Patrick Frey mimt den hypersensiblen Allergiker, der seine Kollegen mit seiner panischen Angst vor Glutamat auf die Palme treibt. Mike Müller gibt den Gourmet, der ein Keller-Atelier als Übungsort strikte ablehnt, weil es ihn zu stark an Olten erinnert und ihm dort ausserdem die Infrastruktur für die Zubereitung einer stilechte Crêpe Suzette fehlt. Viktor Giacobbo schliesslich tritt als hypochondrischer Gesundheits-Fanatiker in Erscheinung, der erst mit den entsprechenden Pharmaka so richtig in Fahrt kommt.

Kränkliche Männer

Und so hoffen die drei eingebildeten Kranken auf verständnisvolle Zuwen-dung. Die bleibt ihnen allerdings ver-sagt: Der Schulmediziner wirft Frey mit der Diagnose «krankhafter Trieb zur Selbstbeobachtung» aus dem Spital. Und auch seine Frau scheint nicht auf bettlägerige Männer zu stehen, wird der lädierte Familienvater doch schon am zweiten Krankheitstag dazu angehalten, die Kinder in den Kindergarten zu bringen und das Katzenklo zu leeren …

Da kuriert man sich doch lieber selbst bei einem gemütlichen Männerabend. Ohnehin etwas vom Schönsten, was man haben kann, sinnieren die drei: Männer unter sich sind doch einfach relaxter. Da kann man auch mal ruhig sein. Manchmal gehts auch ganz ohne Worte …

Wirklich geheilt werden die körperli-chen und seelischen Wunden aber erst im Quellenhof Bad Ragaz durch Lomi-Lomi-Massagen, Bungee-Jumping und «Fachdiskussionen» mit der Rhythmik-Lehrerin Andrea. Nachdem Müller eine Nacht mit dem Wellness-Manager durchgesoffen hat und Frey beim einsamen Brainstorming in der Aroma-Kabine einen Heulkrampf erlitten hat, soll es schliesslich doch noch zum bühnenreifen Stück gekommen sein.

Drei Originale

Es macht Spass, die drei Kabarettisten mit der medialen Breitenwirkung live auf der Bühne zu sehen. Jeder der drei Herren im massgeschneiderten Anzug bringt ein Original auf die Bühne, in dem sich Kunstfigur und Persönlichkeit zu einem eigenwilligen Ganzen fügen. Und das lässt den Abend zu einem höchst unterhaltsamen Vergnügen werden.

Die Befindlichkeit des neuen Mannes

22. Dezember 2003, Mittelland-Zeitung, Oltner Tagblatt, von Jacqueline Lausch

THEATERSTUDIO · Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey traten als «Sickmen» auf Einen wahren Run aufs Theater-studio Olten lösten […]

Der Heimatschutz hat die Initianten des Casinos für die Rettung des 140 Jahre alten Gebäudes in der Altstadt geehrt.

«Wir sind froh, dass wir jetzt unter Heimatschutz stehen», verdankte Viktor Giacobbo, der Satiriker und Präsident der Casino Theater AG, am Donnerstag den mit 10 000 Franken dotierten Preis des Schweizer Heimatschutzes (SHS).

«Der Preis ist ein Aufsteller für unser Haus», sagte Giacobbo. Derweil entriss ihm Patrick Frey das Couvert mit dem Check und frotzelte: «Das Geld bleibt bei der Immobilien AG.»

Der Sketch sorgte bei den geladenen Gästen aus Politik und Kultur für Heiterkeit. Die beiden Künstler würden für ihr zupackendes Unternehmertum geehrt, mit dem sie dem klassizistischen Bauzeugen neuen Sinn eingehaucht hätten, begründete SHS-Präsident Caspar Hürlimann die Wahl der Preisträger. In der von den Geschwistern Schmid umrahmten und von Mike Müller moderierten Feier zeichnete Stadtpräsident Ernst Wohlwend die wechselvolle Geschichte des Casinos nach. Und in launigen Worten überbrachte Markus Notter aus Zürich die Gratulation der Regierung.

Viel Lob für den 13,5 Millionen Franken teuren Umbau erhielten auch der Architekt Ernst Zollinger und Jasmin Grego (Büro Grego + Smolenicky) für den Innenausbau. Ende Mai 2000 hatten die Winterthurer an der Urne die Wiedergeburt des Casinos mit einem Ja zum Hausverkauf an Giacobbos und Freys Künstlertruppe lanciert. (smd)

Eine Perle Winterthurs ist preisgekrönt

31. Oktober 2003, Tages-Anzeiger

Der Heimatschutz hat die Initianten des Casinos für die Rettung des 140 Jahre alten Gebäudes in der Altstadt geehrt. «Wir […]

«Sickmen» von Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller im Casino-Theater Winterthur

 

Ärztliche Betreuung von vor dem Eingang bis zum Ausgang: Das Winterthurer Casino-Theater bietet in seiner neuen Eigenproduktion einen kabarettistisch-medizinischen Totalservice. Als Spätprogramm mit anderen Mitteln dürfte es vor allem Entzugserscheinungen kurieren.

Ein schwarzer Vorhang, drei Lederstühle und drei Männer mittleren Alters in Anzügen: Die Ausstattungskosten für – gut anglo-eidgenössisch – «Sickmen» halten sich in Grenzen, da wäre das ursprünglich geplante Politstück «Der saubere Krieg» mit seinem Bodenseehochseefrachter bestimmt teurer geworden.

Welche komplizierten medizinisch-philosophisch-männerbündlerischen Verwicklungen und Eitelkeiten diesen Plan, den selbst die Künstleraktionärskollegen des Winterthurer «Monte Verità mit Sponsoren statt FKK» nicht retten konnten, vereitelt haben, davon erzählt «Sickmen», oder besser: Davon erzählen Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller in ihrem «Konversationsstück von und für drei Männer». Und wo andere Theaterschaffende einen Regisseur benötigen, brauchen die drei Spätprogramm-Cracks einen Männertrainer. Dass politisches Theater (schon wieder) passé sei, nimmt «Sickmen» en passant mit, wie so einige Randbemerkungen zu den Formaten, welche die drei Darsteller TV-DRS-weit bekannt gemacht haben.

Erfrischend spritzig

Wie arm und anfällig und wehleidig die drei «Malades imaginaires» aber sind, wenn es darum geht, ein neues Stück zu schreiben, davon erzählen sie nun als Selbsttherapie in Ermangelung eben dieses Stückes. Dass Gourmet-Hedonist Müller, Pharmajünger Giacobbo und Glutamatkreuzritter Frey sich nicht finden konnten, erstaunt nicht, wenn man hört, mit welcher Häme die drei Figuren in wechselnder Konstellation übereinander herfallen. Sie tun dies mit inszenierter Selbstironie (bisweilen auf einer Meta-Meta-Ebene) und einer erfrischenden sprachlichen Spritzigkeit.

Und in diesem Umfeld bekommt sogar die eingestreute Werbung für die Sponsoren und Veranstaltungen des Casinotheaters einen Touch, der sie schon fast wieder erträglich macht.

[i] Sickmen im Casino Theater Winterthur bis 11. Oktober. www.casinotheater.ch

Selbstinszenierung als Therapie

26. September 2003, Der Bund, von Tobias Gerosa

«Sickmen» von Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller im Casino-Theater Winterthur   Ärztliche Betreuung von vor dem Eingang bis […]

Die «Sickmen» von Patrick Frey, Viktor Giacobbo und Mike Müller bescheren dem Casinotheater in Winterthur immense Kosten durch Medikamente, Spitalaufenthalte und Spesen.Wie verhält sich das nun eigentlich genau mit diesen Viren? Die Aussentemperaturen sind markant gesunken, die Gemüter herbstlich unterkühlt. So sitzt man dicht gedrängt im Saal des Winterthurer Casinotheaters, und überall wird hemmungslos gelacht. Besteht da nicht eine akute Ansteckungsgefahr? Wenn ja, könnte das in Kombination mit einer Plüschallergie zu einer antizyklischen Überreaktion mit fatalen Folgen für den Solarplexus führen. Nicht auszudenken.

Aber viel gefährlicher als im Zuschauerraum ist es auf der Bühne. Ein abendfüllendes Stück zu schreiben, schädigt die Gesundheit. Die drei schwer geprüften Kabarettisten im Rampenlicht der Bühne sind der (nur dank ärztlicher Hilfe noch) lebendige Beweis dafür. Eine vorgefallene Bandscheibe, eine angeknackste Hüfte, ein Meniskus, Glutamat- und Katzenhaarallergien, diverse Melanome und Zeckenstiche und mindestens eine Alkoholvergiftung haben den kreativen Arbeitsprozess des hoch motivierten Trios empfindlich gestört. Und da ist es nur recht und billig, dass sich die Herren Giacobbo, Frey und Müller in der letzten, alles entscheidenden Phase zur Arbeitsklausur in den Quellenhof Bad Ragaz zurückgezogen haben, wo die körperlichen Gebresten durch flankierende Massnahmen wie Lomi-Lomi-Massagen, Bungee Jumping, Falun-Gong, Bordeaux und einer Andrea im selben Hotelkomplex kunstgerecht aufgefangen und ausgeglichen werden konnten. Zur Kostendeckung wird das Publikum nach knapp fünfzig Minuten zwecks ausgiebiger Konsumation in die Pause geschickt, zur Ausstattung genügen drei Stühle, und die Kostüme, drei gut sitzende Anzüge, können bei Bedarf privat wiederverwendet werden.

Prächtige Exemplare

Die Idee des Abends ist ebenso einfach wie bestechend: Zu sehen sind Patrick Frey als Patrick Frey, Viktor Giacobbo als Viktor Giacobbo und Mike Müller als Mike Müller, die über ein gemeinsames Stück sprechen, das bereits im Produktionsprozess gescheitert ist. Die Inszenierung wurzelt im autobiografischen Bereich des populären Trios und hätte leicht in eine narzisstische Nabelschau abrutschen können. Doch davon kann an diesem Abend nicht die Rede sein. Die Figuren auf der Bühne sind drei hochartifizielle, prächtig geschliffene Kabarettistenkarikaturen.

Gleichzeitig mit den Künstlern werden der Theaterbetrieb und sein Publikum mit träfem Sarkasmus zersetzt. «Sickmen» spielt mit Understatement, Versagen und Desillusionierung. Will einer zu hoch hinaus, fällt er auf die Nase, verstrickt sich in freudschen Versprechern, verirrt sich in komplizierten Argumentationsschlaufen, wird durch Schadenfreude, Mitleid oder ein Machtwort seiner Bühnenpartner auf den Boden der Realität zurückgeholt.

Diese fortwährende Abgleichung und Einmittung birgt allerdings auch die Problemzone des Abends (Regie Tom Ryser). In «Sickmen», das im Untertitel als Konversationsstück bezeichnet wird, herrscht ein (selbst)ironisch unterfütterter, maliziöser Erzählton vor. Und der ermüdet stellenweise etwas, lässt einen im Publikum passiv werden und träge auf die nächste Pointe warten. Besonders bestechend sind daher die Stellen, wo Unmittelbarkeit das Geschehen kräftig durchschüttelt, etwa wenn die drei Herren im Balgrist nächtigen und Viktor wegen Versicherungsfragen in Rage gerät, wenn Patrick einen durch Glutamat ausgelösten Anfall erleidet oder Mike sich über Pulposalat erst in Ekstase und dann in Rührung redet.

Weitere Vorstellungen bis zum 11. 10.

Kreative Kranke

, Tages-Anzeiger, von Charlotte Staehelin

Die «Sickmen» von Patrick Frey, Viktor Giacobbo und Mike Müller bescheren dem Casinotheater in Winterthur immense Kosten durch Medikamente, Spitalaufenthalte […]

Satire-Star Viktor Giacobbo über Schweizer Humor, veraltete Feindbilder und die Weltwoche.

Die Schweizer Politsatire trat einst gegen die Mächtigen an, und die waren alle rechts. Heute sitzen die Linken an den Hebeln in Politik, Medien, Universitäten. Macht es noch Spass, aus dem Machtzentrum heraus gegen die Rechte zu witzeln, die mittlerweile in der Opposition ist?

Die Linke hat doch im Vergleich zum Bürgertum keine Macht, jedenfalls nicht vergleichbar mit der Macht des Freisinns von früher.

Aber es muss einen ehemaligen Untergrundkämpfer des politischen Humors wie Sie doch irritieren, wenn er von allen etablierten Seiten Applaus erhält. Beispielsweise vom Bundesrat.

Was heisst hier Applaus vom Bundesrat? Wenn Moritz Leuenberger eine unserer Nummern gut findet, dann habe ich kein Problem damit. Ich habe schon von derart vielen Seiten Applaus erhalten, das war mir, ehrlich gesagt, scheissegal.

Politische Satire war mal auf der Höhe des Zeitgeists, Hildebrandt, Titanic etc. Inzwischen wirkt das alles unendlich verstaubt.

Das stimmt teilweise. Hildebrandt hat den Absprung verpasst. Ich wollte nicht, dass mir das Gleiche passiert, deshalb habe ich «Viktors Spätprogramm» trotz Zustimmung und hohen Quoten aufgegeben. Das klassische Politkabarett ist zu Recht weniger bedeutend als auch schon. Politsatire war für mich aber immer nur ein Teil des Programms. Es gab Junge, die haben erst dank unserer Sendung mitbekommen, dass einer wie Ueli Maurer auch tatsächlich existiert. Wir brachten reine Klamaukfiguren wie Harry Hasler, die sich aber hin und wieder in einem sehr politischen Kontext bewegten.

Der hiesige Humorbetrieb hält an Uralt- Feindbildern fest. Man leidet an der Réduit-Schweiz. Marthalers «Hotel Angst» kam als Attacke auf die Bünzli-Schweiz zwanzig Jahre zu spät. Der Spielfilm «Beresina» karikierte den längst verblichenen Militärfilz. Und selbst Giacobbo zerlegt neuerdings den Tell-Mythos – werden hier nicht längst verweste Kadaver ausgegraben?

Halt, halt. Unser «Tell» hat damit nichts zu tun. Wir brachten die Inszenierung, weil es ein schönes Stück und zudem grade 200 Jahre alt geworden ist. Wir fanden es aus ästhetisch-komischer Perspektive reizvoll, eine Aufführung mit lauter Fehlbesetzungen zu arrangieren. Keine Sekunde dachten wir daran, den Mythos Tell zu zerlegen.

Die Obsession, sich an längst geschlachteten heiligen Kühen abzuarbeiten, sehen Sie nicht?

Ich bin doch kein Metzger, der durch die Welt geht und nach heiligen Kühen fahndet. Mir ist nur die komische Wirkung und meine politische Haltung wichtig. Aber die Problematik ist vorhanden. Allerdings weniger im Komikbereich als im ernsten Fach. Dort findet man öfter die Posen der angeblich grossen Gesellschaftskritik. Da lacht dann die Satireszene.

Warum hat eigentlich niemand eine Satire geschrieben auf die Komödie am Zürcher Schauspielhaus, als die Leitung Carp/Marthaler eine Verschwörung des Züribergs beklagte, nur weil man einen winzigen Bruchteil des Budgets einsparen musste?

Sie verallgemeinern. Marthaler ist ein brillanter, humorvoller Mensch und ein extrem kreativer Theatermacher. Stefanie Carp allerdings würde ich sehr gern imitieren – es würde aber an meinem Äussern scheitern. Sie kommt mir vor wie die Uriella der Theaterszene. Ich verstehe auch nicht, weshalb sie die unbestrittene Notwendigkeit des Schauspielhauses in der Öffentlichkeit nicht talentierter und vor allem weniger arrogant begründete.

Sie haben sich lieber mit Wollust in den SVP-Präsidenten Ueli Maurer verbissen. Ist seine Partei nicht längst zu Tode ironisiert?

Es ist halt schwierig, über eine Partei keine Witze zu machen, die am Sempacher Schlachtdenkmal Versammlungen abhält. Da ist die Selbstironie nicht sonderlich gross, was allerdings auch auf die Linke zutrifft. Ihren Generalbefund teile ich gar nicht. Das linke Milieu ist immer auch an die Kasse gekommen.

Verglichen mit dem Maurer-Bashing wirkten Ihre Schmunzelattacken auf Leuenberger & Co reichlich verhalten.

Stimmt, mittlerweile putzen sich alle die Schuhe an der SVP ab. Das finde auch ich uninteressant. Wenn einer einfach Blocher ruft in einem Saal, wird schon gelacht. Mir reicht das nicht. Aber wir haben ja noch die Satirezeitschrift Weltwoche, die antizyklisch die Linken drannimmt.

Kann linke Satire überhaupt noch provozieren, irritieren, ja verärgern?

Ich kann meinen Standpunkt eben nicht verleugnen. Christoph Blocher, das spricht für ihn, kam in meine Sendung. Dort konnte ich ihm ins Gesicht sagen, dass er so ziemlich für alles steht, was ich bekämpfe. Dieser Streit ist mir ernst – so wie mir mein Standpunkt ernst ist. Allerdings muss man sagen, dass die SVP-Exponenten im Einstecken ziemlich cool sind.

In der Blocher-Sendung waren Sie allerdings eher handzahm.

Wenn Sie diesen Eindruck gewonnen haben, dann habe ich meine Arbeit eben schlecht gemacht. Kommt auch vor.

Satirefähiger als die SVP ist heute doch eher die stereotype Empörung über diese Partei.

Da müssen Sie halt einen jungen SVPler finden, der die Satire macht, die Ihnen gefällt.

Sie können mir nicht erzählen, dass Sie diesen «Wehret den Anfängen»-Humor noch inspirierend finden.

Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit müssen eben in den Anfängen bekämpft werden. Aber ich verstehe den Einwand zum Teil. Wer immer von allen auf den Deckel bekommt, weckt Mitleid. Auch bei mir, aber vor allem bei der Weltwoche, die hier ja nach Kräften Gegensteuer gibt…

…finden Sie?

Aber sicher, ihr habt doch eure Kettenhunde, die US-Präsident Bush verteidigen. Ihr schickt die Leute in den Irak für Blut-und-Boden-Artikel… Aber lassen wir das, das ist ein anderes Thema. Die SVP ist einfach die stärkste Partei der Schweiz…

…das stärkste Minderheitenprogramm…

…mag ja auch sein, aber die Partei legt rasant zu, unter anderem mit Slogans und Ideen, die sehr simpel gestrickt sind. Das können ja nicht einmal Sie bestreiten.

SP-Chefin Brunner hat gefordert, der Financier Martin Ebner sei per Berufsverbot aus dem Verkehr zu ziehen. Auch nicht wahnsinnig differenziert. Es spielen doch alle auf der populistischen Klaviatur. Nur die SVP löst Allergien aus. Überschätzen Sie die Partei nicht einfach?

Natürlich ist das Bullshit, was Brunner da forderte. Immerhin stelle ich einen Fortschritt gegenüber früher fest, als die SP immer in unerträglich weinerlichem Tonfall Entschuldigungen verlangte, statt zurückzuschlagen. Aber das sind Nebenaspekte. Es geht doch darum, dass die SVP fremdenfeindliche Kräfte enthält. Und mir Fremdenfeindlichkeit auf den Geist geht. Ich komme aus einer Einwandererfamilie. Ebenso zuwider ist mir, wie diese Partei gegen jede Art von Kultursubventionen reflexhaft auf die Barrikaden steigt.

In der Schweiz gilt ja mittlerweile jeder als fremdenfeindlich, der sich nicht explizit für die Masseneinwanderung ausspricht. Irritiert Sie nicht ebenso die Heuchelei jener «progressiven Kreise», die für offene Grenzen plädieren, ihre Kinder aber in möglichst ausländerfreie Schulen schicken?

Für einen Intellektuellen stellen Sie ziemlich holzschnittartige Fragen. Natürlich bin ich nicht für Masseneinwanderung, aber für die Aufnahme von Flüchtlingen, denen es dreckig geht. Natürlich darf man das Ausländerproblem nicht einfach mit didaktischen Rezepten aus dem SP-Katechismus verwedeln, aber es gibt hier gewisse verhockte Inzuchtdenkweisen, denen eine frische ausländische Blutzufuhr nur gut tun würde. Na ja, ist jetzt vielleicht auch etwas holz-schnittig…

Wie hart darf Satire sein in der Schweiz?

Wenn die Pointe stimmt, ist fast alles erlaubt.

Hat der Schweizer Humor?

Den Humor-Schweizer gibt es nicht. Auch in Yorkshire steht ja nicht jeder Bergarbeiter auf Monty Python.

Aber der englische Humor ist brutaler.

Urbane Intellektuelle, denen es nicht brutal genug zugehen kann, findet man auch bei uns. Die Engländer haben eine etwas längere Tradition. Auch das englische Fernsehen hat da mehr gewagt.

Irritiert es Sie, wenn Kritiker sagen, Giacobbo sei zu nett?

Nein. In den Hirnen der Journalisten hält sich unausrottbar die Vorstellung, frech sei besser als komisch. Ich finde: Komisch ist besser als frech. Journalisten denken, es gebe Pointen, mit denen die Mächtigen zu verunsichern seien. Das ist vorbei seit den Tagen, als freie Theatergruppen nackt auf Gewehren herumhopsten. Das Bürgertum kannst du nicht mehr erschrecken. Höchstens Kritiker.

Und Linke.

Das stimmt, aber auch die schon fast nicht mehr. Der ganze Sozialarbeitergroove wurde satirisch durchgehechelt. Der Demo-Betrieb, Friedensbewegung etc. – wurde alles zerlegt.

Der Friedenskindergarten mit seinen Pace-Fahnen kam ungeschoren davon.

Klar, es gab da einen gewissen lächerlichen Aspekt. Aber noch unsympathischer sind mir die Leute, die etwa in der Weltwoche schreiben, früher sei der Protest noch echt gewesen, heute reine Mode.

Wer schreibt so etwas?

Das schrieb Schawinski bei euch, aber auch andere argumentierten in die Richtung. Angesichts von Markenfetischismus und Hedonismus, der bei den Jungen um sich greift, hat es mein Herz erwärmt zu sehen, dass da zahlreiche Jugendliche für politische Anliegen auf die Strasse gehen.

Sie sind Kulturpessimist?

Jugendliche, die gegen einen Krieg auf die Strasse gehen, sind mir auf jeden Fall unendlich viel lieber als die überheblichen intellektuellen Idioten, die das heruntermachen.

Das Fernsehen hat eine Nachfolgesendung für «Viktors Spätprogramm» angekündigt. Bis jetzt ist nichts zustande gekommen. Ist fernsehtaug-liche Satire nach Giacobbo nicht mehr möglich?

Das ist nicht der Fall. Es sei etwas in petto, höre ich, weiss aber nicht was und möchte mich auch nicht einmischen. Eigentlich ist das Rezept vorhanden. Das Fernsehen müsste es machen wie bei mir damals, als ich noch nicht Prof. Dr. Satire war: Man müsste einen Unverbrauchten nehmen und machen lassen. Natürlich wird es am Anfang in den Zeitungen wieder heissen, die Satire funktioniere nicht, das sei der grösste Mist. Später wird man dann herausfinden, es sei doch Kult. So lief es bei mir.

Täuscht der Eindruck, oder reagieren Sie etwas dünnhäutig auf Kritik?

Ach was, das muss man aushalten. Das Einzige, was mich stört, ist, dass ich nicht direkt darauf antworten kann. Ich streite gerne.

Wo liegen die satirischen Kampfzonen der Zukunft?

In der täglichen politischen Auseinandersetzung.

Was sind Ihre momentanen Lieblingsfeindbilder?

Wenn ich mir die hoffnungslose Situation im Irak-Krieg anschaue, habe ich eigentlich nicht das Gefühl, der Stoff könnte mir ausgehen. Wenn ich mir einen Berlusconi betrachte, der drauf und dran ist, Italiens politische Kultur zu demontieren, macht mich das als Satiriker zuversichtlich.

Das Ende von «Viktors Spätprogramm» war somit nicht das Resultat einer satirischen Erschöpfung Ihrerseits?

Die Form hatte sich sicher erschöpft, nicht aber der Inhalt. Nur war ich es ehrlich gesagt allmählich leid, mir Schnurrbärte anzukleben oder in Frauenkleidern aufzutreten. Nach der zehnten Nummer über die Krankenkassenprämienerhöhungen fällt dir einfach nichts Gescheites mehr ein dazu.

Heute polarisiert nichts mehr. Die breite Mitte ist tolerant geworden. Der Satiriker wird zum Pausenclown. Deprimiert das manchmal?

Es stimmt doch einfach nicht, dass sich niemand mehr empört und alles toleriert wird. Es gibt Reaktionen, auf Kolumnen, auf Programme, auch Beschimpfungen. Und schliesslich: Was spricht gegen einen Pausenclown?

Sie sind doch längst eine etablierte Grösse im Schweizer Unterhaltungsestablishment. Ihnen jubeln alle zu.

Klar, die Risiken kommen, wenn man zu den Arrivierten gehört. Ein grosses Publikum an sich ist aber noch kein Problem. Solange du dich nicht selber kompromittierst auf der Jagd nach Erfolg. Etwas muss ich aber noch anfügen.

Bitte.

Ihre Vorstellung von Satire ist grundfalsch.

Warum?

Weil Sie uns an Massstäben messen, die selber hoffnungslos veraltet sind.

Ich behaupte einfach, die Schweizer Satire sei kreuzbrav. Sie hat sich auf bequeme Feindbilder eingeschossen und klammert sich an helvetische Uralt-Klischees. Beängstigt Sie das nicht nachts kurz vor dem Lichterlöschen?

Es ist nicht das Brave, das Sie stört, sondern die politische Richtung. Sie können linke Satiriker nicht dafür verantwortlich machen, dass es keine rechte Satire gibt. Und das Einzige, was mich nachts vor dem Lichterlöschen beunruhigt, ist der Gedanke, ich hätte auf der Bühne oder vor der Kamera Scheisse gebaut.

Ihr letzter Film, «Ernstfall in Havanna», war ein Grosserfolg. Mit Schweiz-Stereotypen, die es nicht mehr gibt.

Das bestreite ich, dass wir Stereotypen gezeigt haben. Es war ein satirisches Bild der Schweizer Diplomatie in der grossen weiten Welt. Mir fällt auf, dass Schweizer Filme, die kein Publikum haben, von der Kritik hämisch als abgehoben, esoterisch etc. verrissen werden. Holt mal einer viel Publikum, muss man sich dafür, auch innerhalb der Filmszene, wegen Mainstream-Vergehens rechtfertigen.

Warum sind Sie eigentlich Satiriker geworden?

Ich wollte unterhalten. Zugleich bin ich ein politischer Mensch. Die Verbindung ist mir erstmals bewusst geworden, als ich die Münchner Lach- und Schiessgesellschaft sah an einem Silvesterabend. Dass einer auf einer Bühne steht, um mit seiner politischen Meinung ein Publikum zu unterhalten, das hat mich beeindruckt.

Man sagt, die ganz grossen Komiker seien alles Depressive.

Das ist kein Widerspruch. Ich habe meine depressiven Phasen, und beim Zeitungslesen bekomme ich keine Euphorieanfälle. Aber die Depression war nicht die berufliche Initialzündung.

Es heisst, jeder, der auf die Bühne steigt, hat einen Defekt. Was ist es bei Ihnen?

Ich habe sogar mehrere Defekte. Vor allem bin ich ein Kindskopf geblieben – und ziemlich eitel dazu. Alles perfekte Voraussetzungen.

War das Ihre satirische Urtriebfeder? Oder litten Sie an Ihren Eltern? Der Witz als Befreiungsschlag bei dumpfen Tischrunden zu Hause?

Es war eher eine Lust an der Imitation. Mir fiel auf, wenn bei anderen etwas auffiel. Das kam alles aus dem Bauch heraus. Keine intellektuellen Anflüge. Die Sprengkraft der Satire wurde mir immer dann bewusst, wenn ich in Anwesenheit von Tante und Mutter aussprach, was meine Tante hintenrum über meine Mutter gesagt hatte. In solchen Momenten wurde mir bewusst, was ich später unter der Rubrik «Konzessionsbeschwerden» kennen lernte.

Gemäss Umfragen schätzen Frauen an Männern vor allem den Humor. Können Sie das bestätigen?

Natürlich, damit lege ich jede Frau flach. Ich empfehle, Humor aber eher beiläufig anzuwenden. Was ebenfalls funktioniert, ist die Masche des knallharten Satirikers, der emotionell leidet. Das wirkt sehr gut.

Ist der private Humor anders als der öffentliche?

Sicher.

Weshalb?

So genau lässt sich das nicht sagen, aber ich gebe sicher nicht den Harry Hasler, wenn ich meine Freundin zum Lachen bringen will.

Sondern?

Das hat viel mit Zwischentönen zu tun.

Kann Humor Beziehungen retten?

Vielleicht. Es kann auch das Gegenteil eintreten. Humor kann extrem verletzend wirken. Ständige Ironie in einer Beziehung ist tödlich.

Woody Allen hat mal von sich gesagt, die Filmfigur des Stadtneurotikers habe nichts mit ihm zu tun. Er sei weder verwirrt noch sportlich unbegabt oder linkisch. In der High School habe er alle Mädchen bekommen, die er haben wollte. Ist das bei Ihnen genauso?

Ich habe immer die Figuren am liebsten gespielt, die am weitesten von mir entfernt waren. Ich grinse immer ein bisschen, wenn ich Deutungen über mich lesen muss. Da werden Zusammenhänge hergestellt, die mehr mit einer Semesterarbeit in Vulgärpsychologie zu tun haben als mit mir.

Haben Sie jemals eine Pointe dem Kalkül geopfert? Wer von allen geliebt werden möchte, reisst keine bösen Witze mehr.

Nein. Erstens war es nie mein Bestreben, von allen geliebt zu werden, und ich opfere Pointen nur dann, wenn sie schlecht sind oder missverständlich. Es gibt in meinem Inneren keinen verkappten Sadisten, der darauf wartet, von der Kette gelassen zu werden. So bin ich nicht. Ich neige eher zu Mitleid – und manchmal peinlicherweise zu Rührseligkeit.

Viktor Giacobbo ist ab 24.9. zu sehen in dem Konversationsstück «Sickmen» mit Patrick Frey und Mike Müller im Casinotheater Winterthur.

«Ich neige eher zu Mitleid»

18. September 2003, Weltwoche, von Roger Köppel

Satire-Star Viktor Giacobbo über Schweizer Humor, veraltete Feindbilder und die Weltwoche. Die Schweizer Politsatire trat einst gegen die Mächtigen an, […]

Innovative Lösung für ein vernachlässigtes Gebäude

 

Der Schweizer Heimatschutz zeichnet mit dem Heimatschutzpreis 2003 das Casinotheater Winterthur aus. Dank dem unkonventionellen Engagement einer Gruppe von Schweizer Künstlern aus dem Comedy-Bereich konnte nicht nur ein wertvolles Gebäude erhalten bleiben, sondern auch eine in der Schweiz einmalige Plattform für Kleinkunst und Kabarett geschaffen werden. Die Preisverleihung wird Ende Oktober im Casinotheater Winterthur stattfinden.

Unkonventionelle Rettung für ein wertvolles Gebäude
Rund zwanzig Jahre lang hatte die Stadt Winterthur über die Zukunft des ehemaligen Stadttheaters an zentraler Lage diskutiert. In dieser Zeit verlotterte das leerstehende Gebäude zusehends, gleichzeitig stiegen die Kosten für dessen Sanierung. Schliesslich entschied sich die Stadt Ende der 90er Jahre für den Verkauf. Rund um Viktor Giacobbo und Patrick Frey formierte sich eine Gruppe von Schweizer Künstlern, die das Casinotheater übernahmen. Damit gelang es den Initianten, das für die Stadt Winterthur wertvolle Gebäude zu retten und der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Gleichzeitig entstand in dem sorgfältig und geschmackvoll restaurierten Casino ein für die Schweiz einmaliges Zentrum für Kleinkunst, Kabarett und Comedy.

Sorgfältige Renovation macht Geschichte ablesbar
1862 als Gesellschaftshaus für Theater, Konzerte und Lesungen gegründet, ging das Casino schon zehn Jahre später nach dem Konkurs der Betreibergesellschaft an die Stadt Winterthur. 1934 brannte der Dachstock aus, worauf die Stadt das Theater umbauen liess und es bis 1979 als Stadttheater nutzte. Diese wechselvolle Geschichte ist im frisch renovierten und umgebauten Casinotheater noch immer ablesbar (Architekten: Ernst Zollinger, Winterthur; Grego & Smolenicky, Zürich). An der Fassade lässt sich deutlich der Unterschied zwischen dem ursprünglichen Neu-Renaissance Teil und dem in den 30er Jahren aufgesetzten Dachstock unterscheiden. Im Inneren wurde mit wenigen Eingriffen die vorhandene Bausubstanz aufgewertet und für den modernen Theater- und Restaurationsbetrieb angepasst. Die klassizistische Ausstattung im denkmalgeschützten Theatersaal wurde sorgfältig renoviert. Im Foyer und im Restaurant blieben die Elemente aus den 30er Jahren erhalten, ergänzt mit modernen Einrichtungen. Die verschiedenen Räume und neuen Elemente werden mit einem Farbkonzept verbunden, das sich auch im Treppenhaus und in den oberen Sälen fortsetzt.

Unkonventionelle Nutzung
Der Betrieb des Casinotheater ist aufgeteilt in die Casino Immobilien AG unter Patrick Frey, die für das Gebäude verantwortlich ist und in die Casino Theater AG unter Viktor Giacobbo, die den Betrieb des Theaters organisiert. Diese unkonventionelle Form mit den Künstlern selbst als Besitzer des Theaters birgt ein grosses Potential an Kreativität und innovativem Schub. Die unterschiedlichen Räume im Casino bieten grosse Flexibilität und erlauben eine hohe Programmvielfalt von bekannten bis unbekannten Künstlerinnen mit bodenständigen bis literarischen Programmen. Ergänzt wird er Theaterbetrieb durch das Restaurant und die Vermietung von verschiedenen Seminarräumen und Ballsälen.

Der Heimatschutzpreis
Der Heimatschutzpreis wird Körperschaften wie Vereinen, Genossenschaften oder Arbeitsgruppen zuerkannt, die sich für die Anliegen des Heimatschutzes einsetzen. Er wurde 1984 zum ersten Mal vergeben und ist mit Fr. 10’000.- dotiert. Der letztjährige Preis ging an die Association pour la Sauvegarde des Murs de Pierres Sèches (ASMPS) im Jura als Anerkennung für ihren Einsatz für den Wiederaufbau von Trockenmauern.

Heimatschutzpreis 2003 für das Casinotheater Winterthur

5. August 2003, Schweizer Heimatschutz

Innovative Lösung für ein vernachlässigtes Gebäude   Der Schweizer Heimatschutz zeichnet mit dem Heimatschutzpreis 2003 das Casinotheater Winterthur aus. Dank […]

Wenn das Fernsehen Theater spielt: Viktor Giacobbo untersucht im Casinotheater Winterthur die Psyche des ersten und einzig originalen Tellensohns – eine Dialektsatire mit viel Prominenz aus Funk und Fernsehen auf der Bühne wie im Premierenpublikum.Es gibt Fragen, auf die geben uns die Geschichtsbücher keine Antwort. Zum Beispiel was das überhaupt für eine Apfelsorte war auf Tell juniors Kopf, damals beim Apfelschuss. Ein Boskoop? Aber auch, was im kleinen Walterli wohl vorging, als sein Vater mit der Armbrust auf ihn zielte.

«Schau vorwärts, Walter, und nicht hinter dich» – das Lebensmotto hat uns Schiller mitgegeben, aber im Weitern hat er sich für den ersten und einzig originalen Tellensohn kaum interessiert. Wie hat Walterli den Tod des Übervaters (bei der Errettung jenes Mädchens im wilden Schächenbach) erlebt? Wie ist er mit dem schillernden Heldenvatervorbild zurechtgekommen?

Die längst fälligen Antworten auf diese und weitere drängende Fragen (ist Walter Tell wirklich in der Schlacht bei Morgarten von einem Habsburgerspeer durchbohrt gestorben? Sass er nicht damals der Mutter auf dem Schoss und ass Apfelmus?) gibt nun das Casinotheater Winterthur in seiner ersten grossen Hausinszenierung nach der «Eröffnungs»-Show vor gut einem Jahr (vgl. BaZ vom 3. Mai 2002).

Am Dienstag war Premiere, und alle sind dabei gewesen: der Schweizermacher und der Höhenfeurer, der Pingu-Altrocker und der Mann von der Tagesschau, der Mann von den Facts und der Exmann vom Privatfernsehen, der Fernsehkulturmann, der mal sehen wollte, wie eine erfolgreiche Show funktioniert, so gut wie der Ex-Mister-Expo, der endlich mal was über die Schweiz erfahren wollte. Und zahlreiche Blondinen. Und Franz Hohler, dem Sujet angemessen mit Sohn.

Mythen in Schräglage

Wie im Alpabzug wurden sie von urchigen Sennen in den Saal gedrängt (die «Acapickels», für einmal nicht als Dragqueens verkleidet) – Scheunen-Atmosphäre auf der Bühne: mit Heufäden an den Wänden und Stroh am Boden, Zuber, Traktorpneu und Armbrust-Schiessscheibe und einer gewaltigen Reihe von Schönheitsplaketten und Milchleistungsauszeichnungen. Alles echt urschweizerisch, da darf auch der Alpsegen nicht fehlen. Er kippt allerdings bald in Schräglage: «O lobet, zu loben! In Gottes Namen lobet gopfertorigopferteli jetz frohlocked äntli!» – wie die Tellensage insgesamt. Denn Walterli hat ein Apfelschusstrauma. Das äussert sich einerseits darin, dass er zwanghaft Apfelmus isst, und zwar nur ohne Hörnli, anderseits, dass sein Sinn nicht nach dem Weibe steht und auch nicht nach dem Manne (wie Grossvater Walter Fürst schon vermutet).

Viktor Giacobbo spielt Walter Tell mit Hamlet-Attitüde («Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil und Armbrust eines wütenden Geschicks ertragen / oder sich wappnend gegen einen Vierwaldstättersee der Plagen…») und der Psyche von Woody Allen und räumt auch gleich mit der Legende auf, er habe vor dem Apfelschuss gerufen: «Schiess, Vater, schiess!». «Schiss hani Vatter, Schiss!» muss es heissen. Er ist wehleidig und grüblerisch, und erst als er seine Familienmythen touristisch auswerten kann, kommt er ein wenig in Fahrt. Aber er hat die Vergangenheit immer noch nicht wirklich bewältigt… Da kanns nun schön satirisch werden im Dialektstück von Hannes Glarner und Patrick Frey. Zum Beispiel stellt sich heraus, dass Gessler im Himmel Steuereintreiber geworden ist – Steuern im Himmel? Nur für die Schweizer; der Himmel ist EU. Held Tell (Mike Müller als Sportspruchhaufen) und Schürzenjäger Gessler (Patrick Frey mit Pferdenummer) gondeln dann gemeinsam vom Himmel herunter in eine Schokoladenbildli-Schweiz, um Walter auf die Sprünge zu helfen. Grossvater Fürst (Ueli Beck als patronaler Businessman: «Jeder Feind ist ein zukünftiger Konsument oder Tourist») sieht zu diesem Zweck ein leichtes Mädchen aus Göschenen vor, die Künstlerin Helvetia Christen, die Sandra Studer schön billig gibt.

«Kän rächte Schwiizerbueb»

Walterli hat allerdings Mühe, am ersten Todestag des Vaters mit dessen Exfreundin, die jetzt die Freundin des Grossvaters ist, den «Nidwaldner Muniflug» auszuprobieren. «Ich bi kän rächte Schwiizerbueb und wett au keine sii», singt er in seinem Couplet mit Fluch-Refrain. Generell fluchen sie gern und neigen zu rustikalen Spässen (Regie: Alexander Stoia), diese Urschweizer, wenn sie nicht gerade jassen oder schwören: Klaus Knuth als begriffsstutziger Stauffacher, Regula Esposito als axtschwingender Baumgarten, Fabienne Hadorn als feministisch angehauchte Schwester Walters und Tellen-Tochter, die somit endlich auch mal vorkommt. Beni Thurnheer moderiert sportiv, und Peter Fischli spielt einen Petrus im Jodelhimmel, dem alles ein wenig ausser Kontrolle gerät, hauptsächlich Walter Andreas Müller als seniler Attinghausen in Rollstuhl und Filzpantoffeln, der über die Bühne rollt und «Einig, einig, einig» ruft. Heiter, heiter, heiter!

Walter Tell, ein schillernder Schweizerknabe

5. Juni 2003, Basler Zeitung, von Andreas Klaeui

Wenn das Fernsehen Theater spielt: Viktor Giacobbo untersucht im Casinotheater Winterthur die Psyche des ersten und einzig originalen Tellensohns – […]

Bald nach dem Apfelschuss ist Wilhelm Tell gestorben. Sein Sohn Walter aber hadert weiter mit dem Schicksal – und ist der Held in der Satire «Walter Tell» im Casinotheater Winterthur.«Si hei der Wilhälm Täll ufgfüert im Löie z’Nottiswil», sang einst der Berner Troubadour Mani Matter. Viele Jahre später, da schafft es Tell gar bis ins ferne Winterthur. Allerdings wurde er in der Zwischenzeit von seinem Sohn quasi entmachtet: «Walter Tell» heisst die Aufführung nämlich, inszeniert hat sie Alexander Stoia. Das ursprüngliche Drama haben Patrick Frey und Hannes Glarner in eine «Dialektsatire» in fünf Akten verwandelt.

Benis Taktgefühl

Gesungen wird in der neusten Tell-Version auch: Mit «O lobet» eröffnen die Zürcher Kabarettistinnen Acapickels den Premierenabend am Dienstag – zuvor haben sie bereits als Sennen das prominente Publikum in den Saal getreiben. Dem Loblied auf den Tellensohn folgt eine Art Flamenco-Ballett des ebenfalls mit viel Prominenz ausgestatteten Ensembles. DRS-Sportmoderator Beni Thurnheer etwa beweist bereits in diesen ersten Minuten sein Taktgefühl. Nach dem Tänzchen gibt Thurnheer historische Hintergrundinformationen zur «Schweizer Nationalwaffe», der Armbrust. Und zum Sinn und Zweck des Abends: «Es isch ösi gmeinsami Vergangeheitsbewältigung.»

Und die geht so: Wilhelm Tell, gemäss offiziellen Geschichtsbüchern und Friedrich Schiller der wahre Hero, ist tot. Nach dem Apfelschuss und einer un-zimperlichen Begegnung mit Gessler ist der revolutionäre Nationalheld ertrunken, als er einem Mädchen das Leben retten wollte. Deshalb hat er wenig später auch den für uns alle prägenden Rütlischwur verpasst.

In Winterthur hat nun einer ein massives Vergangenheitsproblem: Tells Sohn Walter. Vom Apfelschuss traumatisiert, ist er ein neurotisches Weichei mit Apfelmus-Sucht und massivem Vaterkomplex. Da bringt auch die schöne Liebesdienerin Helvetia nichts, die er heiraten soll. Einzig der tote Vater müsste nochmals erscheinen, damit das Trauma ad personam verarbeitet werden könnte. Und weil es die Satire manchmal auch gut meint mit den Menschen, setzt sich Papa Tell im Himmel in den Sessellift und schwebt auf die Erde herab.

Patrick Frey und Hannes Glarner haben mit ihrer Satire eine wilde Version der Tell-Geschichte geschaffen. Das Ensemble mit unter anderen dem herzerwärmenden Viktor Giacobbo als Walter Tell, Mike Müller in der herausragenden Rolle des Nationalhelden, Sandra Studer als Helvetia sowie Autor Patrick Frey in der Rolle des Bösewichts Gessler hat offensichtlich Spass an der neuen alten Heldengeschichte.

Shakespeare und SVP

Und während die ersten beiden Akte etwas langatmig sind, ist die zweite Hälfte ein amüsantes Spektakel, bei dem sowohl Shakespeare zitiert wird als auch teils witzige, teils zotige Bezüge zu aktuellen helvetischen Themen wie der Pro Helvetia, den Überflugsrechten und der SVP eingeflochten werden.

Das erstaunlichste an der Tell-Satire ist aber, dass sie entgegen den Erwartungen eigentlich die Liebe zur Heimat feiert. Wenn die Acapickels eines ihrer Loblieder mit afrikanischen Rhythmen mischen oder Wilhelm Tell zum leidenschaftlichen Ausbruch zur Verteidigung seiner selbst und des Landes anhebt, wird man das Gefühl nicht los, dass die Helvetia auch Jahrhunderte nach Apfelschuss und Rütlischwur so fantasielos und trist nicht ist. Das ist wirkungsvolle Vergangenheitsbewältigung.

Weitere Vorstellungen: bis 28. Juni. Wegen grosser Nachfrage gibts Zusatzvorstellungen. Vorverkauf und Infos: www.casinotheater.ch / 052 260 58 58.

Apfelmus und Heimatliebe

, Berner Zeitung, von Madeleine Corbat

Bald nach dem Apfelschuss ist Wilhelm Tell gestorben. Sein Sohn Walter aber hadert weiter mit dem Schicksal – und ist […]

Die neue Rolle ist für Viktor Giacobbo ein Segen. Statt sich in stundenlanger Prozedur in Harry Hasler oder Debbie Mötteli zu verwandeln, genügt dieses Mal ein schlichtes Leinenhemd, das ihm bis zu den Knien reicht. Und wenn er dann noch in die klobigen Älpler-Sandalen schlüpft, gehört er definitiv zur wichtigsten Familie der Schweiz: Viktor Giacobbo ist in der neuen Produktion des Casinotheaters Winterthur Walter Tell – der mittlerweile etwas ältliche Sohn des Heldenvaters.

Im Gegensatz zum Vater aber hat es Walter nicht weit gebracht. Er wohnt noch immer bei der Mutter, löffelt Apfelmus und kreist um die immer gleiche traumatische Frage: Warum nur hat der Vater geschossen? Wo er doch vor dem Apfelschuss laut und deutlich sagte: «Mir schwimmt es vor den Augen.»

«So jedenfalls steht es bei Schiller», sagt Giacobbo in der Probenpause und schmunzelt. Denn viel ist sonst von Schillers Original nicht übrig geblieben: Die Autoren Hannes Glarner und Patrick Frey haben den Schweizer Nationalmythos gehörig entstaubt und schicken den armen Tellensohn in die Psychotherapie.

Begleitet wird er dabei von einer illustren Schar: Komiker Mike Müller ist Wilhelm Tell und TV-Moderatorin Sandra Studer die Helvetia, Schauspieler Walter Andreas Müller mimt Attinghausen, und die Acapickels sorgen für Musik. Allesamt Freunde oder langjährige Bühnenpartner von Viktor Giacobbo, die erst noch ein Heimspiel veranstalten: Die insgesamt 26 Mitwirkenden sind Aktionäre und Mitbesitzer des Casinotheaters.

Wendepunkt im vergangenen Jahr

Trotz der Premiere am 3. Juni wirkt Viktor Giacobbo entspannt wie schon lange nicht mehr. Er hat das letzte Jahr unbeschadet überstanden – eines der stressigsten Jahre seines Lebens: Der Komiker spielte die Hauptrolle im Kinofilm «Ernstfall in Havanna» und eröffnete mit seinen Mitstreitern das Casinotheater in Winterthur, für das er jahrelang gekämpft hatte. Gleichzeitig arbeitete er für «Viktors Spätprogramm», der Satire-Sendung, die er Ende 2002 nach 65 Folgen auslaufen liess. Irgendwann dazwischen feierte Giacobbo seinen 50. Geburtstag und trennte sich von seiner Freundin Nadja Sieger, 35, der Komikerin des Duos Ursus & Nadeschkin.

Wie verkraftet man ein solches Jahr? Viktor Giacobbo, der sonst nie um einen Kommentar verlegen ist, wird wortkarg, wenn es um seine eigene Befindlichkeit geht, und sagt lediglich: «Es war ein Wendepunkt, ein Abschied und ein Aufbruch zugleich.»

Sandra Studer, die seit langer Zeit mit dem Komiker befreundet ist, geht einen Schritt weiter: «Viktor ist ein Mensch mit einer sehr weichen Seite, bei ihm kann man sein Herz ausschütten. Seit der Druck des letzten Jahres von ihm gewichen ist, kommt diese Seite auch wieder zum Vorschein. Heute ist er der gesündere, entspanntere Viktor als früher.»

Urkomisch und todtraurig zugleich

Anmerken jedoch liess er sich damals nichts, im Gegenteil: Als seine Beziehung mit Nadja Sieger vor lauter Projekten und Terminen bereits am Ende war, trat er mit Ursus & Nadeschkin noch im Fernsehen auf – zur besten Sendezeit am Samstagabend. Und er imitierte Nadeschkin in der Lotto-Show «Benissimo». Zog sich ihren gelben, viel zu kurzen Overall an, montierte sich zottelige Rasta-Locken aufs Haupt, schminkte sich die Augen – und wirkte urkomisch und todtraurig zugleich. «Es war mitten in unserer Krise», sagt Giacobbo. «Aber die Komik hatten wir immer noch gemeinsam.»

Nadja Sieger ging nach ihrem Knie-Engagement auf Weltreise – allein. Und Viktor Giacobbo stürzte sich ins Abenteuer Casinotheater, dessen Verwaltungsrats-Präsident er ist – ausgerechnet er, der stets über die Abzocker-Methoden solch erlauchter Amtsinhaber hergezogen ist.

Giacobbo ist die Ironie des Schicksals nicht entgangen und sagt: «Ich bin wohl der katastrophalste VR-Präsident des Landes. Ich habe bis Ende letzten Jahres zum Nulltarif gearbeitet.» Trotzdem oder gerade deswegen sei das Theater auf gutem Kurs – ohne einen einzigen Franken der öffentlichen Hand notabene. «Wir haben sogar eine Dividende an die Aktionäre auszahlen können. Wenn auch bisher nur in Form von Theatertickets, betrug sie doch umgerechnet 6 Prozent.» Eine respektable Leistung angesichts des Jahresumsatzes von 7 Millionen und Umbaukosten von 15 Millionen Franken.

Und wie sieht der Tagesablauf eines solch erfolgreichen Verwaltungsrats-Präsidenten aus? Der Komiker wird ernst. Schliesslich geht es ums Geld und Vertrauen seiner Aktionäre. «Ich habe in dieser Funktion weder Büro noch Tagesablauf, nichts dergleichen, ausser ein paar Sitzungen pro Jahr. Im Tagesgeschäft sind andere am Drücker – allesamt Spezialisten und kein einziger Komiker.»

Neue Bühnen- und Filmpläne

Viel wichtiger sei ihm, zum Theater in enger Verbindung zu stehen. «Wenn ich als Künstler auftrete, merke ich genau, ob das Haus funktioniert oder nicht und ob die Richtung noch stimmt.»

So könne er sich «relativ unbekümmert» an neue Projekte wagen. Im Herbst will er mit Patrick Frey und Mike Müller zusammen als «Sickmen», als kranke Männer, auftreten, die nichts anderes interessiert als ihre Wehwehchen und Anfälle, die man vor der Segnung des Zeitlichen noch durchleiden könnte.

Im nächsten Jahr dann soll Drehbeginn des zweiten Kinofilms sein – wiederum unter Regie von Sabine Boss und mit Mike Müller an seiner Seite. «Es geht dabei ums Berlusconi-Italien, um die Geldwäscherei, den Schweizer Geheimdienst und verdeckte Ermittlungen», verrät Giacobbo.

Woher nur nimmt der Mann all seine Ideen – dies seit über 30 Jahren? Viktor Giacobbo wehrt ab. Häufig schreibe er zu zweit, neuerdings sogar zu dritt. «Ich brauche Menschen – ich brauche die Auseinandersetzung.»

«Viktor kann dominant sein»

Das bestätigt auch Mike Müller, langjähriger Bühnenpartner und Mitautor des neuen Bühnenstücks «Kranke Männer». «Mit Viktor kann man gut arbeiten und streiten, auch gut essen, wandern – und unheimlich gut blödeln.» Dabei komme es durchaus auch mal vor, dass er dominant werde, zuweilen sogar harsch. «Viktor merkt jedoch genau, wenn er in dieser Stimmung ist», sagt Mike Müller, «dann nimmt er sich jeweils wohltuend zurück.»

Ohne stilles Kämmerlein allerdings würden seine Ideen nicht sprudeln. «Ich muss mich zu Hause vergraben können», sagt der Komiker, «in diesem lauten und hektischen Beruf brauche ich manchmal das Alleinsein.» Dann feilt der gelernte Schriftsetzer an seinen Stücken und liest – für ihn ein wahrer Luxus. «Als es im letzten Jahr ganz strub zu- und herging, versuchte ich, meine Leseabende im Terminkalender einzutragen. Das hat leider nicht funktioniert.»

Gelassene Eltern

Seine unbändige Lust, andere zu karikieren, habe er schon als Bub entdeckt. «Und auch damals schon wurde mir schlagartig klar, wie brisant Satire sein kann», sagt Giacobbo und erzählt, wie er einst vor der Tante so sprach wie die Mutter, wenn sie über die Tante lästerte.

Im Allgemeinen aber nahmen es Mutter und Vater Giacobbo gelassen. «Sie liessen mich machen, förderten mich zwar nicht speziell, verhinderten aber auch nichts. Die besten Voraussetzungen für ein Kind.»

Der Vater war Arbeiter, die Mutter Angestellte in einem Damenmode-Geschäft und – welch Zufall: Der Laden befand sich gleich hinter dem Casinotheater. So wartete Klein Viktor Samstag für Samstag nur einen Steinwurf von seinem Lebenstraum entfernt, bis die Mutter jeweils fertig war mit der Arbeit.

Heute ist sie es, die auf den Sohn wartet, bis er von der Bühne kommt. «Sie ist 84 und erscheint immer noch im Deux-Pièces und mit tadelloser Frisur wie stets», erzählt der Komiker und fügt an: «Mit ihrem Sohn nimmt sie es dabei so gelassen wie eh und je. Und das finde ich cool.»

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Walters Vaterkomplex

«Walter Tell», das neue Stück des Casinotheaters Winterthur, feiert am 3. Juni Premiere. Viktor Giacobbo spielt darin den in die Jahre gekommenen Tellensohn, der an einem schweren Vaterkomplex leidet. Begleitet wird er dabei von der Crème de la Crème der Schweizer Unterhaltungsszene: unter anderem von Bernard Thurnheer, Patrick Frey, Sandra Studer, Walter Andreas Müller, Mike Müller, Ueli Beck und den Acapickels. Bis 28. Juni.

Viktors neues Programm

29. Mai 2003, Schweizer Familie, von Pia Seiler

Die neue Rolle ist für Viktor Giacobbo ein Segen. Statt sich in stundenlanger Prozedur in Harry Hasler oder Debbie Mötteli […]

Die Politkomödie ‚Ernstfall in Havanna‘ von Sabine Boss lässt auch deutsche Herzen höher schlagen: Am 13. Film-Kunst-Fest Schwerin, welches am 11. Mai zu Ende gegangen ist, wurde der Schweizer Kinohit (320’000 Eintritte) mit dem Publikumspreis ausgezeichnet, welcher mit 2’500 Euro dotiert ist.«Ernstfall in Havanna» mit Viktor Giacobbo in der Hauptrolle startete seine Erfolgskarriere in den Deutschschweizer Kinos im März 2002. In Deutschland wurde der von der Firma Vega Film Zürich produzierte Film erstmals im Januar 2003 anlässlich des ‚Max Ophüls-Preis‘ in Saarbrücken gezeigt. Sabine Boss hat ihren Film am Film-Kunst-Fest an der Ostseeküste persönlich vorgestellt und konnte dort die Begeisterung spüren, welche das  Schweriner Publikum dem Film entgegenbrachte: 96% der Zuschauer/innen haben ihm nach den zwei Vorstellungen die beste Note erteilt und ‚Ernstfall in Havanna‘  zum Publikumsliebling erkoren.

Publikumspreis für «Ernstfall in Havanna» in Schwerin (D)

12. Mai 2003, Schweizerisches Filmzentrum

Die Politkomödie ‚Ernstfall in Havanna‘ von Sabine Boss lässt auch deutsche Herzen höher schlagen: Am 13. Film-Kunst-Fest Schwerin, welches am […]

Im letzten Herbst feierte das Orchester Musikkollegium Winterthur einen grossen Erfolg, als es viermal im ausverkauften Casinotheater spielte mit Viktor Giacobbo als stänkerndem Kiffer Fredi Hinz. Der Erfolg veranlasste das Orchester und das Casino, das an sich konventionelle Programm mit Mozart, Vivaldi, Rossini und Strauss diese Woche noch viermal zu spielen – und wieder sind alle Vorstellungen ausverkauft. Musikkollegiums-Direktor Karl Bossert staunt: «Würden wir dasselbe Programm ohne Giacobbo spielen, kämen höchstens einmal 400 Leute.» Der Direktor des Musikkollegiums möchte gerne die Zusammenarbeit in dieser oder einer anderen Form weiterführen – nicht zuletzt wegen des Images und um ein neues, hoffentlich jüngeres Publikum anzusprechen.

Auch Theaterleiter Andrej Togni vom Casino ist des Lobes voll über die Zusammenarbeit: «Wir sind begeistert vom Publikumsmix und führen Gespräche über eine Fortsetzung. Es wäre schön, wenn sich daraus jedes Jahr ein gemeinsames Projekt ergäbe.»

Kiffer Giacobbo vernebelt Vivaldi

28. Januar 2003, Tages-Anzeiger, von mgm

Im letzten Herbst feierte das Orchester Musikkollegium Winterthur einen grossen Erfolg, als es viermal im ausverkauften Casinotheater spielte mit Viktor […]

Ueli Maurer, Roger Schawinski, Christiane Brunner und Jean Ziegler gibt es nicht mehr. Als Figuren bei «Viktors Spätprogramm». Die Verspotteten trauern; und wollen ihre Doubles selber weiterbeschäftigen.

Gestern Abend haben sie Schluss gemacht, sie hatten keine Wahl. Ihr Arbeitgeber Viktor Giacobbo hat genug von ihnen. Fredi Hinz, Debbie Mötteli, Rajiv Prasad und all die anderen sind suspendiert. Und was ist mit den Kopien Prominenter? Ihr Schicksal könnten die Parodierten selber lenken.

Wofür würden Sie Ihr Double einsetzen?
Ueli Maurer: «Mein Double sollte FDP-Präsident werden, das gäbe dieser Partei den nötigen Schwung.»

Roger Schawinski: «Mein Double wünsche ich mir als Nachfolger von Fernsehdirektor Peter Schellenberg, weil sie mich selber dort nicht wollen.»

Jean Ziegler: «Das Double schicke ich zur Schweizerischen Bankiervereinigung. Die reissen es in Stücke.»

Christiane Brunner: «Oh, ein Double wäre wunderbar. Ich würde es überall dorthin schicken, wo das Original es nicht hinschafft.»

Samuel Schmid: «Als Sportminister schicke ich es an die unzähligen Apéros, Cocktails, Arbeitsessen und Diners, die mir zunehmend auf dem Magen liegen.»

Peter Bichsel: «Ich möchte gerne einmal selber das Double sein und mich als Peter Bichsel verkleiden.»

Vreni Spoerry: «Ein Double brauche ich nicht. Man soll sich jeder Situation im Leben selber stellen.» Was nicht heisst, dass sie ihre Doppelgängerin nicht geliebt hätte. «Ein Markenzeichen» sei es, parodiert zu werden. Eine Auszeichnung, meint sie, «für Menschen mit Ecken und Kanten». Die SP-Präsidentin Christiane Brunner spricht gar von einem «Bonus der Parodierten».

Alle mögen sie ihre satirischen Doppelgänger. Fühlen sich geschmeichelt, parodiert zu werden. Bedauern das Ende der Sendung. Bezeichnen die schauspielerischen Leistungen als «hervorragend», «grandios», «einmalig». Leiten von ihren Imitatoren gar Handlungsanweisungen ab: Seit ihrem Double hinten einmal das T-Shirt zum Jacket herausgeschaut habe, achte sie beim Sitzen immer auf ihre Kleidung, sagt Christiane Brunner.

Sich im wandelnden Spiegel gesehen zu haben, findet Jean Ziegler «unglaublich» und rühmt seinen Darsteller Walter Andreas Müller. Und Peter Bichsel rühmt Mike Müller, der ihn imitierte.

Giacobbo schuf eine Satire, die vielen gut und niemandem richtig weh tat. Fast niemandem. Peter Bichsel gesteht, die Parodie sei ihm «unter die Haut» gegangen. Schon als Kind habe man ihn seiner näselnden Stimme wegen ausgelacht. «Und ich habe das Gefühl, ich sei hübscher als mein Doppelgänger.» Ueli Maurer hat sich mit Giacobbos Ueli versöhnt. Anfangs hatte es ihn verletzt, dass Giacobbo ihn als Blochers Trottel darstellte, auf der Strasse riefen ihm Unbekannte Beleidigendes nach, seine Kinder wurden in der Schule gehänselt. Mit der Zeit, als der SVP-Präsident an Statur und Einfluss gewann, konnte ihm sein Double nicht mehr viel anhaben. «In letzter Zeit hat es mir wohl sogar genützt», sagt Maurer.

Die Grosszügigkeit der Karikierten hängt weniger mit Humor als vielmehr mit Kalkül zusammen: Lieber karikiert werden als ignoriert. Jede Bühne ist gut genug, jeder Auftritt ist zu nutzen. Erst recht beim allseits beliebten Giacobbo.

Peter Bodenmann, der wortgewaltige Ex-Präsident der SP, hält den Humor giacobboscher Ausprägung für systembedingt. «Böser ging es im Staatsfernsehen nicht.» Spott sei in der Schweiz immer «ausgewogen, angemessen, zivilisiert». Unter diesen Vorzeichen habe Giacobbo seine Arbeit sehr gut gemacht. Einmal war auch Bodenmann in der Sendung, brillant wie immer. Wie Christoph Blocher. Wie Ruth Dreifuss.

Eine Einladung von Viktor war für viele sogar fast attraktiver als eine Einladung in die «Arena». Lustiger sei es gewesen und der Wein besser, sagt Jean Ziegler. FDP-Nationalrätin Christine Egerszegi fühlte sich wohl bei Giacobbo. Am liebsten wäre sie in einem Sketch aufgetreten, als Debbie Mötteli. Sie habe Giacobbo einmal darum gebeten, aber leider nie ihre Chance bekommen. Rekordhalter mit vier Auftritten war Ernst Mühlemann. Giacobbo und er hätten halt «ein ungebrochenes Verhältnis», von einer Beziehungskorruption will Mühlemann nicht sprechen. Aber von Neid. Grossem Neid der nicht Parodierten, nicht Eingeladenen.
Brunner hat sich nicht getraut

Es gab aber auch solche, die bewusst nicht hingingen. Vreni Spoerry zum Beispiel. Es sei ein Unterschied, ob sie in der Sendung als gelungene Karikatur vorkomme oder sich als Gast selbst zum Lachobjekt mache, sagt sie. Auch Christiane Brunner nahm nie eine Einladung an: «Ich habe mich nicht getraut.» Aus Angst, dem Satiriker auf Schweizerdeutsch sprachlich nicht gewachsen zu sein.

Wer in die Sendung gehen durfte, tat dies mit einer Mischung aus Freude und Angst. Verständlich: Die Absturzgefahr war gross. Es sei für Gäste die allerschwierigste Sendung gewesen, sagt Mühlemann. Viktors Sendung war immer live, während die «Arena» beispielsweise voraufgezeichnet wird. Bei Giacobbo wussten die Gäste nie, was auf sie zukommen würde. Ausserdem waren die Gespräche sehr kurz, drei bis sechs Minuten nur. Wenns nicht von Anfang an lief, war das Gespräch gelaufen.
Wählt Doubles in die Politik

Es gab einige Abstürze. Manche Gäste tappten in die selbst gestellte Falle und versuchten, den Satiriker zu imitieren. Giacobbo wollte seine Gäste nicht vorführen, auf fast jedes Gespräch war er bestens vorbereitet, der geistreiche Schlagabtausch hat ihn interessiert. Lächerlich machten sich die schlechten Gäste selber. Er habe «die Grenze des Anstandes» nie überschritten, lobt ihn die gutmütige SVP-Nationalrätin Ursula Haller. Und er habe der Politik einen besseren Stellenwert in der Öffentlichkeit geschaffen. Wer bei Giacobbo war, konnte sich grosser Resonanz sicher sein. Ein halber Satz bei Viktor habe 20 dröge Parlamentsvoten aufgewogen, sagt man im Bundeshaus.
Die logische Folge, denkt man sich, wäre künftig das Naheliegendste: die Wahl der Doubles in die Politik.

Viktor Giacobbo verlässt nach 13 Jahren das Fernsehen und seine Figuren.

Blumen für einen nicht so Bösen

12. Dezember 2002, Tages-Anzeiger, von Verena Vonarburg

Ueli Maurer, Roger Schawinski, Christiane Brunner und Jean Ziegler gibt es nicht mehr. Als Figuren bei «Viktors Spätprogramm». Die Verspotteten […]

Viktor Giacobbo über dreizehn Jahre Fernsehunterhaltung

Am kommenden Mittwoch ist «Viktors Spätprogramm» zum letzten Mal zu sehen. Dreizehn Jahre lang prägte diese Sendung die Deutschschweizer Vorstellung von Fernsehsatire. Gerda Wurzenberger hat sich mit Viktor Giacobbo darüber unterhalten.
Viktor Giacobbo, Sie haben dreizehn Jahre lang eine Satiresendung für SF DRS gemacht. Sie sind so etwas wie die personifizierte Satire dieses Senders. Was waren die Bedingungen?
Giacobbo: Sie meinen, ob wir eine spezielle Art von Programm machen mussten? Das war überhaupt nicht so. Wir sind angetreten mit unserer Art von Humor, mit unserer Vorstellung von Unterhaltung. Die Sendung hat mit mir bzw. mit unserem Team zu tun und nicht mit dem Schweizer Fernsehen. Uns hat niemand dreingeredet.
Das Programm von SF DRS hat eine ganz bestimmte Ausstrahlung. Gewisse Dinge sind möglich, andere nicht. «Viktors Spätprogramm» hat stattgefunden. Was heisst das?
Ich habe es immer bedauert, dass es nicht mehr Fernsehsatire gibt. Aber ich bin verantwortlich für diese eine Sendung und sonst nichts. Wir waren einfach die Ersten, die die Chance einer satirischen Sendung im Hauptabendprogramm bekamen. Und diese haben wir genutzt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Nun ist aber Schluss mit «Viktors Spätprogramm». Das hat sich ja schon länger abgezeichnet. Was sind die Gründe?
Ich finde, dreizehn Jahre sind eine wahnsinnig lange Zeit im Fernsehen. Ich habe gemerkt, dass es für mich zur Routine wird. Und zum Stress: Während der Dreharbeiten zu «Ernstfall in Havanna» musste ich fürs «Spätprogramm» extra aus Santo Domingo anreisen. Den nächsten Film möchte ich nicht mehr unter diesem Zeitdruck machen.
Hat das Ende von «Viktors Spätprogramm» auch damit zu tun, dass Sie an Grenzen gestossen sind? So quasi: Wir haben alles, was wir wollten, ausprobiert?
Das spielt auch eine Rolle, natürlich. Man ist halt von gewissen formalen Bedingungen abhängig. Wir hatten beispielsweise die besten Imitatoren, die es zurzeit in der Schweiz gibt. Aber auch sie können nicht alle Figuren spielen. Darum hatten wir oft keine Wahl, konnten z. B. keine Couchepin-Nummer machen, wenn Couchepin aktuell war, oder wir haben dafür andere Formen finden müssen. Sonst haben wir in unserem Rahmen durchaus Experimente gewagt. Etwa mein Entschluss, als Kunstfigur zu moderieren – als Debbie Mötteli oder Rajiv. Das ist extrem absturzgefährdet in einer Live-Sendung.
Trotz den vielen Figuren, die Sie gespielt haben, hat man das Gefühl, Viktor Giacobbo sei doch immer derselbe. Hatten Sie nie den Wunsch, einmal ein ganz anderer zu sein?
Eine originelle Frage insofern, als ich meistens das Gegenteil höre. Ich war Redaktor, Autor, Moderator, Schauspieler, Imitator. Ich habe Theater gemacht, Live-Komik, versteckte Komik . . . mehr kann ich nicht. Man hat halt einfach seinen Stil. Dieser Stil bindet ja auch das Publikum. Christoph Marthaler hat seinen Stil, ein Musiker wie Polo Hofer hat seinen Stil, und so haben auch alle Kabarettisten ihren Stil.
Politiker und Politikerinnen waren die wichtigsten Protagonisten Ihrer Sendung. Sind Sie ein politischer Mensch?
Ja, natürlich, ich war immer schon politisch engagiert – persönlich. In letzter Zeit vor allem in Sachfragen, weniger parteipolitisch. Ich muss mich jeden Tag informieren. Ich brauche das. Politik ist ja auch ein Grundstoff der Satire – ein Grundstoff, der uns zur Unterhaltung dient, da muss man sich keine Illusionen machen. Satire ist eine Unterhaltungsform, die die Realität mit einbezieht und in der man den eigenen Standpunkt darlegen kann.
Wenn Sie Politiker als Gäste einladen, bieten Sie diesen dann nicht eine günstige Plattform?
Na und? Wenn es unterhaltsam ist, warum nicht? Auf dieser Plattform zeigt ein Politiker oft mehr von sich, als wenn man ihm die ultimativ kritische Frage stellt. Man kann einem Blocher oder einem Bodenmann keine neue Frage stellen. Wenn sie aber versuchen, lustig zu sein, oder wenn sie über etwas anderes reden als ihr Kernthema, dann ist das häufig aufschlussreicher.
Christoph Blocher war für mich ein Gegenbeispiel. Er hat es in Ihrer Sendung geschafft, immer wieder auf seine Themen zu kommen.
Ja, natürlich. Aber das ist doch auch eine Erkenntnis. Ich habe Blocher beispielsweise auf seine Methode angesprochen, immer dann, wenn er etwas nicht wahrhaben will, «vo dem weiss i nüt!» zu sagen. Und gleich darauf hat er es wieder gesagt! Das muss man dann eben heraushören. Ich wurde jahrelang gefragt: Warum ladet ihr nicht den Blocher ein? Und ich habe geantwortet: Weil ich weiss, wie es ist, wenn der Blocher kommt. Das kann man im Voraus sagen.
Warum haben Sie ihn trotzdem eingeladen?
Ich wollte es einfach versuchen. Ganz spontan.
Wie lautet Ihr Fazit? Waren Sie zufrieden?
Ja, es war ein schnelles und amüsantes Gespräch. Aber es war von vornherein klar: Die Linken werden es schlimm finden, dass der jetzt wieder ein Forum bekommt. Aber diese Leute überlegen sich nicht, dass sie halt einmal selber dieses Forum besetzen müssten. Ich wünschte mir, es gäbe auf der linken Seite jemanden, der so zu fighten versteht wie ein Blocher.
Warum wollten Sie überhaupt Politiker in Ihrer Sendung haben?
Aus Unterhaltungsgründen. Weil wir politische Unterhaltung machen. Ich bin übrigens der Ansicht, dass ich nicht immer das letzte Wort haben muss. Ich lade die Leute nicht ein, um zu zeigen, wie schlagfertig ich bin. Ich hoffe, dass meine Gäste punkten, dass sie Applaus holen. Ich will nicht der Hauptakteur sein.
Ist es schwerer, linke Politiker zu provozieren?
Nein, im Gegenteil, leichter. Weil eben viele Linke oder Progressive das Gefühl haben, sie hätten ein Recht auf Satireverschonung. Sie glauben, Satire sei immer nur gegen die Rechten. Wir haben nie Rücksicht genommen auf politische Vorgaben.
Wie waren die Reaktionen auf die Verkündigung des Endes von «Viktors Spätprogramm»?
Viele Leute bedauern es. Aber das muss man alles auch relativieren. Es ist einfach eine Sendung, die zu Ende geht. Und wir hören auf, obwohl wir sehr erfolgreich sind. Aber: Wir haben nie auf Quoten gesetzt. Als Harry Hasler richtig bekannt wurde, hab ich ihn praktisch nicht mehr gespielt. Dabei hätten wir damit billig Quoten machen können. Ganz billig.
Das wäre halt eher kurzfristig gedacht gewesen.
Ja, natürlich. Aber Fernsehen wird nun mal nicht für die Ewigkeit gemacht. Im Gegensatz zur gehobenen E-Kultur, wo Ewigkeit schon im Exposé lauert.

Kein linkes Recht auf Satire-Verschonung

6. Dezember 2002, Neue Zürcher Zeitung, von Gerda Wurzenberger

Viktor Giacobbo über dreizehn Jahre Fernsehunterhaltung Am kommenden Mittwoch ist «Viktors Spätprogramm» zum letzten Mal zu sehen. Dreizehn Jahre lang […]

Liegt’s an der Brille? Am etwas biederen Aussehen? Oder am schüchternen Auftreten, das nur scheinbar den hinterlistigen Witz verbirgt? Der Vergleich mit Woody Allen mag Viktor Giacobbo, dem Deutschschweizer Satiriker vom Dienst, wohl selber etwas hoch gegriffen erscheinen, eine Ähnlichkeit ist aber tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Selbst die Eigenheit, sich unter Verleugnung jeder Intelligenz gerne als trotteligen Versager hinzustellen, teilen der weltberühmte Komiker aus New York und seine Taschenausgabe aus Winterthur. Womit Giacobbo den illustren Amerikaner aber mühelos in den Schatten stellt, ist seine Verwandlungskunst. Seine zahlreichen Alter Ego sind schon beinahe beliebter als er selber. Oder mindestens bekannter, denn wer dieser Viktor Giacobbo wirklich ist, wissen wohl nur wenige.

Rosmarie Pfluger hat den Wandelbaren für die 3sat-Reihe „Zeitgenossen“ porträtiert. „Viktor Giacobbo: Die Schweizer Lachnummer eins“ heisst ihre halbstündige Dokumentation, die den empfindsamen Komiker auch über unsere Landesgrenzen hinaus bekannter machen wird. Der Titel lässt erahnen, dass es hier weniger um den Privatmann, seine Biographie oder gar seine Überzeugungen geht als um die öffentliche Figur, jenen sehr bewusst gestalteten Charakter, der seit nunmehr zwölf Jahren mit „Viktors Spätprogramm“ seine Bewunderer vor den Bildschirmen vereint.

Giacobbos Medienpräsenz ist gerade jetzt stärker denn je: Erst kürzlich hat er ja als Drehbuch-Co-Autor und Hauptdarsteller von „Ernstfall in Havanna“ erstmals Filmluft geschnuppert, und rund um die Eröffnung des Casinotheaters Winterthur sorgte er auch als Kulturunternehmer für viel Publicity. Fast machte es den Eindruck, als laufe der routinierte Vielarbeiter Gefahr, im Stress seine Kreativität zu verlieren. In diversen Publikationen wussten die Kritiker jedenfalls plötzlich an seinen Sendungen herumzumäkeln. Es fehle der Biss, hiess es, und die jahrelange Bildschirmpräsenz habe den Satiriker ausgelaugt. Ein Urteil, das sich allerdings (noch) nicht in den Einschaltquoten niederschlägt. Eine gewisse Ermüdung wäre aber verständlich, wenn man bedenkt, dass Giacobbo nicht nur Fernsehen, Film und Theaterbau unter einen Hut bringen musste, sondern gleichzeitig auch Objekt von Pflugers Dreharbeiten war.

Sie gibt einen sehr kurzweiligen Einblick in Giacobbos Schaffen. In fast zu knapp gehaltenen Einspielungen passieren Teile seines Werks Revue: Die Parodierungen von Ueli Maurer und Roger Schawinski, der rasend radebrechende Rajiv, die trottelige Debbie Mötteli und der stets sedierte Freddy Hinz zeigen den Imitator (und seine Maskenbildnerin Hedvika Salzmann) in Höchstform. Wer Viktors Witz noch nicht kennt, dem wird hier der Mund wässrig gemacht. Die raschen Schnitte vermitteln Spannung und steigern die (unbefriedigte) Lust auf mehr.

Deutlich wird dann die starke Position des Entertainers anhand seiner illustren Gästeliste: Moritz Leuenberger und Ruth Dreifuss sind da ebenso anzutreffen wie Thomas Borer oder die immerzu lächelnde Uriella. Natürlich hat Pfluger den „Jungschauspieler“ auch während der Dreharbeiten zu „Ernstfall in Havanna“ besucht und Crewmitglieder über den prominenten Protagonisten befragt. Sie bestätigen, was bereits über den Künstler bekannt ist: dass er überaus freundlich, sehr bescheiden und dabei doch ein durchaus geltungsbewusster Bühnenprofi sei. Ernsthafte Konflikte scheint es bei der Arbeit mit ihm kaum je zu geben. Wer auch immer über den beliebten Parodisten Auskunft gibt, beschreibt ihn als „Everybody’s Darling“.

Dass auch ein Viktor Giacobbo ab und zu an seine Grenzen stösst, formuliert schliesslich der Porträtierte selber, wenn er kurz nach der Eröffnung des Casinotheaters gesteht, in den vergangenen Monaten mitunter wohl unausstehlich gewesen zu sein. So viel Privates ist sonst selten aus ihm herauszukitzeln, und auch die Bilder von seinem Wohnort – steht er da vor seiner Bleibe? – sind in diesem Fall fast schon „Homestory“-tauglich. Natürlich schafft es der Satiriker auch hier mühelos, nichts allzu Persönliches von sich preiszugeben. Seine zuvorkommende Höflichkeit lässt keinen Raum für angriffige Fragen. Wie bei so viel Friedfertigkeit der satirische Witz seiner Sketches gedeihen kann, bleibt im Dunkeln. Da und dort wäre es angezeigt gewesen, etwas provokativer nachzuhaken, die Toleranzgrenzen dieses immer so überlegen wirkenden Mannes abzustecken. Dazu bedarf es ja keiner Schnüffeleien in der Privatsphäre. Pflugers Porträt verbleibt etwas zu respektvoll an der glatten Oberfläche, aber immerhin: Diese wird auf äusserst unterhaltsame Weise zum Glänzen gebracht.

Respektvolle Annäherung an Viktor Giacobbo

3. Juni 2002, Neue Zürcher Zeitung, von ns

Liegt’s an der Brille? Am etwas biederen Aussehen? Oder am schüchternen Auftreten, das nur scheinbar den hinterlistigen Witz verbirgt? Der […]

Zwölf Jahre „Viktors Spätprogramm“: Das reicht. Viktor Giacobbo muss sich neu erfinden.

Freund Thomas und ich sassen vor dem Fernseher, am vorletzten Mittwoch, tranken Bier und schauten Giacobbo. So, wie wir das immer tun, wenn „Viktors Spätprogramm“ läuft. Der kurze Mann mit den langen Ohren, ungelenk, wie wir ihn lieben, stakste an den Bühnenrand im Zürcher Kaufleuten, von wo seine Sendung alle paar Wochen live ausgestrahlt wird, bleckte seine Zähne, die wir so lieben, grinste sein Grinsen, das wir so lieben, und sagte zum Publikum: „Sie sehen heute so extrem nach Spassgesellschaft aus.“
Thomas setzte das Bier ab und sagte: „Da ist was faul heute.“ Ich sagte: „Kommt schon noch.“
Nach ein paar Zoten über „Blick“ und Borer, Schumacher und Wolfhalden, Kirche und Kinder ging Giacobbo an die Bar zu Patrick Frey, wie er es in jeder Sendung tut. Frey, mit dunkel umzäunter Brille, in seiner Rolle des Herrn Dr. Stolte-Benrath, Experte für alles, sagte seinen Text, machte aus Nahost einen grossen Zoo, sprach von „artgerechter Haltung der Palästinenser“, vom „Alpha-Tier Arafat“ und dessen israelischen Wärtern und wollte auch sonst so gemein sein, wie er aussieht. Doch statt guter Satire kam nur gute Gesinnung heraus. Zudem stotterte er. Es lief nicht. Auch Giacobbo stotterte. Sein Grinsen gerann ihm zur Fratze. Die Fratze sagte: „Herr Stolte-Benrath, heute sind Sie gar nicht so lustig wie sonst.“
Thomas sagte: „Wo er Recht hat.“ Ich: „Irgendetwas ist faul heute.“
Dann folgte, wie immer an der Stelle, der Auftritt der Mitspieler fürs Interview: Ernst Mühlemann als Ex-FDP-Nationalrat und „SonntagsBlick“-Autor, Roger Köppel als „Weltwoche“-Chefredaktor und Viktor Giacobbo in der schwächsten seiner vielen Rollen, als Viktor Giacobbo. Das versprach mehr Zunder als beim letzten Mal, als die ebenso aalglatte wie humorfreie freisinnige Anstandsdame Maya Lalive D’Epinay und ein vierschrötiger Ostschweizer Bauer namens Elmar Bigger, angeblich ein SVP-Nationalrat, ein Mann jedenfalls, der keinerlei Hilfe bedarf, um sich zu blamieren, auf den Sesseln sassen.
Köppel, Mühlemann, Giacobbo lächelten. Man kennt sich. Viktor ist mit Roger und Ernst per du, Ernst war schon öfter da. Eine geheime Übereinkunft sprach aus den Gesichtern: Gell, wir tun einander nicht weh. Aber ein bisschen so aussehen lassen wollen wirs schon. Und darum sagte Ernst mit gewichtiger Miene: „Deine Sendung ist ja das gefährlichste Minenfeld der Schweizer Medienlandschaft.“ Prompt wollte Viktor kritisch werden, stellte Fragen zur Macht der Medien, zu Borer, Ringier und Deiss. Ernst parierte mit einer kollegialen Pointe: „Viktor, ich habe gehört, du warst stellvertretender Botschafter in Havanna. Jetzt wirst du wahrscheinlich Botschafter in Berlin.“ Viktor sagte: „Das lassen wir jetzt mal.“
„Ach, nein, so geht das nicht“, sagte Thomas. „Warum nicht?“, fragte ich. „Weil alle, die bei Giacobbo sind, versuchen, Giacobbo zu sein.“
Am Ende der Unkorrektheit Da hatte Thomas Recht. Er hat immer Recht. Bei ihm, Giacobbo, dem Satiriker, dem Zyniker, der nichts ernst nimmt, da darf jeder lustig und sympathisch sein, heisse er Giezendanner, Mühlemann oder Ziegler. Denn der Viktor ist ja selber so ein Spassvogel. Und werden seine Fragen mal scharf, so heisst es: Saletti zäme! Viktor, du bist mir einer! Was du da wieder fragst! So löst sich alles auf in wohlig-warmer Duzbrüderschaft und Uneigentlichkeit. Denn Giacobbo fehlt die Souveränität eines Harald Schmidt, der mit Höflichkeit Distanz zu seinen Gästen schafft. Es fehlt ihm aber auch die kalte Kompetenz des ARD-Polit-Talkmasters Michel Friedman, der durch echte Aggression sein Gegenüber herauszufordern versteht.
Ich sagte: „Der soll jetzt mal einen Sketch bringen.“ Thomas: „Genau.“
Und es kam ein Sketch. Einer über die Krise des Schweizer Fussballs. Es traten darin auf: Raimondo Ponte als Fachidiot, ein Spielervermittler namens Jack Boppeler mit dem Berufsethos eines Sklavenhändlers und ein schwarzafrikanischer Despot mit Leopardenfellmütze und Akzentfranzösisch, der den 1. FC Affoltern gekauft hatte, um ihn in die Nationalliga A zu führen. Die Dialoge boten durchaus ein paar hübsche rassistische Scherze. Trotzdem lachte Thomas nicht. Ich auch nicht. Ich sagte zu Thomas: „Du lachst ja gar nicht.“ Er sagte: „Du auch nicht.“ Wir fingen an, noch während der Sketch lief, uns alte Giacobbos zu erzählen. Bessere. „Da gabs doch mal den“, sagte ich, „wo Ueli Maurer einen Eignungstest mit jungen Neonazis durchführt, die der SVP beitreten wollen. Super.“ „Fredi Hinz vor der Antirassismus-Kommission, der war gut“, warf Thomas ein. „Oder dieser Italoschweizer, der dauernd sagt „Kasche magge de gagge“.“ Schöne Erinnerungen.
Die Schweiz verdankt Giacobbo viel. Er hat mit seinen Figuren den schlechten Geschmack humorfähig gemacht. Das will etwas heissen in einem Land, das Frank Baumanns „Ventil“ nicht verkraftete. Harry Hasler, Fredi Hinz, der Inder Rajiv, Debbie Möteli – sie waren helvetische Pioniere des Anti-PC, der Pointen wider die politische Korrektheit. Aber die Mission ist längst erfüllt, die Botschaft, das nichts vor dem Zugriff der Satire geschützt werden darf, lange schon verstanden. Über Ausländer, Hitler, Frisösen, Behinderte, Volksparteiler, Secondos, Uriella und andere Minder- und Mehrheiten lacht heute jeder Schrebergärtner. Es gibt keine politische Korrektheit mehr, ergo auch keine Unkorrektheit.
Thomas fragte: „Wie lange macht der das eigentlich schon?“ Ich: „Zwölf Jahre.“ Thomas: „Das ist lang.“
Falsche Vorwürfe Giacobbo, der gerne als „Hofnarr der Schweiz“ apostrophiert wird, ist zu ihrem Maskottchen geworden. Alle haben ihn gern. Die „NZZ am Sonntag“ widmete ihm, pünktlich zur Eröffnung seines neuen Casinotheaters in Winterthur, eine Laudatio auf eineinhalb Seiten.
Und wird er doch einmal kritisiert, so sind die Vorwürfe seltsam: Er sei autoritär, dominant, liest man. Gegenargument: Wen kümmerts? Wen gehts etwas an? Er dulde keine Götter neben sich, fördere keine Talente. Gegenargument: Na und? Der Mann ist kein Entwicklungshelfer. Er pflege den Filz, seine Truppe sei fascht e Familie, er monopolisiere den Schweizer Humor. Gegenargument: Das mag schon sein („Spätprogramm“-Autor Markus Köbeli ist der Lebenspartner von „Spätprogramm“-Darstellerin Birgit Steinegger; Ex- oder Noch-Giacobbo-Lebenspartnerin Nadja Sieger trat mit Ursus & Nadeschkin im „Spätprogramm“-Showblock auf; „Spätprogramm“-Stammgast Patrick Frey, Ex-„Kabarett Götterspass“, ist auch Stammgast in der Fernseh-Soap „Lüthi und Blanc“, wo Katja Früh zuweilen das Drehbuch schreibt, die auch bei „Götterspass“, wo auch Beat Schlatter mittat, der auch in „Lüthi und Blanc“ auftritt, Regie führte; Patrick Frey ist gemeinsam mit Giacobbo und anderen Mitinitiant des Casinotheaters Winterthur; „Spätprogramm“-Darsteller Mike Müller tritt auch im Giacobbo-Film „Ernstfall in Havanna“ auf, für den Domenico Blass, der auch fürs „Spätprogramm“ Dialoge erfindet, das Drehbuch schrieb) – aber solang das Resultat stimmt, warum nicht? Die Schweiz ist klein, ihre ganze Wirtschaft ist auf Filz gebaut, warum also nicht auch die Satire.
Die Wahrheit ist einfacher: Giacobbo tut, was er tut, nicht mehr gut. Und deshalb erklären wir, Freund Thomas und ich, den Mittwoch, 17. April 2002, zum Todestag von „Viktors Spätprogramm“, der mutmasslich erfolgreichsten Schweizer Satiresendung aller Zeiten, eine halbe Million Zuschauer pro Sendung, auch Massen können irren. Zwölf Jahre, Viktor: Das Dutzend ist voll. Lass gut sein jetzt, es war schön mit dir. Aber es ist vorbei. Du warst Harry und Fredi, warst Rajiv und Debbie – nun geh und erfinde dich neu. Das ist doch dein Beruf.
Viktor Giacobbo in der schwächsten seiner vielen Rollen: als Viktor Giacobbo

Guido Egli ist „Magazin“-Redaktor (guido.egli@dasmagazin.ch).

Es ist vorbei, Viktor

27. April 2002, Das Magazin, von Guido Mingels

Zwölf Jahre „Viktors Spätprogramm“: Das reicht. Viktor Giacobbo muss sich neu erfinden. Freund Thomas und ich sassen vor dem Fernseher, […]

Satiriker Viktor Giacobbo gibt einen Unternehmer – die neueste Rolle ist vielleicht seine besteAuch mancher Verwaltungsratspräsident hat klein angefangen. Viktor Giacobbo zum Beispiel begann als Securitaswächter. Den gab er bei Firmenjubiläen und Banketten so überzeugend, dass ihm die Gäste bei der Eingangskontrolle freiwillig ihre Handtaschen zur Inspektion überliessen. Erst wenn der Mann allzu intime Fragen zu deren Inhalt stellte, dämmerte den Leuten, dass das bereits Bestandteil der Show war.

Die Truppe, die solcherart für Verunsicherung sorgte und den Begriff des Theaters keck ausweitete, nannte sich «Harul’s Top Service» und wurde als parodistischer Stosstrupp auch als «die verrückten Kellner» bekannt.

Kellner – das war für Giacobbo denn auch die nächsthöhere Stufe. Dann wechselte er, zunächst als satirischer Schlusspunkt der TV-Sendung «Medienkritik», auf den Bildschirm. Nach zwei Jahren bekam er seine eigene Show. Heute präsentiert er regelmässig «Viktors Spätprogramm», schreibt Kolumnen, ist im Kino in «Ernstfall in Havanna» zu sehen und moderiert private Galas. Sein Repertoire besteht mittlerweile aus mehr als zehn Figuren, Harry Hasler, Fredi Hinz, Debbie Mötteli, Rajiv & Co.

Jetzt hat sich Giacobbo seine grösste Rolle angelacht: Knapp 15 Jahre nach seinem Debüt als Securitaswächter präsidiert er den Verwaltungsrat der Casino Theater AG. Er ist auf dem Gipfel seiner Karriere angelangt.

Natürlich sieht das ein Satiriker anders. «VR-Präsident ist ganz im Gegenteil der Tiefpunkt meiner Karriere», sagt Giacobbo. «Das ist ja heute der meistgeschimpfte Job im Lande. Man braucht sich bloss so die Berufskollegen anzuschauen…»

Immerhin steht er einem Unternehmen der innovativen Art vor. Mit dem Casinotheater Winterthur, einem Haus für Kleinkunst, Kabarett und Komödie, erhält das Lachen eine ständige Adresse. Die Parodie, diese Streunerin, bekommt eine feste Bleibe. Die Satire, dieses flatterhafte Wesen, wird sesshaft.

Und die Künstler werden Aktionäre. Seit Giacobbo sein Projekt lanciert hat, herrscht in der Branche Generalmobil- machung. An die fünfzig Klein- und andere Künstler haben je mindestens 10 000 Franken investiert, Initiant Giacobbo selber «einen sechsstelligen Betrag unter einer halben Million».

Schnell fügt er bei: «Die Menge der erworbenen Aktien hat nichts zu tun mit der Präsenz auf der Bühne.» Also nix da mit Unterhaltungsmafia. Spricht jetzt doch der Satiriker aus dem Verwaltungsratspräsidenten?

Nein, umgekehrt: Aus dem Satiriker spricht der Unternehmer. «Wir wirtschaften auf seriösem Boden, wir haben sehr vorsichtig kalkuliert», versichert der VR-Präsident. «Bei einem Umbaubudget von 13,5 Millionen haben wir heute nur null Komma etwas Prozent Mehrausgaben.» Nicht nur im Weltverbessern arbeiten Satiriker offenbar präziser als viele kommunale Bauherren und Politiker.

Winterthur als neue Humordestination wird die Lachgeografie des Landes ernsthaft verändern. Denn heute denkt ein Unternehmer wenn nicht global, so doch überregional. Giacobbo rechnet mit einem Einzugsgebiet, das bis Bodensee und Rhein reicht, bis St. Gallen und Schaffhausen, und die Stadt Zürich mit einschliesst: «Die Zürcher kommen immer gern nach Winterthur, wenn hier was los ist.»

Dabei weiss ein kluger Unternehmer auch den Lokalpatriotismus zu nutzen. TV- und Radio-Moderator Beni Thurnheer steht zwar eher im Rufe eines Schnellschnorris als eines Kleinkünstlers, ist aber immerhin bekennender Winterthurer und folglich mit dabei. Schriftsteller Peter Stamm, der sich mit seinem Ouvre («Agnes», «Ungefähre Landschaft») als begnadeter Jungtragiker profiliert hat, findet in seinem Frühwerk prompt zwei Humoresken, die im Juni auf der Casinobühne gegeben werden.

«Unser Kapital ist die grosse Aufmerksamkeit, die wir geniessen, weil wir viele bekannte Leute haben, die innovative Sachen bringen», sagt Giacobbo. Die engeren Branchenkollegen sind eh alle dabei: Patrick Frey (er inzwischen VR-Präsident der Casino Immobilien AG), Joachim Rittmeyer und Lorenz Keiser, Gardi Hutter und Franz Hohler. Müller Walter Andreas und Müller Mike. Aktionäre, wohin man schaut.

Ein weitsichtiger VR-Präsident sorgt auch für optimale Auslastung des Hauses. Giacobbo verfügt über beste Verbindungen zu Funk und Fernsehen, und die werden hier synergetisch genutzt: SF DRS zeichnet wöchentlich eine Comedy-Show auf, und Radio DRS überträgt die Verleihung des Salzburger Stiers live. Vielleicht jemand im Saal, der den noch nicht bekommen hat?

Während die Handwerker noch hämmern, führt uns der VR-Präsident stolz durchs Haus. Das Casinotheater ist ein stattliches Gebäude aus der Gründerzeit. Von aussen wirkt es nüchtern wie eine Humorfabrik. Im Restaurant kriegt das Servicepersonal gerade seine Einführung. Auf der Bühne probt Regisseurin Katja Früh mit lauter Aktionären das Premierenspektakel «Die Eröffnung». Die 15 Vorstellungen sind ausverkauft.

Dann stehen wir im imposanten Bankettsaal. Hier erlebte der VR-Präsident einst seine militärische Aushebung, die ihm den begehrten Stempel «Dienstuntauglich» eintrug. «Nicht ohne mein Zutun», sagt er und lächelt ironisch. «Die Buchungen für den Saal laufen super», schwärmt Giacobbo. Hier werden Tagungen und Bankette für bis zu 500 Leute ausgerichtet – und Aktionärsversammlungen. Nur noch die Kronleuchter waten auf die Endmontage.

Ernstfall in Winterthur

22. April 2002, SonntagsZeitung, von Roger Anderegg

Satiriker Viktor Giacobbo gibt einen Unternehmer – die neueste Rolle ist vielleicht seine besteAuch mancher Verwaltungsratspräsident hat klein angefangen. Viktor […]

Komik ist eine ernste Angelegenheit mit strengen Gesetzen. Ob es etwas mit der langen Tradition der direkten Demokratie zu tun hat, dass in der Schweiz immer sehr viel über Komik debattiert wird? Jedenfalls gehören Komödien auch hierzulande zu den erfolgreichsten Filmen im Kino. Doch so grundsätzlich wie etwa in «Die Schweizermacher» oder in «Beresina oder Die letzten Tage der Schweiz» gehen die deutschsprachigen Nachbarn höchstens literarisch mit ihrem Land ins Gericht. Existiert die Schweiz vielleicht doch sehr viel mehr, als wir glauben?

In der neusten Schweizer Filmkomödie geht es unter anderem auch darum, «wie in der Schweiz Politik gemacht wird». Der das sagt, ist nicht nur einer der erfolgreichsten Satiriker (und Komiker) der Schweiz, sondern auch Drehbuchautor und Hauptdarsteller von «Ernstfall in Havanna»: Viktor Giacobbo. Als ihm vor einigen Jahren ein Bekannter erzählte, dass die Schweizer Botschaft in Kuba auch die Interessen der USA vertrete (da die USA bekanntlich keine diplomatischen Kontakte mit Kuba pflegen), da begann es im Satirezentrum von Giacobbos Gehirn zu rumoren. Er setzte die Zürcher Produzentin Ruth Waldburger davon in Kenntnis, die sowieso schon lange einen Film mit Giacobbo machen wollte. – Gemeinsam mit Domenico Blass wurde ein Drehbuch geschrieben und dieses Sabine Boss zum Lesen gegeben, die ihr Talent in der Schauspielerführung mit ihrem ersten Langspielfilm unter Beweis gestellt hatte, der Fernsehproduktion «Studers erster Fall». Sie bestand darauf, das Casting selbst vorzunehmen, da für sie von Anfang an ausgeschlossen war, dass irgendjemand aus dem Umfeld von «Viktors Spätprogramm» mit dabei sein sollte, mit Ausnahme von Giacobbo – und am Ende auch von Mike Müller.

Gedreht wurde dann mehrheitlich in Santo Domingo in der Dominikanischen Republik, wo man laut Sabine Boss bestens auf Filmcrews eingerichtet ist, die keine Dreherlaubnis in Kuba bekommen. Nur Panoramaaufnahmen konnten im wirklichen Havanna gemacht werden. Natürlich wurde dort auch eifrig recherchiert – in der echten Schweizer Botschaft oder im Villenviertel, wo die Botschaftsangehörigen wohnen. Schliesslich sollte eine realistische Komödie gedreht werden, ganz nach dem Motto: «Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind unbeabsichtigt, aber erwünscht.» Ähnlichkeit mit einem typischen Schweizer Bundesrat (gespielt von Jean-Pierre Cornu) beispielsweise, einem amerikanischen Senator, einem US-Präsidenten oder einer CNN-Reporterin. So ist es auch die sehr gelungene Darstellung dieses internationalen politischen Personals, welche dem Film über einzelne schauspielerische Schwächen im «privaten» Teil der Geschichte hinweghilft.

Wie bei einem Krimi soll man auch bei einer guten Filmkomödie die Story niemandem erzählen, der vorhat, sich das Ganze selber zu Gemüte zu führen. Und «Ernstfall in Havanna» ist eine solche gute Komödie. Sie beginnt langsam, fast behäbig. Die Figuren werden vorgestellt, die Fäden ausgelegt, an denen später gezogen werden wird, um jenen Dominoeffekt an komischen Verwicklungen auszulösen, die um ein Haar die weltpolitische Lage aus den Fugen gehoben hätten: Der Schweizer Botschafter in Kuba (Jürg Löw) muss an die jährliche Botschafterkonferenz nach Bern. Nur ungern überlässt er die Amtsgeschäfte seinem mässig begabten Mitarbeiter Stefan Balsiger (Viktor Giacobbo), der sich gern in der Bar der Kubanerin Miranda (Carla Sanchez) herumtreibt.

Kaum «en charge», wird Balsiger auch schon mit einer äusserst heiklen Mission betraut: Er soll sich um US-Senator Russell (Stephen Lack) kümmern, der früher als erwartet zu Geheimgesprächen mit der kubanischen Regierung in Sachen US-Embargo anreist. Eine Kleinigkeit, glaubt Balsiger. Und kein Grund, den Botschafter bei seinem Heimatbesuch zu stören. Doch der Senator tut nicht, was ein braver Schweizer Botschaftsangestellter tun würde, und so ergeben sich alsbald Verwicklungen, die internationales Format annehmen, hat doch eine kritische Schweizer Photographin (Sabina Schneebeli) inzwischen den amerikanischen Nachrichtensender CNC informiert. Und mittendrin steht der kleine Schweizer Balsiger und versucht mit Hilfe seines Natels, seiner schweizerdeutschen «Geheimsprache» und seines etwas trotteligen Sicherheitsbeamten (Mike Müller) die Sache in den Griff zu bekommen.

Es gehört zu den Stärken des Films, dass er die Verwicklungen so weit treibt, dass eine einfache «Ent-Wicklung» nicht mehr vorstellbar scheint. Natürlich geht am Ende doch noch alles gut aus, und zwar ohne massiven Pointen-Einsatz. So wie der Film generell nicht zum Klamauk neigt. Die Pointen sind dezent und gut gesetzt und wirken nur hin und wieder wegen darstellerischer Zaghaftigkeiten (zum Beispiel Viktor Giacobbos) ein bisschen flau. Aber das ändert nichts daran, dass «Ernstfall in Havanna» beste Unterhaltung bietet – unterstützt (auch musikalisch) vom sowieso populären kubanischen Flair – und einen dazu bringt, sich über gewisse Absurditäten der schweizerischen und der Weltpolitik sehr gepflegt zu amüsieren. (Kinos ABC, Corso, Plaza in Zürich)

Kleiner Mann in grosser Mission

13. März 2002, Neue Zürcher Zeitung, von Gerda Wurzenberger

Komik ist eine ernste Angelegenheit mit strengen Gesetzen. Ob es etwas mit der langen Tradition der direkten Demokratie zu tun […]

Warum der «Ernstfall in Havanna» zum Glücksfall wurde

 

Wenn der Chefsatiriker des Landes zum ersten Mal auf der Leinwand zu sehen ist, zittern alle ein bisschen. Die Giacobbo-Fans vor Neugierde: Spielt er da mehr den Hasler oder den Rajiv? Die Cinéphilen vor Misstrauen: Wird das ein Film oder eine Reihe von Kabarettnummern? Und natürlich sind die Ängste der Produzentin Ruth Waldburger bei einem solchen Prestigeprojekt ebenso gross wie ihre Hoffnungen.

Nach der Mittwochpremiere von «Ernstfall in Havanna» also das Aufatmen: Experiment gelungen! Viktor Giacobbo ist in seinem ersten Kinofilm weder Hasler noch Schawinski, überhaupt Niemandes Karikatur, sondern der Botschaftsangestellte Stefan Balsiger, eine echte Filmfigur mit mehr als einem Charaktermerkmal im darstellerischen Köcher. Schon ganz am Anfang des Films entzückt eine Tanzszene: Der Balsiger, fiebrig erwartungsvoll, tänzelt aus dem Bett ins Bad, kleine Schrittchen auf den Zehenspitzen, nach links, nach rechts, und schwupps um die eigene Achse, ein lächerlich rührender Schmalspur-Travolta in karierten Boxershorts. Nur jene, die auf eine beissende Politsatire im Stil von «Viktors Spätprogramm» hofften, werden den ganz hämischen Giftzahn des Kabarettisten missen.

Es gibt viel zu lachen, doch «Ernstfall in Havanna» ist kein Klamauk

Der Handlungsknoten ist schnell geknüpft: Der kleine Mann Balsiger hat grandiose Gelüste. In der kleinen Schweizer Botschaft auf Kuba will er auf Grandseigneur machen, mit Zigarre und weissem Leinenanzug. Die Gelegenheit bietet sich, sobald sein Chef auf Dienstreise nach Bern abrauscht. Noch während Balsiger der Schweizer Fotografin Bea (Sabina Schneebeli) für eine People-Story posiert, nimmt Unheil seinen Lauf. Ein echter Grosskotz kommt an, US-Senator Russel.

Der Film gibt nicht vor, das Komödiengenre neu erfinden zu wollen. Wozu auch? Der kleine Mann, die ehrgeizige Journalistin, der gutmütige, wenn auch trottlige Sicherheitsbeamte, die heiss-blütige Kubanerin – das ist eine erprobte Klamauk-Besetzung, die selten ihre Wirkung verfehlt. («Die Schweizermacher» waren da eigenständiger mit den übereifrigen Einwanderungsbeamten, denn darauf mussten die Amerikaner erst kommen, was sie auch taten, 1990, mit «Green Card»). Doch nicht umsonst heisst der Film «Ernstfall in Havanna». Es gibt viel zu lachen – reiner Klamauk ist er aber nicht.

Obwohl das Drehbuch von Viktor Giacobbo stammt (und von Domenico Blass, der auch schon «Viktors Spätprogramm» mit seinem Witz alimentierte), und obwohl der Film stark von der Hauptfigur Balsiger lebt, ist die Handschrift der Regisseurin Sabine Boss unverkennbar. Die 35-jährige Absolventin der Zürcher Filmklasse hat mit ihrem Debutfilm, der TV-Produktion «Studers erster Fall», auf sich aufmerksam gemacht. Schon in dieser eigenwilligen Umsetzung des Romans «Matto regiert» von Friedrich Glauser hat Boss ein eigenwilliges Tempo vorgegeben und ihrer Hauptfigur, der weiblichen Kommissarin Studer, eine leicht verschrobene Ernsthaftigkeit verliehen. Ähnliche, zutiefst helvetische Widerborstigkeit vermochte die junge Regisseurin auch in Santo Domingo in Szene zu setzen, wo «Havanna» – in Ermangelung der Dreherlaubnis auf Kuba – entstand.

Die bedächtige Sprache überhöht die Geschwindigkeit der Ereignisse

Wer eine Knall auf Fall geschnittene Screwball Comedy erwartet, wird also zunächst enttäuscht. Flotte Salsa (Musik: Balz Bachmann, Peter Bräker) macht Stimmung, der Film nimmt sich aber Zeit. Das Unvermeidliche entrollt sich erst gemächlich und Charaktere, die man meint, sofort durchschaut zu haben, werden sorgfältig installiert. Die Fotografin verrät bei ihrer Ankunft im Flughafen ihre rebellische Ader. Der Botschafter zeigt bei der Instruktion der Subalternen den keinesfalls partizipativen Führungsstil. Und der naive Grössenwahn Balsigers verrät sich in der Szene mit dem amerikanischen Diplomatenkollegen Claiborne: «Sorry», sagt dieser, «verlass mein Büro, ich habe einen Anruf aus Washington», worauf Balsiger antwortet: «I know what you mean», und dann, bedeutungsvoll «Berne».

Sobald sich die Ereignisse nach der Ankunft Russels überschlagen, gewinnt der Film an Tempo. Nur in der Art, wie die Schweizer Englisch und Spanisch sprechen, hallt die bedächtige Langsamkeit nach. Die als langsam eingeführten, langsam sprechenden Figuren sehen sich plötzlich einer Kaskade von Ereignissen ausgesetzt, die sie überfordert. Dadurch, dass Sabine Boss diesen Kontrast in die Struktur des Films einbaut – zuerst langsam und dann immer schneller – gibt sie dem komödiantischen Stoff eine solide Basis. So wirken die Figuren viel glaubwürdiger.

Die Charakterisierung, wie man nach «Studers erster Fall» und nun dem «Ernstfall» bemerkt, gehört zu den grossen Stärken der Regisseurin, die an deutschen Theatern ihr Knowhow in Schauspielerführung übte. Auch wenn Sabina Schneebeli in der Rolle der Fotografin etwas blass bleibt, begeistern schauspielerische Leistungen bis in die Nebenrollen hinein – Mike Müller etwa als Sicherheitsbeamter Rüegg, Daniel Rohr als Bundesratsassistent Thomas Fröhlicher oder Jean-Pierre Cornu als Bundesrat Hitz – Cornu ist dazu dem amtierenden Bundesrat Deiss täuschend ähnlich.

Die Regisseurin erzählt, dass während der Dreharbeit sie und Viktor Giacobbo viel zu streiten hatten – trotz, oder gerade wegen der grundsätzlich vorhandenen Sympathie. Als Zuschauer ist man froh um diese Auseinandersetzung: «Ernstfall in Havanna» ist dadurch kein eindimensionales Starvehikel geworden, sondern ein echter Schweizer «Glücksfall in Havanna». Auch wenn es die Dominikanische Republik war.

Balsiger kennt kein Tempolimit

10. März 2002, SonntagsZeitung, von Ewa Hess

Warum der «Ernstfall in Havanna» zum Glücksfall wurde   Wenn der Chefsatiriker des Landes zum ersten Mal auf der Leinwand […]

Thema – Sonntagsgespräch: Viktor Giacobbo über seinen Kinofilm «Ernstfall in Havanna», seine Pläne im Casinotheater Winterthur und Satire am FernsehenSonntagsZeitung: Herr Giacobbo, haben Sie heute schon gelacht?

Viktor Giacobbo: (lacht) Hab ich.

Worüber?

Viktor Giacobbo: Wir haben über den Film «Big Deal» diskutiert und gelacht. Der Streifen hat echt witzige Szenen.

Was bringt Sie sonst noch zum Lachen?

Giacobbo: Komik, die unerwartete Pointen liefert, aber auch schleichende Komik, die gar nicht auf Pointen angewiesen ist. Und dann natürlich der Klassiker: Jemand rutscht auf einer Bananenschale aus – simpel und unerreicht!

Wie lebt es sich als professioneller Spassvogel im Alltag? Nimmt man Sie auf der Strasse überhaupt noch ernst?

Giacobbo: Seltsamerweise ja. Ich werde auf der Strasse selten mit «He, Harry!» angesprochen.

Und worauf führen Sie das zurück?

Giacobbo: Ich habe wahrscheinlich ein ziemlich intelligentes Publikum.

Das ist eine interessante Erklärung.

Giacobbo: Vielleicht nehmen mich die Leute auch deshalb ernst, weil sie merken, dass das Grundmaterial meiner Nummern immer ernsthaft ist. Meine Satiren gehen immer von einem Problem aus, das ich dann in übertriebener Form umsetze.

Wie kommen Sie zu Ihren Figuren?

Giacobbo: Meist zufällig. Manche Typen entstehen auch aus purer Not. Wir wollten zum Beispiel einmal eine Nummer zum Thema «Finanzspritze» machen. Sie sollte in einem Fixerstübli spielen, wo die Wirtschaftsvertreter ihre Spritze holen kommen. Da wir keinen hatten, der den Junkie spielte, übernahm halt ich den Part. So entstand die Figur Fredi Hinz.

Ist unser Land satiretauglich? Die Schweiz gilt nicht unbedingt als Hort des Humors.

Giacobbo: Da bin ich absolut anderer Meinung. Die Schweizer sind nicht weniger lustig als die Bürger anderer Länder. Als Positivbeispiel erwähnt man immer England als Herkunftsland des schwarzen Humors. Doch dieser Humor findet in Grossbritannien auch nur im Spartenprogramm und bei jüngeren Komikern statt, nicht aber bei den Bergarbeitern in York. Dort regiert wie anderswo auch der Massenhumor.

Sie sind soeben 50 Jahre alt geworden. Viele treten in diesem Alter etwas kürzer. Sie aber geben immer mehr Gas.

Giacobbo: Das ist wahrscheinlich so eine Art Altersradikalität.

Sie bringen monatlich eine neue Ausgabe von «Viktors Spätprogramm» heraus, schreiben Zeitungskolumnen, am 14. März kommt Ihr erster Spielfilm in die Kinos, und am 1. Mai eröffnen Sie in Winterthur eine Kabarettbühne. Sind Sie ein Workaholic?

Giacobbo: Nein. Ich bin eigentlich ein sehr fauler Mensch. Aber weil ich keine Karriereplanung betreibe, prallen halt immer wieder neue Projekte an mich heran. Jetzt kommen zufälligerweise zwei grosse Kisten auf einmal zur Vollendung.

Wann sehen Sie eigentlich noch Ihre Freundin, die Kabarettistin Nadja («Nadeschkin») Sieger?

Giacobbo: Zu wenig. Manchmal gerate ich in die bescheuerte Situation, dass ich mir sogar meine Freizeit in die Agenda einschreiben muss. Oder ich notiere «Lektüre» in meinen Terminkalender, weil ich sonst schlicht nicht mehr zum Bücherlesen komme.

Was machen Sie, wenn Sie mal keine Scherze aushecken?

Giacobbo: Ich habe einen grossen Freundeskreis, lese gern, gehe ins Kino und ins Theater, reise und wandere – ich mache halt, was viele andere Leute auch tun.

Sie hüten Ihr Privatleben wie Ihren Augapfel. Was haben Sie zu verbergen?

Giacobbo: Ja, ich verberge mein absolut stinklangweiliges Normalleben, weil ich einen gewissen Glamour in der Öffentlichkeit vertreten muss. Wenn die Leute mein Privatleben mitbekämen, wären sie dermassen enttäuscht, dass sie sich von mir abwenden würden.

Dann wird es von Ihnen also nie eine Homestory geben?

Giacobbo: Nie im Leben! Ich inszeniere mich schon in meinen Programmen genug. Ich muss das nicht auch noch privat machen wie all jene Promis, die sich zum Beispiel beim Frühstück fotografieren lassen und dann so tun, als sei die Szene nicht gestellt. Homestorys halte ich für etwas absolut Dämliches.

«Viktors Spätprogramm» flimmert seit über zwölf Jahren über den Bildschirm. Haben Sie noch keine Ermüdungserscheinungen?

Giacobbo: Die Sendung wird es sicher nicht mehr so lange geben, wie sie bis heute gelaufen ist, das ist klar. Noch ist aber alles in Ordnung. Das Publikum mag das «Spätprogramm», und wir haben noch immer sehr viel Spass beim Machen der Sendung. Sobald ich aber merken sollte, dass wir uns wiederholen oder uns die Lust vergeht, dann ist Schluss.

Als «Mister Satire» stehen Sie beim Schweizer Fernsehen allein auf weiter Flur. Sie haben sozusagen eine staatstragende Funktion.

Giacobbo: Ich habe diese Stellung nie gesucht. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, weshalb ich der Einzige bin, der beim Schweizer Fernsehen in dieser Sparte arbeitet. Ich bin nur für meine Sendung verantwortlich und gehöre nicht zur Programmdirektion.

Warum tut sich das Schweizer Fernsehen so schwer mit Kabarett und Satire?

Giacobbo: Satire im Fernsehen ist eine Sparte, die man nicht einfach mit der Muttermilch mitbekommt – man muss sie lernen. Dazu braucht man allerdings jemanden, der einem das Spielfeld zur Verfügung stellt und auch Fehler zulässt. SF DRS steht punkto Satire im Vergleich zu den übrigen Medien sehr gut da.

Was ist für Sie gute Satire?

Giacobbo: Gute Satire muss unterhalten und den Standpunkt des Urhebers klar machen. Sie funktioniert, wenn sie überrascht – indem die Leute entweder über sich selber oder über andere lachen.

Schadenfreude als Prinzip?

Giacobbo: Natürlich, nur gibt man das selten zu. Man darf sich keine Illusionen machen: Durch Satire wird keiner politisch verändert oder moralisch geläutert.

Manche Leute fühlen sich aber auf den Schlips getreten, wenn man über sie lacht.

Giacobbo: Stimmt. Und dann gibt es auch noch Leute, die zu wissen glauben, worüber man Witze machen darf und worüber nicht. Heikel wirds zum Beispiel beim Thema Religion. Manche finden, man dürfe keine Witze über den Papst machen – vor allem, weil er krank ist. Andere sagen, man dürfe keine Witze über Hitler machen. Warum das so ist, konnte mir noch niemand schlüssig erklären – vielleicht, weil Hitler so böse war, dass man ihn heute verschonen muss.

Wo hört für Sie der Spass auf?

Giacobbo: Wenn es nicht mehr lustig ist.

Gibt es für Sie keine ethischen Tabus?

Giacobbo: Jeder muss selber wissen, wie weit er gehen will. Mein Leitspruch lautet: Es ist leicht, frech zu sein, aber sehr viel schwieriger, lustig zu sein. Kommt beides zusammen, ist es optimal.

Mit dem Winterthurer Casinotheater und Ihrem Filmerstling «Ernstfall in Havanna» betreten Sie gleich zweimal Neuland. Werden Sie jetzt zum Unterhaltungsunternehmer?

Giacobbo: Nein. Alles, was an diesen beiden Projekten seriös ist, wird von anderen besorgt – beim Film beispielsweise von der Regisseurin Sabine Boss. Beim Casinotheater trage ich nur den schmückenden Titel eines Verwaltungsratspräsidenten. Heutzutage muss man allerdings sagen, dass dieser Titel nicht mehr so sehr schmückt wie auch schon und andere für die Schande, die man mit diesem Titel herumträgt, wenigstens noch eine gute Abgangsentschädigung erhalten. Die muss ich mir noch aushandeln. Im Ernst: Beim Casinotheater bin ich nur Teil einer Gruppe von Künstlern, die das neue Theater nicht nur führen, sondern auch besitzen werden. Und am Film war ich bloss künstlerisch beteiligt.

«Ernstfall in Havanna» ist ein Sololauf: Sie haben den Filmstoff entwickelt und spielen gleich auch noch die Hauptrolle – ganz schön dreist für einen Filmnovizen.

Giacobbo: Es ist kein Sololauf. Ich hatte zwar die Grundidee und spiele die Hauptrolle. Das Drehbuch schrieb ich aber gemeinsam mit Domenico Blass. Und ohne die Produzentin Ruth Waldburger und die Regisseurin Sabine Boss wäre der Film nie zu Stande gekommen.

Wie sind Sie auf die Stoffidee gekommen?

Giacobbo: Freunde, die im diplomatischen Dienst arbeiten, haben mir erzählt, dass die Schweiz in Kuba die Interessen der USA vertritt – und zwar in einem von den Amerikanern fixfertig eingerichteten Botschaftsgebäude. In diesem Haus ist der Schweizer Botschafter offizieller Chef. Ich finde, das schreit gerade nach einer komischen Umsetzung: Man kann sich ja lebhaft vorstellen, dass der Schweizer den Amerikanern nicht so wahnsinnig viel zu befehlen hat, sondern eher der Wasserträger ist. Für den Film haben wir uns ausgemalt, was alles ins Rollen kommen könnte, wenn der kleine Schweizer, der alles richtig machen möchte, aber hoffnungslos überfordert ist, eine zweite «Kuba-Krise» heraufbeschwört.

«Ernstfall in Havanna» ist mit einem Budget von 3,3 Millionen Franken die teuerste Schweizer Komödie aller Zeiten.

Giacobbo: Im internationalen Vergleich ist das ein Klacks. Alle Beteiligten arbeiteten für Honorare, die deutlich unter dem normalen Niveau liegen. Das Team arbeitete sechs Tage pro Woche und hatte häufig einen Zehn-Stunden-Tag. Das finde ich fantastisch.

Ich nehme an, Sie stehen jetzt unter mächtigem Erfolgsdruck.

Giacobbo: Viel nervöser ist die Produzentin. Aber klar: Ich bin natürlich gespannt, wie der Film beim Publikum ankommt.

Sind Sie mit Ihrem Debüt als Filmschauspieler zufrieden?

Giacobbo: Das tönt jetzt vielleicht etwas kokett: Ich bin selten zufrieden mit meiner Arbeit. Ich ertrage mich schwer – vor allem, wenn ich mich 90 Minuten lang selber angucken muss. Dann sehe ich nur noch die Fehler und leide fürchterlich.

Das Geld für Ihren Film musste mühsam zusammengekratzt werden, dann verweigerte Ihnen die kubanische Regierung die Dreherlaubnis, und Sie mussten auf die Dominikanische Republik ausweichen. Ich nehme an, Ihnen ist inzwischen die Lust am Filmemachen vergangen.

Giacobbo: Ganz und gar nicht. Die Dreharbeiten in Santo Domingo waren ein schönes Erlebnis. In der Crew waren Leute aus acht Nationen, und alle haben an einem Schweizer Stoff gearbeitet – wunderbar!

Was erwartet die Zuschauer? Eine Klamaukkomödie à la «Viktor, der Film»?

Giacobbo: Nein, genau das wollte ich nicht. Es ist für mich völlig undenkbar, meine Fernsehfiguren je in einem Film zu verbraten. Zudem halte ich Filme, die einen alle zehn Sekunden zum Lachen bringen wollen, für langweilig. Die Komik im Film entsteht nicht durch Klamauk, sondern durch die spezielle Situation in Kuba und die Überforderung des Schweizer Botschaftsbeamten Stefan Balsiger.

Viele Ihrer Figuren sind Überforderte. Ist das die versteckte Gesellschaftskritik eines Altlinken?

Giacobbo: Überhaupt nicht. Ich mag die Überforderten ganz einfach deshalb, weil sie komisch wirken.

Sie waren früher sehr politisch.

Giacobbo: Das bin ich noch immer.

In den Siebzigerjahren waren Sie Maoist und flogen wegen zu radikaler Ansichten aus der SP raus.

Giacobbo: In meinem jugendlichen Überschwang schusterte ich mir damals eine Welt zusammen, in der ich jedes Phänomen erklären konnte: eine schreckliche Haltung, eine Art politisches Sektierertum. Heute muss ich allerdings sagen, dass einige meiner Mitstreiter aus jener Zeit später sehr viel Kreatives für unser Land geleistet haben.

Welche Partei wählen Sie heute?

Giacobbo: Ich wähle links. Wobei ich mir nicht alle Wahllisten gefallen lasse: Ich streiche immer sehr viele Namen raus und ersetze sie durch andere, auch aus bürgerlichen Parteien. Ich bin heute wahrscheinlich ein angepasster Crossover-Libertärer – wenn Sie eine Bezeichnung wünschen.

SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli hetzte Ihnen wegen der «Spätprogramm»-Figur Rajiv Prasad sogar die Antirassismuskommission auf den Hals. Was hat die SVP gegen Sie?

Giacobbo: Ich glaube, die SVP hat nicht generell etwas gegen mich. Es gibt in der SVP ein paar Leute, mit denen ich mich auf eine sehr lockere Art sehr gerne streite. Die SVP ist eine erfolgreiche Partei. Ich wünschte mir, dass sich auch andere Parteien so engagiert für ihre Ideale engagieren würden. Christoph Mörgeli wollte provozieren – und er ging dabei sehr geschickt vor. Seiner Ansicht nach geht die Antirassismuskommission immer nur gegen die Rechten und nie gegen die Linken vor. Also startete er einen Versuchsballon und bezichtigte mich des Rassismus. In vorauseilendem Gehorsam ging die Kommission prompt auf Mörgelis Coup ein und bat mich, dem Inder Rajiv ein paar positive Züge hinzuzufügen – einer Kunstfigur!

In Winterthur wollte die SVP Ihr Casinotheater verhindern.

Giacobbo: Nur einzelne Exponenten. Die intelligenteren SVPler haben uns unterstützt. Das mussten sie ja auch, denn es handelt sich ja um ein marktwirtschaftlich orientiertes KMU-Projekt. Ein kleines SVP-Grüppchen allerdings hat seinen traditionellen Nein-Reflex gegen alles Kulturelle ausgelebt. Der SVP-Kantonsrat legte sich quer – mit dem Argument, er unterstütze doch nicht ein Projekt von Leuten, die immer nur dieselben Parteiexponenten karikierten. Da soll mal einer sagen, Satire könne nichts bewegen (lacht).

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet in Winterthur eine Kabarettbühne zu eröffnen?

Giacobbo: Wo denn sonst?

Zum Beispiel in Zürich oder Basel.

Giacobbo: Ich bitte Sie, das ist jetzt sehr unoriginell… Übrigens sind auch schon Leute aus der originellen Kulturstadt Zürich an uns herangetreten: Wir sollen doch unser Theaterprojekt bei ihnen realisieren, falls es in Winterthur bachab gehe. Als ich dann fragte, wo genau in Zürich sich unser Projekt realisieren liesse, wusste plötzlich keiner mehr weiter.

Dann wollen Sie jetzt also als Kulturwohltäter in Winterthurs Stadtgeschichte eingehen?

Giacobbo: Von wegen. Ich bin in Winterthur aufgewachsen und kenne mich hier gut aus. Das über hundertjährige Casino ist mir schon lange aufgefallen. Es ist einfach ideal für eine Kleinkunstbühne mit Restaurations- und Barbetrieb. Zudem ist Winterthur die sechstgrösste Stadt der Schweiz und zieht immer mehr kulturelle Aktivitäten an. So zügelt zum Beispiel die Schweizerische Stiftung für Fotografie von Zürich nach Winterthur.

Wie wollen Sie das Kleintheaterpublikum nach Winterthur locken?

Giacobbo: Mit guten Programmen. Zudem bin ich – auch hier – nicht der Einzige, der lockt. Zahlreiche weitere Künstler tun das auch. Ende Mai wird zum Beispiel der «Salzburger Stier» bei uns verliehen. Das ist einer der renommiertesten Kabarettpreise im deutschsprachigen Raum.

Mit welchem Programm wird das Casinotheater eröffnet?

Giacobbo: Wir starten am 1. Mai mit der Show «Die Eröffnung». Das ist eine Show, an der fast alle beteiligten Künstler teilnehmen werden – also Leute wie Patrick Frey, Franz Hohler, Gardi Hutter, Joachim Rittmeyer, Beni Thurnherr, Sandra Studer, Lorenz Keiser, Stage TV, Ursus & Nadeschkin und so weiter. So etwas hat es noch nie gegeben. Das sollen uns die Zürcher und Basler mal nachmachen.

Wer entscheidet eigentlich, was im Casinotheater gespielt wird – derjenige, der am meisten Geld reingesteckt hat?

Giacobbo: Nein. Es gibt zwei Sorten von Teilhabern: die Künstler- und die Förderaktionäre. Die Künstler haben mehr Stimmrechte als die übrigen Aktionäre. Ein künstlerischer Ausschuss bestimmt über die generelle Ausrichtung der Bühne, und ein Theater- und ein Gastronomiedirektor sind operativ tätig.

Wann gönnen Sie sich mal Ferien?

Giacobbo: Ich mache eine zwei- bis dreimonatige Sommerpause, während der ich kein einziges Engagement annehmen werde.

Und was ist Ihr nächstes grosses Projekt?

Giacobbo: Ich studiere an einem weiteren Spielfilm herum. Vor allem aber werde ich mich am Casinotheater engagieren. In Winterthur wird viel Neues und Unübliches passieren – da will ich unbedingt dabei sein. Zudem möchte ich mehr Zeit fürs Schreiben haben.

«Ich bin heute wahrscheinlich ein angepasster Crossover-Libertärer – wenn Sie eine Bezeichnung wünschen»

«Wenn die Leute mein Privatleben mitbekämen, wären sie enttäuscht»: Viktor Giacobbo

«Ich mag die Überforderten, weil sie komisch wirken»: Viktor Giacobbo

Giacobbos Karriere ergab sich von selbst

Viktor Giacobbo, 1952 geboren, zählt nicht nur zu den populärsten Spassvögeln der Schweiz, er ist auch einer der fleissigsten: Seit zwölf Jahren macht er mit «Viktors Spätprogramm» das Schweizer Fernsehen unsicher, schreibt regelmässig Zeitungskolumnen und Theaterstücke – und wird nun auch noch Unternehmer: Am 1. Mai errichtet er in seiner Heimatstadt Winterthur ein kabarettistisches Denkmal und eröffnet gemeinsam mit Freunden aus der Schweizer Satiriker- und Komikerszene das Casinotheater. Den Durchbruch schaffte Giacobbo 1990, nachdem ihn «Ziischtigs-Club»-Moderator Ueli Heiniger zum Schweizer Fernsehen gelotst hatte. «Viktors Spätprogramm» mauserte sich bald zum Quotenrenner. Figuren wie die Agglo-Helden Harry Hasler und Debbie Mötteli, der Fixer Fredi Hinz oder der geschäftstüchtige Inder Rajiv Prasdan haben heute Kultstatus.

Er habe den Erfolg nie gesucht, sagt der gelernte Schriftsetzer, Lektor und Korrektor. «Sämtliche Karriereschritte haben sich von selbst ergeben.» Giacobbo startete in den Siebzigerjahren als Kolumnist und Satiriker und sorgte mit der Rockkabarettgruppe «Stuzzicadenti», mit «Zampanoo’s Variété» und mit «Haruls Top-Service» auf Kleinkunstbühnen erstmals für Furore.

Dieses Jahr wagt sich der 50-Jährige nochmals auf fremdes Terrain: Am 14. März läuft sein erster Spielfilm «Ernstfall in Havanna» in den Kinos an – eine Politsatire um einen überforderten Schweizer Vizebotschafter, der fast eine zweite «Kuba-Krise» auslöst.

Viktor Giacobbo ist seit vier Jahren mit der Clownin Nadja («Nadeschkin») Sieger liiert.

«Es ist leicht, frech zu sein, aber sehr viel schwieriger, lustig zu sein»

24. Februar 2002, SonntagsZeitung, von Remo Leupin

Thema – Sonntagsgespräch: Viktor Giacobbo über seinen Kinofilm «Ernstfall in Havanna», seine Pläne im Casinotheater Winterthur und Satire am FernsehenSonntagsZeitung: […]

Seine Figuren sind vertraut wie nahe Verwandte. Nur ihr Schöpfer bleibt ein Rätsel. Gibt es Viktor Giacobbo?

„Ich habe um mich ein professionelles Schutz-Hägli gebaut.“ Er studiert die Gestik. Übt den Tonfall, hört auf das dunkle A und das R, das vorne gesprochen wird. Sie sammelt Fotos von Schweizer (Polit-)Prominenz. Schneidet sie aus, klebt sie auf Papier, und die Papiere füllen einen Bundesordner.
Es kann dann passieren, nicht recht mehr zu wissen, ob nun Ueli Maurer, der eben in eine Fernsehkamera spricht, vielleicht doch nur der verkleidete Giacobbo ist. Der gelockte Haarkranz! Diese Lippen, die an ihren Enden nach oben gezogen sind! Als müsste der SVP-Präsident dauerlächeln.
Es war übrigens der Echte. Und den Echten stört kaum (mehr), versichert er am Telefon, dass ein anderer ihn karikiert. Zwar inhaltlich falsch, diesem Cliché aufhockend, er, der Maurer, sei nur konservativ und obendrein Blocher-hörig. Aber gut. Da er sowieso nur dreissig Minuten im Monat fernsehe, und dann höchstens die Nachrichten, sei die „Verzerrung der Realität“ schade, aber eigentlich auch egal, zumal auf der Strasse „das Anpöbeln von wildfremden Menschen“ endlich aufgehört habe. Die Leute dächten früher, sagt Maurer, sie könnten, wenn das Fernsehen ihn lächerlich mache, Gleiches tun. Ihm auch den Briefkasten verschmieren. Und seine Kinder verhöhnen.
Das wiederum wollte Viktor Giacobbo nicht. So was tut ihm Leid, und er hat auch schon daran gedacht, von dieser Rolle zu lassen. Aber: „Ueli Maurer ist eine öffentliche Person, die sich unzimperlich über andere äussert.“ Von solchen Figuren nährt sich ein Satiriker. Giacobbo sagt das, als er abends in Zürich in einem Restaurant sitzt, wo ihm nicht recht wohl ist, den Kopf wie eingezogen, die Augen in Lauerstellung, weil er es nicht mag, wenn sie, die hinüberschauen, auch noch grosse Ohren machen. Das ist ihm zu nah.
Gehen wir!
Und jetzt ist ein Morgen, draussen am Leutschenbach, die langen fensterlosen Korridore im Fernsehgebäude entlang, zwei Treppen hinunter, ein weiterer Gang führt endlich in den Maskenraum. Dort, auf dem rosa Sessel, sollte er schon sitzen, doch er wird später kommen. Sie ist da. Hat diesen Bundesordner mit den vielen Fotos aufgeschlagen. Hedvika Salzmann ist Maskenbildnerin. Seit es Giacobbo als „Viktor“ in TV-Format gibt, seit zehn Jahren also („Viktors Programm“, dann „Viktors Spätprogramm“), schminkt sie ihm nach Vorlagen andere Gesichter in sein Gesicht. Heute soll er zur Sie werden. Auf einem Styroporkopf liegt das blond gelockte Haar der Christiane Brunner, am Kleiderbügel hängt ein violettes Jäckchen.
Aus Viktor lässt sich einiges machen, schlank und nicht allzu gross ist er, hat Beine, wofür ihn Frauen beneiden, und diese langen Wimpern!, und sein Gesicht hat weiche Konturen, das lässt sich gut schminken, hat keine Ecken und Kanten. Nur die Segelohren muss Hedvika Salzmann manchmal ankleben.
Sie nimmt aus einer Schachtel einen Gipsabdruck seiner Nase. Den braucht sie, wenn Viktor sich in den Inder Rajiv verwandeln soll. Sie giesst dann diesen Abdruck aus, formt mit Kaltschaum eine neue Hülle, die sie ihm über seine Nase stülpt, sie festmacht und hofft, es passiere nicht wieder, dass sich die Klebränder unter seinem Schweiss auflösen und sich der Kunststoff in die Länge zieht. Sie lacht auf. Was hat ihr diese Nase schon schlaflose Nächte bereitet.
Also denkt man, Hedvika Salzmann muss diesen Giacobbo richtig gut kennen. Doch da macht ihr Kopf diese Nein-Bewegung. Sie sagt (was übrigens andere auch sagen, weil sie vielleicht nichts sagen wollen): Der gebe nichts von sich preis. „Ich weiss nicht, wer er ist.“
Und Giacobbo gibt sich später ganz ihren Händen hin. Ihn mal nur beobachten: Er trägt eine schwarze Hose, elegante Damenschuhe; ein eierschalenfarbiger Rollkragenpullover wölbt sich über den ausgestopften Büstenhalter, der immer droht, hochzurutschen. Das Make-up, das sie ihm aufträgt, verändert ihn sofort. Puder, abgedecktes Barthaar, blauer Lidschatten, „das muss bei Frau Brunner sein“, schwarze Wimperntusche; mit einem Stift zieht Hedvika Salzmann die Augenbrauen nach – der Blick auf die Fotos im Ordner, Rouge nun über die Lippen, und wie er gekonnt mit der Zunge schnalzt, und es stossen immer wieder Sätze aus seinem Mund, sozusagen Sprachübungen: I-bi-di-Fraaau-us-Geeenf, das R hinten gerollt, etwas tranig im Tonfall, einzelne Silben in die Länge gezogen. Man ist in seinem Bann.
Hat doch auch Hedvika Salzmann erzählt, wie Viktor schon beim ersten Pinselstrich in die Rolle des andern schlüpft: „Er übernimmt sofort Mimik und Gestik, spricht, wie die sprechen. Ich glaube, er lebt mit seinen Figuren.“
So soll es schon vorgekommen sein, dass er, das heisst, dass Harry Hasler – als er fertig geschminkt, das Brustfell und der Schnauz geklebt – aufgestanden sei, den Kaugummi hineingeschoben und beim Hinausgehen anzüglich bemerkt habe: Du bisch au e schöni Chatz!
Der kommt als Viktor Giacobbo und geht als Harry Hasler.
Die Verwandlung
Viktor Giacobbo sitzt in der Fernsehkantine. Trinkt ein Mineralwasser. Hier fällt er nicht auf. Weil hier viele sitzen, deren Köpfe auf dem Bildschirm erscheinen. Er ist 48, wirkt jünger, kleine blaue Augen hinter Brillenglas, und er hat diese Frage erwartet, natürlich, und weil sie ihm so oft gestellt wird, will er darüber gar nicht lange nachdenken: Die Figuren, die er spielt, haben nichts mit ihm zu tun. Es gibt ja nun die, die sagen, er könnte sie nicht so spielen, wenn sie nicht Teil seines Wesens seien. Und es gibt jene, die vermuten, Giacobbo schlüpfe in diese Rollen, um sich hinter ihnen zu verstecken.
Lasst sie nur alle psychologisieren!
Es ist ein Spiel. Und er spielt es gerne. „Es ist müssig“, sagt er, „darüber nachzudenken, was ich mit meinen Figuren gemeinsam habe. Darüber zu rätseln, überlasse ich andern“ – die formulierten dann schon, wie viel Macho er von Harry Hasler habe, wie viele weibliche Anteile von Debbie Mötteli. Ihn, den Macher, kümmert anderes, vor allem, „wie Komik im Umfeld von Fernsehtechnik funktioniert“.
Alle vier Wochen fünfzig Sendeminuten füllen. Aus vielen Teilen ein Ganzes formen. Film und Live zusammenbringen. Ideen haben, die auch tauglich sind, wenn man sie in Bilder umsetzt. Präzises Schaffen. Und zwischendurch sich fragen (das macht Giacobbo): Wozu das alles? Mit sich hadern, an sich zweifeln, an der kreativen Arbeit leiden.
Allein die Verwandlung. Als Debbie Mötteli trägt er einen Body, damit der Busen immer schön an Ort bleibt, doch wenn sie mal muss, ist das ganz mühsam, weil er mit diesen aufgeklebten, rot lackierten Fingernägeln kaum die Knöpfe aufbringt. Ein Detail bloss. Äusserlich, erzählt Viktor Giacobbo, sei er zwar Frau Mötteli oder Fredi Hinz oder Doktor Klöti. Aber „innerlich“ ist er der Arbeiter, der an den Text denken muss, an die Bewegung, diesen Schritt nach links und den zurück, und auf welcher Kamera bin ich? Auf die Uhr gucken, weil die Zeit fast alles ist am Fernsehen. Hinzu kommt, dass die Jacke von Harry Hasler plötzlich schwer wird, und der Schnauz, fällt er nicht gleich ab? So ist das. Das wohl Schwierigste sei, „bei allem Stress immer in der Figur zu bleiben“.
Ein Spiel mit Grenzen
Das Gesicht ist geschminkt, der Haaransatz mit einem Verband abgedeckt. Darüber kommt die blond gelockte Perücke. Aber hallo! Er lächelt, aber noch ist Christiane Brunner nicht ganz perfekt: Er rollt aus einem Papier ein Gebiss, „ihre Zähne!“, die seine Zahntechnikerin auf Grund einer Fotografie extra angefertigt hat. Et voilà! Sie geht aus der Maske, und sein Schritt ist anders, und im Auto, das zum Drehort fährt, sitzt er nicht wie sonst breitbeinig. Man erkennt ihn. Wirft aber wieder einen Blick auf sie. Bilder schieben sich übereinander. Seine Stimme, ihr Tonfall. Die Haltung.
Man ist irritiert.
Je länger der Drehtag dauern wird, desto fremder wird einem Giacobbo. Wobei (und immer wieder): Wer ist überhaupt Giacobbo?
Er lacht.
Seinen Figuren hat er Leben eingehaucht. Es ist, als wüsste man, wie bei Doktor Klöti die Bücherwand aussieht, und dass Erwin Bischofberger bestimmt ganz genau Buch führt über jeden Liter Milch, den er kauft. Man kennt Herrn Haslers Sexprobleme. Man erinnert sich an Debbie Mötteli, wie sie bei der TV-Moderatorin und Sängerin Sandra Studer (die G. und ein Kamerateam an einem frühen Morgen überrumpelt hat) bis ins Schlafzimmer hineingestöckelt ist und ganz unverschämt im Intimsten herumgewühlt hat. Auch als Gesprächs-„Viktor“ kann er zu einem Gast ganz schön frech sein. Bis tief ins Herz des andern hinein dringen.
Aber er?
Er setzt Grenzen. Das Private ist privat. Da wird er knapp beim Reden. Weicht aus, lenkt ab und mauert. Er zeigt das „Allerinnerste“ nur wenigen Menschen. „Ich habe um mich ein professionelles Schutz-Hägli gebaut.“ Er findet es „widerwärtig“, wenn Leute ihr Privatestes (die Liebe und die Trennung) in der Öffentlichkeit ausbreiten. Und deshalb, „weil es Privatsache ist“, hat er nicht gewollt, dass sein Unfall vom November zur Schlagzeile geriet, als er in der Nacht mit dem Auto gegen ein totes Wildschwein gefahren war und der Wagen sich mehrfach überschlagen hatte. Er hat darüber mit Journalisten nicht gesprochen: „Das passiert andern auch, und über die wird nicht berichtet.“
Doch dann sitzt er im „Talk täglich“ bei Roger Schawinski. (Oder ist Schawinski etwa Giacobbo? Weil den spielt er jetzt ja auch, worüber Schawinski sichtlich gerührt ist, als er sich/ihn im Trailer sieht, „findi guet, ich hab gar nicht gewusst, dass ich eine so grosse Zahnlücke habe, und wie du die Bewegungen nachmachst“, was wiederum Giacobbo freut.) Also: Giacobbo ist Gast bei Schawinski. Und der will partout nicht locker lassen, sticht immer wieder in dieses Unfall-Thema hinein, weil verdammt wichtig sei, dass er darüber rede, und Viktor Giacobbo lässt ein paar Brocken fallen. Aber: S isch jetzt gnueg, Roschee.
Die Dauerbeobachtung.
Berühmtsein hat etwas Ambivalentes. Es gibt, selbst für ihn, durchaus schöne Momente. Dann, wenn es um seine Arbeit geht, wenn sie geschätzt wird und er das spürt. Aber es gibt die andere Seite auch, in denen er nicht beobachtet werden möchte. Wenn er zum Beispiel missgelaunt im Coop einkaufe.
„It’s the deal,“ sagt Patrick Frey. Es gehört dazu, manchmal mit gesenktem Blick durch den Bahnhof zu gehen, von allem nichts wissen zu wollen und dann doch dieses andere Gefühl zu haben, „dass es auch nicht recht ist, wenn dich keiner anschaut“. Frey ist in „Viktors Spätprogramm“ der Experte Stolte-Benrath; er spielt bei „Lüthi und Blanc“, er schreibt, ist Verleger, hat eine eigene TV-Sendung. Er sagt: „Wer mediale Arbeit macht, muss sich fast verstecken. Wenn du ständig auf dem Bildschirm bist, meinen die Leute, dich zu kennen. Es ist schwierig, diesem Bild, das sie sich von dir machen, zu entsprechen.“
„Grüss mir den Harry!“, haben sie Nadja Sieger schon zugerufen. Sie ist Giacobbos Lebenspartnerin, steht auch auf der Bühne als Nadeschkin (von Ursus & Nadeschkin). Sie versteht, dass „Viktor zwischen Arbeit und Privatem trennt“. Er blühe immer dann auf, wenn sie über der Schweizer Grenze seien, irgendwo in den Ferien, und ihn dort keiner kenne. Er könne sich dann zwischen Menschen setzen, ohne dass die etwas von ihm wollten. „Durch das Fernsehen zieht er Massen an. Aber Viktor will und kann nicht Allgemeingut sein.“
Und so stellt er den Kragen in den Nacken; es ist kalt in Schaffhausen. Die Hände sind in der Tasche versorgt. Er geht auf der Strasse, er schaut kaum links noch rechts.
Lueg, de Viktor!
An diesem Abend hat er in einer Buchhandlung, die auch Papeterie und Videoladen ist, seine Wandkalender signiert. Er sitzt hinter dem Tisch. Eine Radioreporterin will, dass er einen Spruch sagt. Macht er nicht. Ein Fernsehjournalist fragt, ober filmen dürfe. Darf er. Und Frauen stehen an. Und Männer. Und Kinder reichen ihm Zettel, auf die er seinen Namen schreiben soll.
Jetzt möchte er noch etwas trinken, bevor er nach Hause fährt. Eigentlich geht er nicht gerne ins Café. Und wenn doch, platziert er sich so, dass er nicht unbedingt mit andern Augenkontakt haben muss. Nicht damit noch einer aufsteht und: äxgüsi! Die Serviertochter lacht, als er eine heisse Schokolade und eine Portion Vermicelles bestellt – warum sie lache, fragt er. „Sie sind doch Herr Giacobbo.“
Ja und?
Der lustige Metzgersbub
Er sagt von sich, er sei ein „zufriedener Mensch“. Und: „Ich bin in einer privilegierten Situation. Klar, man hat immer Druck, will gut sein – aber ich verdiene nicht schlecht, und das erst noch mit einer Tätigkeit, die ich am liebsten mache. Ich musste nie Klinken putzen, immer hat man mich gefragt, willst du das, willst du jenes, weil man etwas von mir gesehen oder gelesen hat. Ich bin mir bewusst, dass viele andere nicht mit einem solchen Gefühl arbeiten können, dass sie Probleme mit dem Chef haben und einen Lohn bekommen, der es schwierig macht, eine Familie durchzubringen.“
In sehr einfachen Verhältnissen ist er aufgewachsen, in Oberwinterthur, zusammen mit einem Bruder, der neun Jahre älter ist. Der Vater, Sohn eingewanderter Italiener, war Metzger, die Mutter verdiente zuerst als Damenschneiderin, dann als Verkäuferin dazu. Der Bruder Bruno, ein Antiquitätenhändler, erinnert sich, dass „Vik“ schon früh eine Schreibmaschine besass „und in seinem Zimmer hockte und Gedichte schrieb, die ich, das weiss ich noch, nicht gut fand“. Er, Bruno, sei eben der Handwerker gewesen, der mit dem Hammer, und „Vik war immer der Schreiber“.
Der damals schon die andern genau beobachtet hat. Der sich gemerkt hat, wie und was die reden, wie sie sich bewegen. Und dann sei vorgekommen, erinnert sich der Bruder, dass Vik, wenn alle zusammengesessen seien, plötzlich jemanden „verdammt gut nachgemacht“ habe.
Kann schon sein, sagt Giacobbo.
Er sieht sich so: Als Bub fasziniert von „Büchern, Büro und Papier“, von Mickymaus und Karl May. Er hatte also die Schreibmaschine und verfasste „Reiseprosa“, begann an „Jugendromanen zu schreiben, die nicht fertig wurden“, reimte „komische Verse, die ich nicht mehr lesen möchte“. Er machte andere nach, spielte sie. Und er kaufte sich, als er 13 war, in der Ex Libris einen Lenco-Plattenspieler. Darauf konnte er nun seine Schallplatten abspielen. César Keiser, Alfred Rasser, die Münchner Lach- und Schiessgesellschaft, die Stachelschweine. „Mir hat Kabarett mehr bedeutet als Musik. Ich konnte lachen über die Pointen. Ich habe zwar nicht alles verstanden. Aber mir hat damals schon imponiert, dass da Dieter Hildebrandt hinsteht und sich über die Regierung und die politischen Zustände lustig macht.“
Der Drehort ist in einem Hotel, das Zimmer zu einem Büro hergerichtet. Schon fünf Stunden wird hier gefilmt. Zwei Minuten müssen am Schluss im Kasten sein. Die Stimmung ist heiter. Man witzelt (auch) in den Pausen.
Fernsehmachen ist mühsame Kleinarbeit. Wiederholen und wiederholen. Ein anderes Licht. Eine glänzende Stirn. Ein Versprecher. Das falsche Handtäschchen. Und alles noch einmal, von dieser Seite gefilmt, für eine Totale und Gegenschnitte, für die Naheinstellung.
Es ist ein eingeschworenes Team.
Giacobbo, Birgit Steinegger, Walter Andreas Müller. Der Tontechniker, die Produktionsleiterin, die Kostümbildnerin. Der Autor. Markus Köbeli, der schon so vieles geschrieben hat, für Spass-Sendungen am Radio und fürs Theater; ein eher stiller Mann, ein Berner, der zusammen mit Viktor Giacobbo das „Spätprogramm“ gestaltet. Seit zehn Jahren arbeiten sie zusammen – jeder mit seiner eigenen Humorauffassung: sich also nicht immer einig, aber fähig, sagt Köbeli, „uns stets wieder zu finden“. Ein schwieriges Unterfangen, fast unmöglich, würden doch am Thema Humor „Ehen auseinander brechen“. Sie kennen sich gut, wissen um Schwächen und Stärken. Sie sitzen im Büro zusammen (dazu gesellen sich auch Peter Irniger, Peter Schneider und Domenico Blass), sie denken, suchen die Themen, „was uns beschäftigt, uns aufregt“ – und nach einem Brainstorming trennen sich die Wege, Köbeli und Giacobbo schreiben dann an verschiedenen Szenen, und sie rufen sich an, fragen, diskutieren, sie faxen sich ihre Papiere.
Viktor Giacobbo ist ein genauer Beobachter. Ein politischer Kopf, der sich als Satiriker ins Geschehen einmischt. Gerhard Polt, der Komiker aus Bayern, sagt: „Giacobbos Kunst ist seine Vielseitigkeit. Er kann in Rollen wechseln. Nichts ist voraussehbar, das macht sein Spiel spannend. Er ist komisch, er ist politisch, er ist ein Autor.“
Der sich nicht in eine Links- oder Rechtsschublade einordnen lassen will. Früher ein Linker, heute bezeichnet er sich als „libertären Radikalen“, der die bürgerlichen Freiheiten „im radikalsten Sinn“ einfordert. Politisch habe sich sein Spektrum geweitet. „Ich komme mit Menschen in Kontakt, die ich, wäre ich nicht Viktor Giacobbo, wahrscheinlich nicht kennen lernen würde. Plötzlich können einem Personen sympathisch sein, die nicht so denken wie ich.“
Wer als sein Gast besonders originell sein will, kann scheitern. Thomas Borer hat das vorgemacht. Wer locker bleibt, erhält viele Briefe: So geschehen, als Ruth Dreifuss im Oktober 1999 Giacobbo gegenübersass. Sie war damals Bundespräsidentin und hat mitgemacht, weil der Auftritt eine Chance sei, „einem eher jungen Publikum zu begegnen, das die vorwiegend ernste Sache Politik von einer menschlich-humoristischen Seite betrachten will“.
Ruth Dreifuss war witzig und schlagfertig. Rückblickend meint sie: „Für mich war es wie ein Auftritt in der Dorf- oder Quartierbeiz. Ich konnte via TV zeigen, dass Politik Freude macht. Dank Giacobbos sensibler Gesprächsführung konnte ich so wirken, wie ich eben bin.“
Satire sei für das demokratische Bewusstsein wichtig, sagt sie. „Giacobbo braucht die Politik, die Politik braucht viele Giacobbos, und beide brauchen ein kritisches, selbstbewusstes und gut gelauntes Publikum.“
Er verrät seinen Gästen nie, was er sie fragen wird. Er hat auch nichts ausformuliert, ein paar Gedanken im Kopf, aber eigentlich lässt er sich intuitiv leiten. Er macht den Gast nur auf die Stufe aufmerksam, die zu den zwei Stühlen führt: Passen Sie auf, dass Sie nicht dort schon stolpern!
Die Fangemeinde ist gross. Der Oberst im Militär mag ihn genauso wie diese Kinder, die beim Bruder von Viktor vorbeikommen, der in einem Dorf zwei Antiquitätengeschäfte besitzt. Die fragten jeweils nach Autogrammkarten, erzählt Bruno Giacobbo, und der nimmt die Karten aus der Schublade und will sie verteilen, aber die Mädchen und Knaben rümpften die Nasen und seien enttäuscht, weil sie sich unter Viktor etwas anderes vorstellten, Debbie Mötteli nämlich oder zumindest Harry Hasler. Auf den Karten aber ist nur der Giacobbo. ‚
Unter den Briefen, die er bekommt, sind auch solche von Jugendlichen. Sie möchten mit Viktor Giacobbo in der Klasse diskutieren. Er geht hin, sofern es seine Agenda zulässt, weil die Gespräche oft spannend seien. Er sagt: „Die Figuren, die ich spiele, haben nicht zuletzt den zufälligen Effekt, junge Menschen an politische Themen heranzuführen.“
Und die fragen: Darf man überhaupt andere Menschen nachmachen? Muss man sie, wenn man sie imitiert, zuerst anfragen? Und: Wo sind der Satire Grenzen gesetzt?
Es gibt Grenzen. Nur kann man sie nicht „allgemein gültig“ abstecken. „Es kommt darauf an, in welchem Umfeld die Satire, die Komik oder der Witz eingebettet sind.“ Was er nicht will: Leute in eine kompromittierende Situation bringen. Aber er möchte nach wie vor Tabus verletzen können. Eine heikle Angelegenheit, hat er doch in all den Jahren immer wieder die Erfahrung machen müssen, „dass selbst fortschrittlich Denkende bei vermeintlichen Tabuverletzungen den Vorhang der Moral ziehen. Die fordern dann, ich dürfe Hitler nicht spielen.“ Oder er soll die religiösen Themen in Ruhe lassen. Er würde als Nonne die Gefühle der Katholiken nicht achten. Giacobbo findet es aber aufregend, auch dort zu provozieren. Und zwar so, ohne damit, wie auch schon, die TV-Konzession zu verletzen.
Auch der Inder Rajiv hat die Provokation von SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli überstanden. Er schrieb in einer Kolumne, dass die Figur rassistisch sei. Sein (Medien-)Angriff galt allerdings nicht Giacobbo, er zielte auf die Eidgenössische Rassismuskommission, die Mörgeli schon immer suspekt war, weil sie nur im rechten Spektrum nach Sündern suchte. Und nun sollte sie doch mal hier, und prompt liess die Kommission verlauten, sie würde abklären, ob man Rajiv ein paar positive Eigenschaften zuordnen könnte. Es kam lediglich, sagt Giacobbo, zu einem kurzen Telefongespräch mit einem Kommissionsmitglied. Damit war dann alles erledigt.
Satirehauptstadt Winterthur
Als Viktor ein Kind war, wollte er Hotel-Concierge werden. Allein, weil der Name so schön klingt. Und man eine spezielle Kleidung trägt. Das wäre etwas Besonderes gewesen. Er hat dann eine Lehre als Schriftsetzer gemacht. Nicht nur die Form interessierte ihn, auch der Inhalt. Er war einer, der immer schon viel wissen wollte, und darum hat er viel gelesen, die Klassiker, die Neuen, die Schweizer Autoren. Er war 16, als sich ihm 1968 „eine neue Welt auftat“. Mitten drin, nicht als Student, als Arbeiter, wie er betont, als Lehrlings-Gewerkschafter. Er trat dem Kritischen Forum von Winterthur bei, hat dort „theoretische Bücher gelernt zu lesen und abstrakt zu denken“. Als das Forum immer „dogmatischer, China-orientiert und stalinistisch“ wurde, ging er.
Es muss 1982 gewesen sein, als Peter Haag Viktor Giacobbo zum ersten Mal gesehen hat. In der Textdokumentation des Schweizer Fernsehens. „Wie eine kleine Madonna“ sei er dort gehockt, „bei ihm liefen alle Fäden zusammen, und er hatte die guten Sprüche drauf.“ Erst viel später sind sie Freunde geworden. Haag, der Verleger von Kein & Aber, Giacobbo, der bei ihm (unter anderem) sein Kolumnenbuch „Spargel der Vergeltung“ veröffentlicht. Für Peter Haag ist Giacobbo „ein Phänomen“, der es „in einem der schwierigsten Geschäfte geschafft hat: mit Satire und Komik am Fernsehen gute Einschaltquoten zu haben, ohne der Strasse nachzugeben“.
Wenn nicht ein Phänomen, ist er ein Arbeitstier. Als wär nicht alles schon genug, sitzt er mit Domenico Blass an seinem Film-Drehbuch. Erzählt er von diesem Projekt, strahlt er, und ist es fertig geschrieben und finanziert, sollen schon bald die Dreharbeiten beginnen. In Kuba. Dort spielt Giacobbo einen Diplomaten an der Schweizer Botschaft. Dieser Diplomat (und er verrät nur das) begehe einen Blödsinn, der eine zweite Kuba-Krise auslöse.
Vom Schriftsetzer zum Kinoheld. Ein langer Weg liegt dazwischen. Korrektor, Lektor, Dokumentalist, Kolumnist, Autor, er spielte bei Stuzzicadenti, bei Zampanoos Variété und bei Harul’s Top Service – er war begabt.
Und dann, eines Abends im Jahr 1986, sassen Ueli Heiniger und Hans Bärenbold beim Bier in einer Zürcher Altstadtbeiz. Sie sprachen über ihre nächste Sendung, die „Medienkritik“, und Heiniger meinte, man müsste jemanden finden, der mit dem Thema Sonntagspresse spielen könnte, vielleicht ein Kabarettist, ein Komiker mit spitzer Zunge – und genau in diesem Moment, erzählt Ueli Heiniger, „läuft Viktor am Fenster vorbei“.
Er rannte ihm nach, „ich war damals schon begeistert von ihm“, er hat ihn aufgehalten und spontan gefragt: Würdest du?
Natürlich!
Wenn sich Viktor Giacobbo heute an seinen ersten Fernsehauftritt erinnert, muss er schmunzeln, weil er da so eckig, so hölzern gewesen sei – „und diese Fehler, fast schon peinlich!“ Doch konnte er sich, spätabends im Schweizer Programm, entwickeln, ein Glücksfall eigentlich. Giacobbo wurde schnell einmal zum Geheimtipp.
1990 bekam er bei SF DRS seine eigene Sendung. „Viktors Programm“, damals am Donnerstag um 20 Uhr.
Jetzt, jeweils am Mittwoch um 22.20 Uhr, hocken 600 000 Menschen vor ihrem Fernseher. Das ist viel, bedenkt man die Zeit. Die Sendung hat Erfolg, und wer Erfolg hat, auch wenn nicht immer alles geglückt ist, muss mit Kritik leben. So gibt es immer wieder Stimmen, die Giacobbo seine „eigene Hofhaltung“ vorwerfen: Gemeint ist damit, er lasse niemanden neben sich hoch kommen, um nicht plötzlich nur noch die Nummer zwei zu sein. Also fördere er keine Talente und bewege sich im immer gleichen Filz.
Für ihn sind diese Vorwürfe „absurd und völlig aus der Luft gegriffen!“ Ihn freue, wenn er begabte junge Leute sehe, wie Esther Kälin oder Mike Müller (die im „Spätprogramm“ auftreten), „nur gibt es sie leider nicht wie Sand am Meer“. Filz und Mafia! Es hat nun einmal nur eine Satiresendung am Fernsehen! Was er denn dafür könne. Es schüttelt ihn – Mafia übrigens sei, „wenn einer in seinem eigenen finanziellen Interesse andere zu verhindern versucht“. Er kommt auf Winterthur zu sprechen. Das ist sein Ort (er wohnt in der Nähe), mit dem fühlt er sich verbunden, hier ist er verwurzelt, hat seine Freunde, die ihn als „initiativ“ erleben, als einer, der sich „nicht aufbläst“, der sich für das kulturelle Leben einsetzt und sich dafür „abkrampft“.
In Winterthur kam es im vergangenen Jahr zu einer Abstimmung: Die Stadt wollte der Comedy-Gruppe (Giacobbo, Patrick Frey und andere Kulturschaffende) das Casino verkaufen und ihr dazu noch ein zinsloses Darlehen von zwei Millionen Franken gewähren – damit dort ein Theaterhaus für die Schweizer Kleinkunst entstehen kann. Ein SVP-Politiker ergriff das Referendum: Das Volk soll entscheiden. Es liess sich vom Projekt begeistern und sagte Ja.
Auch hier musste Giacobbo sich anhören, dass er mit diesem Theater bloss seine Macht in der Szene vergrössern wolle. „So ein Quatsch!“, sagt er. Muss er doch, wie alle andern Aktionäre auch, „so gar nicht mafiamässig“, zuerst einmal zahlen – „und eine für mich nicht sehr kleine Summe“. Das zum Ersten, und zum Zweiten: „Wir werden jungen Künstlern Gelegenheit bieten, sich zum ersten Mal einem grösseren Publikum vorzustellen.“ Also: „Ich für mich brauche das Casino nicht!“
Wenn alles vorbei ist
Stolte-Benrath sagt nun diesen Satz schon ein paar Mal. Und auch jetzt schüttelt Viktor G. wieder den Kopf. Nein, nein. Sag das doch so. Stolte-Benrath (Patrick Frey) will es aber anders sagen. Weil es nicht stimmen würde, wenn er sagen täte… Sag es so. Hm, ist ja nicht mein Text! Die beiden Akteure wirken unter dem hellen Scheinwerferlicht etwas nervös (was sie sonst eher nicht seien). Es ist abends um halb sieben Uhr an diesem Sende-Mittwoch im „Kaufleuten“. Um 16 Uhr war technisches Einrichten. Ab 17 Uhr erste Stellproben. Viktor sagt: „Jetzt nämed emal de Ton wäg!“ Sie müssten proben, und sie seien es schliesslich, die dann live auf der Bühne zu stehen hätten.
Um viertel nach sieben ist Zeit fürs Abendessen. Giacobbos Platz im Restaurant bleibt leer. Patrick Frey denkt über die Szene nach, die er zu spielen hat. Später wird er auf die Frage, ob Viktor eigentlich dominant sei, antworten: „Hinsichtlich der Eitelkeit kommen wir uns nicht in den Weg. Man soll nur nicht am Platz stehen, wo er steht. Viktor verträgt es nicht so sehr, wenn einer einen Schritt vor ihm ist. Was er verträgt: wenn einer auf gleicher Höhe steht – aber nur, wenn er ihn akzeptiert.“
Erzählt man das Viktor Giacobbo, wird der energisch. Weil er die Kritik so versteht, als wäre er „missgünstig. Das kann ich nicht akzeptieren!“ Und dass er dominiere? Er denkt nach. Wahrscheinlich stimme das. „Wenn ich völlig in einem Thema bin, merke ich das nicht. Ich weiss, ich kann Leute überfahren, ich kann sie verletzen. Wenn sie mir das sagen, ist mir das grauenhaft peinlich. Meistens ist es dann zu spät.“
Er steht in seiner Garderobe vor dem Spiegel. In Grau gekleidet, Jackett und Hose, das Hemd ist hellblau, eine Krawatte. Den Teller hat er nicht leer gegessen. Er hat sich zurückgezogen, er braucht diese Minuten der Ruhe.
Und Patrick Frey übt nun noch einmal den Text. Er sitzt vor Giacobbos Garderobe auf einem Stuhl. Nur die Lippen bewegen sich. Auf einem kleinen Bildschirm ist das Gesicht von Stephan Klapproth. Der Ton ist leise gestellt. Die Aufnahmeleiterin sagt, dass „10 vor 10“ wieder Verspätung habe und dass danach neun Minuten Werbung folgten. Man sei erst um halb elf auf Sendung.
Viktor Giacobbo kommt nun aus der Garderobe. Es ist 22.10 Uhr. Er schreitet den engen Raum hinter der Bühne ab, schiebt den Vorhang ein wenig zur Seite. Knallvoller Raum. Die Menschen haben sich, als vor einer Stunde schon Einlass war, in den Saal hineingestossen und sich die wenigen Stühle weggeschnappt. Man sagt, dass Damen und Herren sich immer so benehmen, wenn sie es geschafft haben, eine Karte für „Viktor“ zu bekommen.
Der lässt den Vorhang wieder los, links ginge es in das improvisierte Zimmer der Maskenbildnerin, aber da war er schon, auch wenn jetzt Hedvika Salzmann mit Pinsel, Make-up-Töpfchen und kritischem Blick um ihn herumschleicht. Er hat keine feuchten Hände. Nur „etwas angespannt“ sei er, sagt er, doch das „fördert die Konzentration“.
Der Text ist im Kopf. Er hat nur vier kleine Karten. Darauf stehen lediglich die Anfangs- und Schlusssätze der Filmeinspielungen. Ein Tontechniker prüft, ob das Mikrofon auch gut festgeklemmt ist am Revers. Der Sender steckt am Hosenbund. Die Aufnahmeleiterin fragt, ob er schon wolle, auf die Bühne hinaus, zum so genannten Warm-up. Der Blick zur Uhr. 22.15. Meinst du?
Also!
Das Publikum klatscht heftig, als er auf die Bühne tritt. Er bespricht, was es live zu erwarten hat, und Hedvika Salzmann seufzt auf, weil sie auf dem Bildschirm sehen muss, dass Giacobbos Kopfhaut durch das lichte Haar etwas zu sehr glänzt. Der sagt gerade, dass er nun wieder hinausgehe, und wenn er dann wiederkomme, „hät d Sändig aagfange und ir tüend eso, wie wänn ich s erscht Mal chämti“.
Wenn alles vorbei ist, freut er sich auf ein Bier. Und darauf, sich zu Hause dann, spät in der Nacht, die Figuren vom Leib zu duschen.

Barbara Bürer ist redaktionelle Mitarbeiterin (barbara.buerer@dasmagazin.ch).

Das Rollenwunder

6. Januar 2001, Das Magazin, von Barbara Bürer

Seine Figuren sind vertraut wie nahe Verwandte. Nur ihr Schöpfer bleibt ein Rätsel. Gibt es Viktor Giacobbo? „Ich habe um […]

2017